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TExperte schlägt Alarm: Von 9500 werden nur 3000 Biogas-Anlagen überleben

Luftaufnahme vom Umbau der Biogasanlage in Grundoldendorf: Heute kommen vor allem Gülle und Mist in die Behälter. Der Anteil von Mais beträgt nur noch 20 Prozent.

Luftaufnahme vom Umbau der Biogasanlage in Grundoldendorf: Heute kommen vor allem Gülle und Mist in die Behälter. Der Anteil von Mais beträgt nur noch 20 Prozent. Foto: Bioenergie Geest

Der aufgedeckte Betrug um den Handel mit CO2-Zertifikaten in China gefährdet die Biogas-Branche. Sven Plorin, Geschäftsführer der größten Anlage im Landkreis Stade, erklärt, warum vielen Betreibern das Aus droht.

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Von Miriam Fehlbus
Samstag, 21.09.2024, 07:35 Uhr

Apensen. Die Treibhausgasminderungs-Quote (THG-Quote) des Bundesimmissionsschutzgesetzes ist in Deutschland das zentrale Instrument zur Förderung erneuerbarer Energien im Verkehr. So ist es auf der Seite des Bundesumweltministeriums zu lesen. Durch die Quote sind Anbieter von fossilem Otto- und Dieselkraftstoff verpflichtet, die CO2-Emissionen bis 2030 massiv zu senken.

Dabei gibt es für die Mineralkonzerne zwei Möglichkeiten: Entweder sie fördern und verkaufen weniger oder sie kaufen Zertifikate von denen, die aktiv Emissionen verhindern: Anbieter von Biokraftstoffen, von grünem Wasserstoff und Elektromobilität. Genau dieser „Ablasshandel“ sorgt jetzt dafür, dass Biogasanlagen Pleite gehen und E-Mobilität unattraktiv wird. Eine Branche schlägt Alarm. Im Interview: Sven Plorin, Geschäftsführer der Bioenergie Geest GmbH &Co.KG aus Grundoldendorf.

TAGEBLATT: Herr Plorin, Sie gehören zum deutschlandweiten Aktionsbündnis Klimabetrug Stoppen. Es geht Ihnen darum, gegen den Betrug mit CO2-Zertifikaten vorzugehen. Wo liegt das Problem?

Sven Plorin: Wir stehen wegen des Betrugs und einer massiven Ungleichbehandlung zwischen Projekten in Deutschland und im Ausland vor einem Marktkollaps. Der Ausbau der Elektro-Ladeinfrastruktur, die Produktion und der Einsatz von grünem Wasserstoff und der Einsatz fortschrittlicher Biokraftstoffe, die unter anderem durch die Produktion und den Handel von Treibhausgasminderungsquoten (THG) finanziert werden sollen, werden so immer unattraktiver. Das gefährdet die Branche, aber auch die wirkliche Erfüllung der Klimaschutzziele.

Es geht um nachweislich gefälschte Projekte und vermutlich falsch deklarierte Biokraftstoffimporte aus China. Welche Auswirkungen hat das für Sie und die 29 beteiligten Landwirte in Grundoldendorf?

Wir produzieren hier in dem Bereich der fortschrittlichen THG. Das heißt, mit dem Bio-LNG, das wir hier aus gasförmigem Biomethan verflüssigen, bieten wir Kraftstoffe an, die Emissionen vermeiden. 2023 ist für diese Kraftstoffe als Quote ein Preis von 590 Euro pro Tonne aufgerufen worden. Das war die Basis, aufgrund derer wir hier die Entscheidung getroffen haben, viel Geld in die Hand zu nehmen. Auch in dem Vertrauen, dass es tatsächlich so ist.

Wir wissen, wenn die Mineralölgesellschaften ihrer Verpflichtung nicht nachkommen, müssen sie 600 Euro zahlen. Sie machen also ein Geschäft, wenn sie Quoten kaufen. Seit November 2023 liegen diese Quoten bei unter 250 Euro, aktuell bei 170 Euro.

Sven Plorin ist seit 2011 Geschäftsführer der Bioenergie Geest GmbH in Grundoldendorf. Als eine der wenigen Anlagen in Deutschland kann hier Biomethan zu LNG verflüssigt werden.

Sven Plorin ist seit 2011 Geschäftsführer der Bioenergie Geest GmbH in Grundoldendorf. Als eine der wenigen Anlagen in Deutschland kann hier Biomethan zu LNG verflüssigt werden. Foto: Fehlbus

Und das liegt daran, dass man sich die Quoten irgendwo kaufen kann, wo es viel günstiger ist?

