TDer Lühe-Anleger: Ein Paradies mit kleinen Schönheitsfehlern

Thorleif Krüger aus Stade würde gerne Fähre fahren. Aber mit Rollstuhl ist der Zugang über den Steg bei Niedrigwasser viel zu steil. Samtgemeindebürgermeister Timo Gerke hofft auf Fördergelder für eine neue Planung. Foto: Anping Richter
Pötte gucken, Leute treffen: Freunde des Lühe-Anlegers sind von seiner Atmosphäre fasziniert. Aber nicht blind vor Liebe, erfährt TAGEBLATT-Reporterin Anping Richter am dritten Tag am L.A.
Grünendeich. „Ich habe etwas für Sie“, sagt Julia Cirkel in der Tourist-Info Altes Land zur Begrüßung und hält eine Postkarte in kalifornischen Pastelltönen hoch. Darauf steht: „I ♥ L.A.“.
Die Karte hat die Grafikerin Saskia Radtke gestaltet und nur die wichtigsten Dinge darauf abgebildet: Sonne, Elbe, Deich, Schafe, Möwe, Frachtschiff, blühender Obstbaum, Radfahrer und natürlich den Lühe-Anleger samt Ponton mit Wellenreiter-Imbiss
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Die Liebe zum L.A. gibt es auch als Postkarte: Julia Cirkel von der Tourist-Info verkauft sie. Foto: Anping Richter
Früher Imbiss, heute Büro
Die Tourist-Info ist nicht am Lühe-Anleger, sondern hinter dem Deichtor auf der anderen Straßenseite zu finden. Obwohl sie etwas versteckt liegt, dürfte fast jeder sie kennen, denn sie liegt direkt neben den einzigen öffentlichen Toiletten weit und breit.
„Können Sie wechseln?“, fragt eine Frau. Ihr ganzes Kleingeld sei sie schon im Parkautomaten losgeworden. Klar kann Julia Cirkel helfen. Sie hält immer Wechselgeld bereit - allerdings nur zu den Öffnungszeiten der Tourist-Info.
Dort, wo ihr Büro ist, war bis vor zwei Jahren noch ein Imbiss: „Manchmal kommen immer noch Leute und fragen nach Pommes“, berichtet sie lachend.
Die Tourist-Info hierher zu verlegen, war eine gute Entscheidung, findet sie. Hier kommen die meisten Touristen unweigerlich vorbei. Noch besser wäre es nur noch direkt am Anleger.
Montags ist in der Tourist-Info immer am meisten los
Der Montag ist für Julia Cirkel im Tourist-Info der Hauptkampftag. Dann kommen die über das Wochenende angereisten Touristen meist zu ihr, um sich einen Überblick zu verschaffen: Verkehrsverbindungen, Sehenswürdigkeiten in der Region, Schwimmbad.
Die Altländerin, die in Hollern-Twielenfleth aufgewachsen ist und jetzt in Grünendeich lebt, ist schon von Haus aus gut informiert. Außerdem war sie 15 Jahre lang Assistentin der Geschäftsleitung im Hotel ObstArt. „Für Tourismus habe ich schon lange eine Leidenschaft.“
Richter in L.A.
T Von Sturmfluten bis Klimadeich: Der Lühe-Anleger und die Naturgewalten
Die Blüte ist die Hochsaison: Am 28. April, dem bisher besten Tag des Jahres, hatten sie 95 Besucher in der Info. Zurzeit sind es 30 bis 40, je nach Wetter.
Im Herbst kommt dann wieder eine Hochphase, und im Oktober ist Schluss. „In Krautsand ist das anders“, sagt Julia Cirkel. Ein Wellness-Hotel wie das Elbresort ziehe auch im Winter Gäste. So etwas im Alten Land - für sie wäre das ein Traum.
Am Lühe-Anleger ist die Bargeld-Ära nicht vorbei

Die öffentlichen Toiletten sind nur mit einer 50-Cent-Münze zugänglich. Foto: Anping Richter
Bargeld ist ein Thema - nicht in der Tourist-Info, aber am Anleger. Auch die Wohnmobilisten müssen am Automaten mit Kleingeld zahlen, sofern sie nicht die Park-App benutzen. „12 Euro, so viel hat doch kein Mensch dabei“, hat vorhin eine Frau auf die Frage gesagt, wie es ihr am L.A. gefällt. Sie regt etwas eigentlich nicht Ungewöhnliches an: Kartenzahlung.
Auf dem Wohnmobil-Stellplatz am Lühe-Anleger ist der 73-jährige Peter aus Oldendorf gerade eingetroffen. Er hat ein Faible für Schiffe, war schon zum Hafengeburtstag und zu den Cruise Days da und hat die Gorch Fock, die Alexander von Humboldt und die Queen Mary II bewundert - unter anderem.
Bleiben will er aber nur eine Nacht: „Hier gibt es ja keine Entsorgungsmöglichkeit.“ Das monieren auch seine Nachbarn: Sie haben die Nacht davor auf dem Platz beim Stadeum verbracht. Dort kostet es 20 Euro. „Aber dafür wird einem auch etwas geboten.“

