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Protest

TAufstand der Bauern: Sprecher kündigen heißen Winter im Kreis Stade an

Mehr als 60 Altländer Obstbauern demonstrieren mit 5000 Landwirten in Berlin gegen Ampel-Kürzungen.

Mehr als 60 Altländer Obstbauern demonstrieren mit 5000 Landwirten in Berlin gegen Ampel-Kürzungen. Foto: Hilbers/Fachgruppe Obstbau

5000 Bauern haben am Montag vor dem Brandenburger Tor in Berlin gegen die ersatzlose Streichung der Agrardieselvergütung und der Kfz-Steuer-Befreiung demonstriert. Unter ihnen auch Obstbauern und Landwirte aus dem Kreis Stade. Diese sind auf Zinne.

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Von Björn Vasel
Montag, 18.12.2023, 18:15 Uhr

Jork. „Die Grenze des Erträglichen ist längst überschritten“, sagte der Vorsitzende der Landesfachgruppe Obstbau, Claus Schliecker aus Guderhandviertel. Mehr als 60 Obstbauern - unter ihnen auch die Meisterklasse - hatten sich frühmorgens auf den Weg nach Berlin gemacht. Allerdings hatten die Obstbauern aus dem Alten Land, aus Kehdingen und von der Stader Geest ihre Schlepper zu Hause gelassen.

Nicht alle kamen durch. „Berufskollegen aus Baden-Württemberg sind mit ihren Traktoren vor Berlin von der Polizei gestoppt worden“, berichtete der ehemalige Esteburg-Kernobstexperte und heutige Geschäftsführer der Bundesfachgruppe Obstbau, Joerg Hilbers. „Es reicht“, gibt er die Stimmung unter den Bauern wieder.

Kreislandwirt fordert Machtwort des Kanzlers

„Wenn die Bundesregierung die Streichungen nicht ersatzlos zurücknimmt, wird es - auch im Landkreis Stade - ab dem 8. Januar einen heißen Winter mit Protesten geben“, kündigte Schliecker gegenüber dem TAGEBLATT an. Und auch Kreislandwirt Johann Knabbe stößt in dasselbe Horn. Offenbar müsse das Land stillstehen, damit der Bund sich bewegt - ähnlich wie bei den Streiks der Lokführer.

Während Schliecker bei Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne) und Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) ein Entgegenkommen sieht, glaubt Knabbe noch nicht an die Streichung der Streichung. Denn die beiden Minister seien „politische Leichtgewichte“. Der Kreislandwirt erwartet, dass der „Schweigekanzler“ Olaf Scholz (SPD) ein Machtwort im Sinne der Bauern spricht. Die Kürzungen würden bei vielen „die Größenordnung von ein bis zwei Monatsgehältern“ übersteigen.

Dabei handele es sich bei Agrardieselvergütung und der Kfz-Steuer-Befreiung letztlich um keine Subventionen.

Mit diesen Regelungen werde berücksichtigt, dass die Obstbauern, Winzer und Landwirte mit ihren Traktoren und Geräten kaum auf öffentlichen Straßen, sondern auf ihren Feldern, ihrem Grünland oder ihren Plantagen unterwegs seien. Für die Erzeuger sei es ein weiterer Schlag ins Gesicht. Denn Mindestlohn (plus 25 Prozent) und steigende Preise bei Energie und Pflanzenschutz hätten die Produktionskosten schon in die Höhe getrieben. Lebensmitteleinzelhandel und Industrie kompensierten diese Mehrkosten nicht.

Nicht Opfer desolater Haushaltspolitik werden

Schliecker und Hilbers verweisen auf die zunehmenden Wettbewerbsverzerrungen. Die Obstbauern in Niedersachsen müssten ab 2024 verkraften, dass das Land Niedersachsen ihnen bei der Hagelversicherung keinen Zuschuss zahlt. Während in Polen, Italien oder den Niederlanden ein Zuschuss von bis zu 65 Prozent (aus der EU-Kasse mit Geldern auch deutscher Steuerzahler) gewährt wird, müssen die Familienbetriebe an der Niederelbe die Prämie von etwa 25.000 Euro für einen 20-Hektar-Hof komplett selbst bezahlen.

Auch der Bundesvorsitzende der Fachgruppe Obstbau, Jens Stechmann aus Jork, ist in der Menge zu entdecken.

Auch der Bundesvorsitzende der Fachgruppe Obstbau, Jens Stechmann aus Jork, ist in der Menge zu entdecken. Foto: Hilbers/Fachgruppe Obstbau

Es könne nicht sein, dass die Bauern eine Milliarde Euro zusätzlich aufbringen müssen, sie hätten schon durch Streichungen bei der Unfallversicherung (70 Millionen Euro) und der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes“ (400 Millionen Euro) eine Mehrbelastung zu tragen. Schliecker fragt sich auch, warum der Bund die Leistung für die Umwelt nicht honoriert.