Ja. In China gibt es die Zertifikate deutlich günstiger. Dort sind sie zufrieden, wenn sie ihren Biodiesel verkaufen und ein bisschen Devisen zurückbekommen. Aber in China lässt sich kein Produzent von Biokraftstoff in die Anlage gucken, Vorortkontrollen können und/oder werden nicht durchgeführt. Als deutscher Produzent muss ich mich zertifizieren lassen, ich habe regelmäßige Audits und unangekündigte Überprüfungen.

Die Antragstellung für die Biogasanlage in Grundoldendorf war, als wenn wir hier ein Atomkraftwerk bauen wollten. Man muss schon sehr, sehr positiv in die Zukunft gucken, um dieses alles überhaupt auf sich zu nehmen. Das ganze Genehmigungsverfahren, den Betrieb und um die Anlage so wie sie hier steht, noch einmal neu zu bauen, müsste man mehr als 30 Millionen Euro investieren.

Was sind Ihre Hoffnungen und Forderungen an die Politik?

Wenn wir es jetzt schaffen, Gehör zu finden und erreichen, dass endlich gehandelt wird, wäre das ein entscheidender Schritt. Wir wissen, welche Quote erfüllt werden muss und welche Rolle dabei derzeit die in Wirklichkeit nicht existierenden Quoten aus China spielen. Flüssige Kraftstoffe aus China sind doppelt anrechenbar, weil es sich dabei laut Deklaration um Kraftstoff auf Basis von Frittierfett, also um einen Reststoff, der aufgewertet wird, handelt.

Es wird sehr stark unterschieden, ob wir in Deutschland sind und nach allen Regeln der Kunst arbeiten, oder ob wir uns aus dem Ausland veräppeln lassen.

Sven Plorin, Regionalsprecher Biogas

Es liegt jedoch ein begründeter Verdacht vor, dass es sich bei dem Rohstoff um umdeklariertes Palmöl handelt. Bis 2030 müssen 29 Prozent oder umgerechnet 218 Terrawattstunden erneuerbare Energien im Transportsektor sein. Das ist Gesetz.

Wir laufen seit Jahren dagegen an, dass Zertifikate im Ausland ohne Möglichkeit von Audits vor Ort vergeben werden. Es wird sehr stark unterschieden, ob wir in Deutschland sind und nach allen Regeln der Kunst arbeiten, oder ob wir uns aus dem Ausland veräppeln lassen. Das muss sich ändern.

Und wenn der Preis bei den Quoten so bleibt?

Dann wird uns die Möglichkeit einer Refinanzierung genommen. Nicht umsonst sind zwei der größten Methanhändler in den letzten Jahren in große Schwierigkeiten gekommen. Wir haben die Landwärme, eigentlich Europas größter Biomethan und Quotenhändler, die insolvent ist. Und wir hatten Ende letzten Jahres die Firma bmp Greengas, eine Tochter der Erdgas Südwest, somit Tochter der EnBW, einer der größten Energieversorger Deutschlands, die insolvent gegangen ist. Das tut dem Markt nicht gut.

Was heißt das für den Biogassektor allgemein?

Die meisten Biogasanlagen fallen in den nächsten fünf bis acht Jahren aus der EEG-Förderung raus. Da gibt es keine Anschlussförderung, beziehungsweise die gesetzlichen Ansprüche für den Weiterbetrieb sind hoch. Es lohnt sich einfach finanziell nicht, Strom mit der Biogasanlage herzustellen. Ändert sich nichts, werden keine Anreize für ehrliche CO2-Reduzierung unternommen, dann stirbt eine Biogasanlage nach der anderen. In Deutschland gibt es derzeit 9500 Biogasanlagen. Von denen werden meiner Meinung nach in den nächsten Jahren vielleicht noch 3000 übrig bleiben.

Was machen die 3000 verbleibenden Anlagen anders und zählen Sie sich dazu?

Wir waren früher eine Biogasanlage, die auf 100 Prozent Maiseinsatz geplant und geführt wurde. Heute macht der Anteil noch 20 Prozent aus. Dazu muss man sagen: Der heute oft kritisierte Maiseinsatz war politisch und gesellschaftlich so gewollt. Das mit Mais gewonnene Biogas betreibt bis heute auf unserer Anlage ein Blockheizkraftwerk, das Strom erzeugt.

Aber weil die gesetzlichen Vorschriften immer enger werden, was den Einsatzstoff von irgendwelchen Gasen angeht, war es abzusehen, dass die Zeit des Gases aus Mais enden wird. Und da mussten wir sehen, wie es weitergehen kann. Da wir die gesamte Infrastruktur für die Produktion des Biomethans hier schon hatten, haben wir den Inputstoff gewechselt.