Peter aus Oldenburg hat den Tipp für den Wohnmobilstellplatz am L.A. aus diesem Magazin. Foto: Richter
Nur drei Kilometer entfernt können Wohnmobile ihre Toiletten an der Station beim Klärwerk in Wetterndorf entleeren. Doch bei der Rückkehr kann der Platz dann schon anderweitig besetzt sein.
Die Auslastung auf dem Platz stimmt auch ohne Entsorgung, sagt Julia Cirkel: „Es mutet manchmal an, als wäre die Zeit hier stehengeblieben. Aber manche Leute schätzen auch genau das.“
Am L.A. ist es wie auf einer Piazza im Süden
Sie findet, dass der L.A. eine besondere Atmosphäre hat. Jeden Morgen steigt sie auf den Deich und saugt sie ein, bevor sie in ihr Büro hinterm Deich geht. Ob es der Algengeruch ist, der weite Blick, die Schiffe?
Wahrscheinlich von allem etwas. Und der soziale Faktor: L.A. ist der Treffpunkt im Alten Land. Wer sich vor eine der acht Buden setzt, hat auch alle anderen im Blick, trifft alte Bekannte oder kommt mit neuen ins Gespräch, wie auf einer Piazza im Süden. Das gibt es im Alten Land mit seinen Marschhufen- und Deichhufendörfern sonst nirgends.
„Es ist eine liebenswerte Landschaft“, sagt Renate, die mit ihrem Mann Bernd aus dem Rheinland erstmals das Alte Land erkundet - mit dem Fahrrad von ihrer Ferienwohnung in Jork aus. Foto: Anping Richter
Auf ihrem Weg nach Antwerpen zieht die 366 Meter lange MSC Natasha vorbei. Der Stader Thorleif Krüger mag es, vom Lühe-Anleger aus Schiffe zu beobachten und die Brise zu schnuppern, die schon etwas nach Meer riecht. Er würde auch gerne an Bord der Lühe-Schulau-Fähre gehen, die gerade abfährt.
Doch mit seinem Rollstuhl geht das nicht: Es ist Niedrigwasser, und dann ist die Brücke extrem steil. Es ist ein guter Zufall, dass er gerade jetzt auf Timo Gerke trifft. Der Bürgermeister der Samtgemeinde Lühe ist nicht nur zuständig, er kennt das Problem.
Innovative Planung könnte Klimadeich zur Tribüne machen
Gegenüber in Schulau, wo die Fähre ankommt, ist der Anleger komplett barrierefrei, weiß er. Doch ein Umbau würde viel Geld kosten, und die Samtgemeinde Lühe ist finanziell klamm. Gerke hofft auf Fördergelder, und zwar im Rahmen einer neuen Gesamtplanung.
Dabei spielt die kommende Deicherhöhung eine Rolle. Die muss nicht das Ende von L.A. bedeuten, sondern könnte auch eine Chance sein, hofft Gerke: mit einer Planung, die Deichschutz und Tourismus unter einen Hut bringt.
Timo Gerke kommt ins Schwärmen: Der Deich könnte ein Bauwerk mit Stufen werden, die sich auch als Tribüne nutzen lassen - für Veranstaltungen, Konzerte, Theater. So etwas gibt es schon, in Finkenwerder und an den Landungsbrücken.
Der Altländer Theatermann Kai Helm habe einen modernen Schimmelreiter für die Bühne verfasst, den er sich sehr gut als jährliches Festspiel vorstellen könnte. Bayreuth im Alten Land.
Lühe-Anleger sollte erhalten bleiben
Letztlich wäre der Niedersächsische Landesbetrieb für Wasserwirtschaft, Küsten- und Naturschutz (NLWKN) dafür zuständig, ein solches Bauwerk zu genehmigen. Auch Henrike Lühders, die Gemeindedirektorin von Grünendeich, findet, dass der touristisch hochattraktive Lühe-Anleger erhalten werden sollte.
Mit NLWKN und Landkreis ist sie bereits in Gesprächen darüber, wie eine Umgestaltung unter Einhaltung des Deichschutzes aussehen könnte. Wie Timo Gerke hofft auch sie, dass im Rahmen des Leader-Programms für eine entsprechende Planung Fördertöpfe angezapft werden könnten.
Serie: Richter in L.A.
2022 stand TAGEBLATT-Reporterin Anping Richter im Kiosk hinter der Theke und im vergangenen Jahr heuerte sie auf der Elbfähre an. In diesem Sommer erobert sie L.A. - aber nicht in den USA, sondern im Alten Land. L.A. nennen die Altländer ganz liebevoll den Lühe-Anleger in Grünendeich. Von Gastronomie bis Fähre, von Tourist bis Deichschäfer - was sie dabei täglich erlebt, lesen sie im TAGEBLATT und auf TAGEBLATT online.