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Besuch aus der Ukraine

TZu Hause tobt der Krieg - in Stade genießen sie den Frieden

Adelheid Balthasar von den Landfrauen hat mit den Jungs aus der Ukraine Plätzchen ausgestochen. Die kommen jetzt in den Backofen.

Adelheid Balthasar von den Landfrauen hat mit den Jungs aus der Ukraine Plätzchen ausgestochen. Die kommen jetzt in den Backofen. Foto: Strüning

Sie sind eine Woche dem Krieg entflohen und können den Frieden genießen: 30 Kinder aus der Ukraine und ihre Begleiterinnen machen Station in Stade. Ein Besuch.

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Von Lars Strüning
Samstag, 04.10.2025, 05:50 Uhr

Stade. Larisa möchte ihren Nachnamen nicht nennen und auch kein Foto von sich machen lassen. Die Ukrainerin ist vorsichtig. Eine Lehre des Krieges und Zeichen des Respekts vor dem russischen Geheimdienst. Larisa ist mit ihrem Mann und zwei Enkelkindern unterwegs - von der Region Mykolajiw nach Stade. Hier genießt sie das entspannte Freizeitprogramm und erzählt vom Alltag in der Ukraine.

Landfrauen backen Schokomuffins mit den Kindern

Sie führe in dem Land ein ganz normales Leben als Rentnerin und Oma mit Hausarbeit und Enkelbetreuung, erzählt sie im Technologiezentrum des Handwerks im Stadtteil Ottenbeck, während die Kreislandfrauen mit den Kindern Plätzchen und Schokomuffins backen und basteln.

Das Basteln ist auch Larisas Lieblingsbeschäftigung. Nach dem Gespräch schnappt sie sich die Utensilien und beklebt ganz in ihren Gedanken versunken einen Becher mit Papierschnipseln in einem rot-violetten Rautemuster.

Basteln gehört zum Freizeitprogramm der jungen Ukrainer im Alter zwischen 8 und 16 Jahren.

Basteln gehört zum Freizeitprogramm der jungen Ukrainer im Alter zwischen 8 und 16 Jahren. Foto: Strüning

Larisa genießt die Ruhe, das Unbeschwerte. Sie ist dankbar für die Gastfreundschaft in Stade, für die Ausflüge auf einen Bauernhof oder in den Wildpark Schwarze Berge. Aber die Gedanken gehen immer wieder zurück in die Heimat. Zum Krieg.

Ihr Sohn, dessen Frau und ihre Tochter sind alle an der Front. Sie halten Kontakt per Mobiltelefon. Immer wenn das Handy summt, schnellt ihr Blick aufs Display. Ansonsten erzählt sie nahezu entspannt von einem Alltag, der für Unbeteiligte kaum vorstellbar ist.

„Der Mensch gewöhnt sich an alles, sogar an den Krieg.“

Vorweg die gute Nachricht: Die Versorgungslage ist gut, erzählt Larisa, die Supermärkte sind gut bestückt. Aber die Angst lebt immer mit. Vor Drohnen, Raketen oder Gleitbomben. Tagelang passiere nichts, herrsche Ruhe. Dann wird an nur an einem Tag dreimal Alarm gegeben. „Meistens nachts, wenn wir schlafen“, sagt Larisa. Und ergänzt nahezu lakonisch: „Der Mensch gewöhnt sich an alles, sogar an den Krieg.“

Das sei gefährlich. Die Kinder zum Beispiel erkennen am Geräusch, welches gefährliches Fluggerät sich nähert und suchen zum Teil schon gar keinen Schutz mehr, weil sie wissen - oder zumindest glauben -, dass dieser Angriff an ihnen vorbeigeht.

Wenn ihr Viertel Zielscheibe der russischen Angriffe ist, geht Larisa in Deckung. Die findet sie in Kellern, zwischen Hausmauern oder in Luftschutzbunkern. „Dann verstecken wir uns, warten ab und hoffen, dass es schnell vorübergeht“, erzählt sie.

Trotz der brenzligen Lage zieht es sie zurück nach Hause. Das Heimweh ist groß. Noch einmal sagt sie, dass sie allen sehr dankbar sei, aber sie freue sich, dass es an diesem Sonntag zurück in die Heimat geht. Was ist ihr größter Wunsch? Larisa winkt ab: „Dass der Krieg endlich vorbei ist.“

Väter sind verschollen, gefallen oder in Gefangenschaft

Ihre Kinder sind an der Front. Andere Kinder, die mit nach Stade gekommen sind, wissen nicht, was mit ihrem Papa ist. Einige der Väter gelten als verschollen, andere sind in Kriegsgefangenschaft, einige sind gefallen. Das erzählt Nadja, die aus der Ukraine kommt, Lehrerin ist und derzeit in Horneburg wohnt. Nadja fungiert als Dolmetscherin zwischen den Gästen und den vielen ehrenamtlichen Helfern, die diesen Besuch möglich machen.

Aus der russischen Gefangenschaft zurückgekehrt sei der Psychologe, der die Gruppe begleitet. Er habe sich auf die Traumatherapie der Soldaten spezialisiert, die aus der Gefangenschaft zurückkehren.

Jeder Gast im Technologiezentrum hat sein eigenes Schicksal. Sie stehen das gemeinsam durch, zum Beispiel bei der morgendlichen Andacht, wenn anschließend die Nationalhymne gespielt wird. Ein sehr emotionaler Moment.

Das Zentrum hat die Handwerkskammer kostenlos zur Verfügung gestellt mit seinem Gästehaus und der Großküche. Das DRK und der Landkreis Stade organisieren den Aufenthalt. DLRG, die Johanniter mit ihren Lesehunden, die Kreisjugendfeuerwehr oder die Kirche stellten das Programm zusammen. Finanziert wird es hauptsächlich über Spenden. Die Oblast Mykolajiw ist die offizielle Partnerregion von Niedersachsen. So kam der Kontakt zustande.

Dolmetscherin Nadja sagt, was sie aus vielen Gesprächen erfahren hat. Die Ukrainer sind sehr dankbar, dass ihr Schicksal den Deutschen nicht egal ist. Dass die Menschen in und um Stade so freundlich sind. Nadja: „Wir freuen uns sehr über die Hilfe.“

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