Das geht einfach so?

Nein, wir mussten umbauen, die Anlage in zwei Teile trennen. Ein Strang mit Fermenter, Nachgärer und Gärproduktlager ist weiter die Maisstrecke. Die versorgt das Blockheizkraftwerk. Die anderen Behälter sind alle dafür da, das Rohgas für die Biomethananlage zu produzieren, und das ist mist- und güllestämmig. Eine Tonne Mais wird hier durch zehn Tonnen Gülle ersetzt.

Die Anlage zwischen Grundoldendorf und Apensen wurde mehrfach umgebaut und modernisiert. Heute können hier LNG und flüssiges CO2 hergestellt werden.

Die Anlage zwischen Grundoldendorf und Apensen wurde mehrfach umgebaut und modernisiert. Heute können hier LNG und flüssiges CO2 hergestellt werden. Foto: Bioenergie Geest

Am Ende besteht unser Rohgas aus 50 Prozent Biomethan und 50 Prozent CO2. Gerade heute werden wieder 20 Tonnen verflüssigtes, hochreines lebensmittelechtes CO2 abgeholt. Das geht unter anderem an Mineralbrunnen für kohlensäurehaltige Getränke, aber auch in den technischen Bereich, zum Beispiel als Trockeneis.

Sie haben zuerst das Methan ins Erdgasnetz eingeleitet. Heute produzieren Sie hier LNG und CO2. Was hat den Ausschlag dafür gegeben?

Weil jetzt die Wertschöpfungskette geschlossen wird. Wenn ich heute Gas mit diesen Eigenschaften, die unser Gas mit sich bringt, produziere, kann ich das nur als Kraftstoff, als sogenanntes CNG oder auch als LNG, verkaufen. Anders macht es monetär keinen Sinn.

Wir haben unser Biomethan von Anfang an nicht nur als Strom, sondern auch als Gas vermarktet, seinerzeit haben wir es an BHKW-Betreiber verkauft. Diese haben irgendwo in Deutschland an einem Netzpunkt ein BHKW betrieben und die Verstromung statt mit Erdgas mit Biomethan gemacht. Das war aber immer ein Geschäft, das nicht gefördert war. Wir haben für die Herstellung des Methans nie EEG-Förderung bekommen.

Das war immer privatwirtschaftlich. Wir mussten uns am Markt mit unserem teuer produzierten Biomethan behaupten.

Jetzt nutzen wir in einem geschlossenen Kreislauf und nicht nur auf dem Papier alles aus. Und wir vermeiden massiv Emissionen.

Gülle und Mist haben den großen Nachteil, dass sie Emissionen CO2 freisetzen, wenn sie nicht auf einem gasdicht abgedeckten Platz gelagert werden. Das kann kein landwirtschaftlicher Betrieb allein leisten. Hier bei uns sind Mist und Gülle in einem komplett gasdichten System, wir nutzen es energetisch komplett aus und bringen schlussendlich ein komplett emissionsfreies Produkt als Dünger zurück auf den Acker: das Gärprodukt.

Hat damit auch die Kuh-Haltung als Treibhausgas-Produzent den Schrecken verloren?

Komplett ja. Jetzt reden wir wirklich nur noch von der pupsenden Kuh. Die pupsende Kuh, die durch den Pups Methan ausscheidet, lässt natürlich auch Methan in Gülle und Mist. Eine Tonne Gülle hat ungefähr 20 bis 25 Kubikmeter Biogas. Das holen wir raus, das wollen wir haben. Und Entschuldigung, wenn man der pupsenden Kuh nun völlig das Pupsen verbieten möchte, dann sollte man bei 82 Millionen anderen Pupsern anfangen.

Zur Person

Sven Plorin ist Sprecher des Fachverbandes Biogas für den Bereich Nordhannover. Der Geschäftsführer der Bioenergie Geest GmbH &Co.KG aus Grundoldendorf führt diese von Anfang an. 2011 taten sich 30 Landwirte in der näheren Umgebung zusammen, um nicht viele kleine, sondern eine große Biogasanlage zu bauen und als Gesellschafter zu betreiben. Plorin ist gelernter Chemiker und gelernter Kaufmann. Der 57 Jahre alte gebürtige Buxtehuder wohnt seit über 30 Jahren in Apensen. Bei der Initiative Klimabetrug Stoppen ist die Bioenergie Geest selbst aktiv geworden und gehört zu den Gründungsmitgliedern. Mehr dazu unter www.carbonleaks.de.

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