TDeichschau im Alten Land: Wolfspolitik und Öko-Ausgleich sorgen für Frust

Deichschau an der Elbe in der II. Meile Alten Landes zwischen Jork-Lühe und Landesgrenze bei Cranz. Foto: Vasel
Der Elbdeich zwischen dem Lühe-Sperrwerk und Cranz ist sicher. „Die Schaureife ist erteilt“, sagt Oberdeichrichter Wilhelm Ulferts nach der Deichschau. Glücklich ist er trotz alledem nicht. Das liegt nicht nur am Wolf.
Jork. Die Stimmung unter den Deichrichtern ist am Tiefpunkt. Der stellvertretende Oberdeichrichter Hans-Jürgen Bremer spricht nach dem zweiten Wolfsriss auf Hahnöfersand bewegt von „killing fields“. Er fragt: „Gilt der Tierschutz nicht für Deichschafe?“ Mittlerweile seien 15 Tiere tot, einige Kadaver seien auf Schweinesand entdeckt worden.
Doch nicht nur der Wolf und „das Versagen der Politik“ in Brüssel, Berlin und Hannover beschäftigt die Deichschützer, die Abschuss und wolfsfreie Küstenschutz-Zonen fordern. Oberdeichrichter Wilhelm Ulferts lobt nach der Deichschau: „Deichschäfer Vassile Buza hält die Deiche hervorragend in Schuss.“ Seine Schafe seien unverzichtbar für den Deichschutz.

Die Schafen von Schäfer Vasile Buza grasen am Lühe-Sperrwerk mit Blick auf das Unterfeuer. Foto: Vasel
Deichbau noch immer nicht privilegiert
Das Umweltministerium gefährde weiter den Start der Deicherhöhung. Dabei hatte die SPD/CDU-Koalition vor der Wahl 2022 extra das Niedersächsische Naturschutzgesetz geändert. Demnach sollten der Deichbau, wie in Schleswig-Holstein und Hamburg, privilegiert werden. Das heißt: Küsten- und Menschenschutz sollen über dem Naturschutz stehen. Biotope auf bestehenden Deichen dürfen ohne Ausgleich zerstört werden.
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Doch das Umweltministerium von Minister Christian Meyer (Grüne) will das Gesetz nicht so umsetzen, wie es die Vorgängerregierung beabsichtigt hatte. „Das ist eine Missachtung des Parlaments“, sagt Landrat Kai Seefried (CDU). Der Oberdeichrichter der II. Meile Alten Landes, Wilhelm Ulferts, spricht von „gesetzeswidrigem Handeln“. Beim Europatag in Jork sprach Ulferts vor einer Woche deshalb Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) an. Weil sagte zu, sich zu kümmern. Ulferts und Seefried schlagen ein Treffen in Hannover vor.
Streit dreht sich um den Öko-Ausgleich
Der Oberdeichrichter steckt in der Zwickmühle. Die Planfeststellungskommissarin beim Landesbetrieb für Wasserwirtschaft, Küsten- und Naturschutz (NLWKN) in Lüneburg will den Planfeststellungsbeschluss für die Deicherhöhung in Hinterbrack erst unterschreiben, wenn der Verband die eigenmächtige Gesetzesinterpretation der grünen Ministerialen akzeptiert.

Handlungsbedarf: Bei Neuenschleuse haben die Deichgeschworenen auf dem Weg zur Deichschäferei in Borstel ein Absackung von einem halben Meter entdeckt. Foto: Vasel
Das heißt: Die Altländer müssten statt 1,68 Hektar stolze 15 Hektar für den Öko-Ausgleich nachweisen - für Maßnahmen auf dem bestehenden Deich und für zusätzliche, noch nicht vom heutigen Deichkörper beanspruchte Flächen. Damit wäre allerdings auf einem Schlag die nahezu komplette Kompensationsfläche für den Deichbau im gesamten Alten Land futsch - für einen Deichabschnitt von lediglich 2000 Metern. Die Jorker wollten einen kleinen Weidengürtel am Auwald anlegen. Dabei, so Ulferts, werden die Biotop-Gräser in kürzester Zeit wieder auf dem neuen Deich wachsen.
Ministerium verzögert Planfeststellungsbeschluss
Der Planfeststellungsbeschluss war für September angekündigt worden. „Wenn ich unterschreibe, würde ich allen Deichverbänden in Niedersachsen in den Rücken fallen. Das mache ich nicht“, sagt Ulferts. Er hofft, dass Weil ein Machtwort spricht und auf die Einhaltung des Gesetzes pocht.
Anwälte und Wasserverbandstag sind eingeschaltet, die Landtagsabgeordneten Corinna Lange (SPD), Melanie Reinecke (CDU) und Birgit Butter (CDU) unterstützen Ulferts. Die Krux: In einer Antwort auf Butters Anfrage behauptet das Ministerium, dass es den Erlass, auf den sich die Kommissarin beruft, gar nicht gibt. Doch dem TAGEBLATT liegt das verwaltungsinterne Papier vor.
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Bereits bei der Küstenschutzkonferenz im Januar in Stade hatten Seefried, Ulferts und Oberdeichgraf Dr. Albert Boehlke vom Deichverband Kehdingen-Oste an Meyer appelliert, das alles zu verhindern. Meyer kannte den Erlass seinerzeit angeblich nicht, ein Brief des Landrates aus dem März blieb unbeantwortet, ein zweiter an Weil und Meyer ist raus.
Neues Siel soll bis zum Herbst fertig sein
Damit zumindest das neue Siel in Hinterbrack noch in diesem Jahr - ohne Planfeststellungsbeschluss - nach Verlegung der Rohre unterhalb der K39 im vergangenen Jahr weitergebaut werden kann, wird der Kreis Stade eine deichrechtliche Genehmigung erteilen.
Im April soll die Baumaßnahme vom NLWKN ausgeschrieben werden. Vor der Sturmflutsaison im Herbst 2024 soll das Auslaufbauwerk fertig sein. 2025 könnte - sollte das Land sich bewegen - der neue acht Millionen Euro teure Klimadeich inklusive Fertigstellung des Siels auf 9,40 Meter Normalhöhennull auf einer Länge von 2000 Metern in Angriff genommen werden.

Der Deichverband möchte den Stall auf Hahnöfersand von Hamburg erwerben, bislang ist dieser gepachtet. Foto: Vasel
Ulferts begrüsste bei der Deichschau, dass sich der Rat der Gemeinde Jork einstimmig für Sondierungsgespräche mit Hamburg für den Erwerb von Hahnöfersand von Hamburg ausgesprochen hat.
Doch die Hamburger wollen nicht mitspielen. „Es bestehen keine Verkaufsabsichten“, sagt André Stark von der Stadtentwicklungsbehörde. Für die Stadt sei es „grundsätzlich denkbar, dass der Deichverband die für die geplante Deicherhöhung notwendigen Flächen erwerben kann“. Vom Verband vorgesehene Flächen zur Lagerung von Klei könnten - wie bereits der Schafstall - gepachtet werden.

Blick ins das Gefängnis-Hafenbecken auf Hahnöfersand, hier könnte der Klei für den Deichbau und die Kleilager angelandet werden. Foto: Vasel