TDeich-Drama im Alten Land: Oberdeichrichter enttäuscht vom Umweltminister

Auf dem Deich in Hinterbrack wachsen Biotop-Gräser: Beim Bau des Klimaschutzdeiches will das Umweltministerium mehr Öko-Ausgleich festschreiben als es das Gesetz vorsieht. Foto: Vasel
Umweltminister Christian Meyer (Grüne) geht beim Streit um den Öko-Ausgleich auf die Deichverbände zu. Doch sein Vorschlag stößt bei Oberdeichrichter Wilhelm Ulferts nicht auf Begeisterung.
Jork. „Ich verliere langsam die Geduld“, sagte der Oberdeichrichter der Zweiten Meile Alten Landes, Wilhelm Ulferts, nach einem Treffen mit Niedersachsens Umweltminister Christian Meyer dem TAGEBLATT. Das Ministerium missachte weiter, dass die SPD/CDU-Regierung im Jahr 2022 das Niedersächsische Naturschutzgesetz geändert habe, um den Deichbau ein Stück weit zu privilegieren.
Umweltminister rückt von Maximalforderung ab
Auf Grundlage des Gesetzes müsste Ulferts für den Bau eines 2000 Meter langen Klimadeiches in Jork-Hinterbrack nur 1,68 Hektar nachweisen - für zusätzliche Flächen im Fauna-Flora-Habitat-Naturschutzgebiet Elbe und Inseln.
Doch die grünen Ministerialen forderten stattdessen 15 Hektar für den Öko-Ausgleich - für heutige und zukünftige Deichflächen. Kosten für den Steuerzahler: eine Million Euro. Immerhin ist der Umweltminister nun etwas von der Position seines Hauses abgerückt.
Das bestehende Gesetz wolle Meyer trotzdem nicht 1:1 umsetzen, kritisiert Ulferts. Der neue Vorschlag lautet: Öko-Ausgleich auch auf dem Elbdeich selbst, der Ankauf von Grundstücken im Alten Land und Kehdingen könnte reduziert werden, Nutzungskonflikte mit Obstbau und Landwirtschaft ebenfalls.
Des Weiteren sollen Flächen im Zuge der Klimawandelanpassung nicht mehr 1:2, sondern 1:1 ausgeglichen werden. Das heißt: Kreisweit müssten demnach 290 statt 580 Hektar Öko-Ausgleichsflächen für die Erhöhung von 77 Kilometer Elbdeich um bis zu zwei Meter bereitgestellt werden.
Oberdeichrichter setzt auf den sicheren Deich
„Ich bin enttäuscht“, sagte Ulferts trotz alledem. Ein Grund: Der Minister beharre auf dem kosten- und zeitaufwendigen Öko-Ausgleich. Außerdem wolle Meyer, dass Biotopgräser auf dem Deich wachsen. Die Krux: Wichtig sei für die Deichrichter, dass eine feste Grasnarbe den kleiummantelten Sandkern-Deich wie ein Panzer bei Sturmflut schützt.
Bei den vom grünen Ministerium hochgeschätzten mesophilen Gräsern, die auf den extensiv genutzten Wiesen und Weiden wachsen, gebe es „keine wissenschaftlichen Studien zur Scherfestigkeit“, so der Oberdeichrichter. Es sei fraglich, ob der Biotop-Gräser-Mix bei Wellenschlag und Überströmen den Deichschutz gewährleiste. „Ich gehe kein Risiko ein“, sagte Ulferts. Er setzt auf die bewährte Grassaat.
Minister Meyer propagiert den Öko-Deich
„Je grüner der Deich, je ökologischer, desto besser“, sagt hingegen Umweltminister Meyer. Ein artenreicher Deich trage zu Natur- und Deichschutz bei. Ende des Monats soll ein neuer Erlass vorliegen.
Ulferts setzt jetzt auf ein Machtwort von Ministerpräsident Stephan Weil (SPD). Beide treffen sich am 26. Juni. Der Oberdeichrichter und der Wasserverbandstag fordern weiter eine grundsätzliche Privilegierung - sprich Deichbau ohne Öko-Ausgleich wie in Hamburg und Schleswig-Holstein. Das spare viel Zeit.
Allein zwei Jahre dauere die Biotop-Kartierung der Deiche. Außerdem müssten Planfeststellungsverfahren beschleunigt und mehr Wasserbauingenieure beim Niedersächsischen Landesbetrieb für Wasserwirtschaft, Küsten- und Naturschutz eingestellt werden.
Landrat Seefried äußert sich diplomatisch
Der Stader Landrat Kai Seefried (CDU) äußert sich diplomatischer. „Wir haben gespürt, dass unsere Themen im Ministerium durchaus wahrgenommen werden und es in Hannover ein Verständnis dafür gibt“, sagte Seefried. Er und Ulferts begrüßten die Gesprächsbereitschaft. Seefried zeigt sich allerdings zufriedener mit dem Austausch: „Der Minister sieht eine Priorität bei der Herausforderung des Küstenschutzes und den nötigen Schritten, um hier zu einer Beschleunigung zu kommen.“
Der Erlass müsse jetzt schnell kommen. „Wir müssen endlich in die konkrete Umsetzung der Deichbaumaßnahmen eintreten können“, sagte Seefried. Er hofft, dass der neue Erlass den Deichbau „deutlich beschleunigt“. Doch diese Regelung ist für ihn lediglich ein Zwischenschritt.
Seefried schloss sich den Forderungen des Wasserverbandstages an: „Wir benötigen dringend eine ganzheitliche Regelung.“ Dazu gehörten neben der Privilegierung eine auskömmliche Finanzierung - aktuell fließen niedersachsenweit 80 Millionen Euro im Jahr in den Küstenschutz - und mehr Personal bei den Landesbehörden. 600 Millionen Euro würden die neuen Deiche und Sperrwerke allein im Kreis Stade kosten. Eine Umsetzung bis 2050 sei angesichts der Risiken inakzeptabel, sind sich Ulferts und Seefried einig.
Überdies hält Seefried an seinem Ziel eines Masterplans Elbe fest, zu dem sich die Anrainer-Landkreise und -länder sowie Bund bekennen sollen, um Küsten- und Naturschutz flussübergreifend zu sichern und Verschlickungsprobleme in Elbe und Nebenflüssen sowie Häfen in den Griff zu bekommen.