Mehr als 21 Millionen Obstbäume stehen an der Niederelbe und binden Kohlendioxid: „Wir haben unsere sektoralen CO2-Reduktionsziele erreicht, wir wollen jetzt nicht auch noch für die desolate Haushaltslage herhalten. Zu viel ist zu viel. Jetzt ist Schluss.“

Bauernverbands-Präsident Joachim redete Klartext: „Es reicht. Wir versorgen die Bevölkerung mit hochwertigen heimischen Lebensmitteln. Wird das ganz vergessen?“ Der DBV-Präsident forderte eine politische Neuausrichtung hin zu einer Politik, die sich wieder den Menschen zuwendet, die im Land arbeiten und ihnen Perspektiven aufzeigt. „Es geht um die Zukunft unserer Kinder und Enkel“, mahnte er. „Wir müssen nach vorne blicken und unserer hoch motivierten und top ausgebildeten Jugend eine verlässliche Perspektive bieten - damit unsere Betriebe in die Zukunft investieren können.“

Der DBV-Präsident machte unmissverständlich klar: Die aktuelle Bunderegierung hat es bislang nicht geschafft, die wichtigen agrarstrukurellen Herausforderungen anzugehen und den deutschen Landwirten Produktionssicherheit zu bieten. Stattdessen steigen die Produktionskosten kontinuierlich und drängen immer mehr Produzenten in den wirtschaftlichen Ruin. Er erklärte: „Wenn unsere Forderungen nach einer Rücknahme der Beschlüsse nicht umgesetzt werden, wird die Bundesregierung ab dem 8. Januar 2024 einen heißen Winter erleben.“

Bauernpräsident lobt Minister Özdemir

Gerichtet an Cem Özdemir sprach er dem einzigen verantwortlichen Minister auf dieser Kundgebung seinen ausdrücklichen Respekt dafür aus, dass er sich den Bauern und Bäuerinnen persönlich stellt. Und er forderte von den Kundgebungsteilnehmern den gleichen Respekt ein. Joachim Rukwied stellte dabei klar, dass er wisse, dass Minister Özdemir sich im Kabinett gegen die geplanten Kürzungen ausgesprochen habe. Und er erwarte von einem Landwirtschaftsminister, dass er sich mit ganzer Kraft für die Bauernfamilien und den ländlichen Raum einsetze – und im Notfall auch sein Amt zur Verfügung stelle, wenn der Rest der Regierung ihm nicht zuhört.

Gemeinsam an Lösungen arbeiten

Cem Özdemir, der den Reden aufmerksam zugehört hatte, machte deutlich, dass er sehr viele gute Argumente für eine Beibehaltung von Agrardieselförderung und Kfz-Steuerbefreiung gehört habe. Und er verstehe, warum die Landwirtschaft so wütend auch auf die Bundesregierung sei. Er selber halte nichts von den geplanten Streichungen und habe das Kabinett vor den Folgen dieser Maßnahmen gewarnt. Er wisse, dass der Wegfall dieser Steuererleichterungen den Berufsstand viel stärker trifft als andere Branchen - klaffe doch die Wertschöpfung zwischen Land und Stadt immer weiter auseinander. Ziel müsse es nun sein, die anderen Kabinettsmitglieder zu überzeugen und gemeinsam eine gute Lösung finden.

Die Streichung der Agrardieselvergünstigung und den Wegfall der Kfz-Steuerbefreiung im Bundeshaushalt 2024 sieht auch Niedersachsens Landwirtschaftsministerin Miriam Staudte (Grüne) kritisch: „Die niedersächsischen Landwirtinnen und Landwirte können nicht einfach Agrardiesel einsparen. Sie müssen ihre Acker- und Grünlandflächen bewirtschaften und wir alle wollen, dass weniger Pflanzenschutzmittel eingesetzt werden.“ Die Alternative seien unter anderem maschinelle Verfahren, um Beikraut zu bekämpfen - also mit Traktor, Hacke und Striegel. Langfristig werden verschiedene, alternative Antriebsmöglichkeiten auch im Fuhrpark der landwirtschaftlichen Betriebe Einzug erhalten, aber nicht von heute auf morgen. Staudte: „Ich fordere daher das Bundesfinanzministerium auf, schnellstmöglich Kompromisse zu prüfen.“

Ministerin unterstützt Bauern-Aufstand

In Deutschland wird für Diesel für Fahrzeuge der Land- und Forstwirtschaft aktuell eine Steuervergünstigung von 0,2148 Euro pro Liter gewährt (der Normalsteuersatz beträgt 0,47 Euro pro Liter). Nach den gestern vorgestellten Plänen der Bundesregierung soll diese Agrardieselvergünstigung für den Bundeshaushalt 2024 wegfallen. Im Wirtschaftsjahr 22/23 verzeichnete der durchschnittliche niedersächsische Haupterwerbsbetrieb einen Materialaufwand für Treib- und Schmierstoffe von zirka 21.000 Euro und somit eine Agrardieselrückerstattung von ca. 3.500 Euro.

Die mit dem Wegfall der Dieselvergünstigung verbundenen Kostensteigerungen können im Binnenmarkt kaum beziehungsweise nicht weitergegeben werden. Hinzu kommen kumulative Effekte durch den gleichzeitigen Anstieg der Kohlendioxid-Bepreisung und den Wegfall der Kfz-Steuerbefreiung für die Landwirtschaft. Der Wegfall der Kfz-Steuer kann Mehrbelastungen von bis zu 1.000 Euro je Schlepper und Jahr, je nach Alter und Leistung, nach sich ziehen. Staudte (Grüne): „Mit Wegfall der beiden Vergünstigungen wäre eine nicht hinnehmbare Wettbewerbsverzerrung gegenüber den Nachbarländern verbunden, die sowohl Subventionen für Agrardiesel wie auch Kfz-Steuerbefreiungen etabliert haben.“

5000 Obstbauern, Winzer und Landwirte demonstrierten am Montag vor Reichstag und Brandenburger Tor in Berlin.

5000 Obstbauern, Winzer und Landwirte demonstrierten am Montag vor Reichstag und Brandenburger Tor in Berlin. Foto: Hilbers/Fachgruppe Obstbau

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