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Gastronomie

TEstebrügges letzte Kneipe: Bei Holst ist die Küche Chefsache

Meike Holst steht seit mehr als einem halben Jahrhundert hinter dem Tresen.

Meike Holst steht seit mehr als einem halben Jahrhundert hinter dem Tresen. Foto: Felsch

26 Kneipen gab es früher in den Dörfern um Estebrügge, heute nur noch eine. Warum die Gaststätte Holst immer noch gut besucht ist, verraten die Wirtsleute und ihre Gäste.

Von Franziska Felsch Dienstag, 22.07.2025, 19:15 Uhr

Estebrügge. Wer sie nicht kennt, fährt garantiert dran vorbei: Die Gaststätte Heinrich Holst in der Estebrügger Straße 93 sieht von außen aus wie eines der schmucken Wohnhäuser oben auf dem Deich. Wer genauer hinschaut, sieht das Gasthaus-Schild über der Tür und wer eintritt, fühlt sich zurückversetzt in eine andere Zeit. Mindestens 50 Jahre scheinen hier spurlos vorübergegangen zu sein, was aber durchaus seinen Reiz hat.

Von der breiten Diele mit den gepolsterten Stühlen, Grünpflanzen, der Anrichte aus der Gründerzeit und den alten Familienporträts geht es rechts in die Mini-Gaststube.

Blick in die alte Diele.

Blick in die alte Diele. Foto: Felsch

Am Fenster auf der Eckbank sitzt die Würfelrunde, die sich hier regelmäßig zum Knobeln trifft. Die Spieler sprechen wenig, ab und an sind sie laut und lachen ein bisschen schadenfroh, wenn jemand mal wieder nicht seine ersehnte Punktzahl erreicht. Lieb gemeinte Frotzeleien wechseln sich ab mit den Kommentaren zu dem Würfelergebnis. Zwischendurch wird an der Zigarette gezogen und nach der Wirtin geklingelt. Meike Holst eilt herbei, um die Bestellung aufzunehmen. „Nochmal eine Runde?“, fragt sie. Kurzes Nicken, um sich dann wieder auf das Spiel zu konzentrieren. Knobeln scheint eine ernste Angelegenheit zu sein - auch das erinnert an eine Zeit, als sich die Leute in der Kneipe trafen, statt vor dem Fernseher zu hocken.

Heute Clubzimmer - früher Elektrofachgeschäft

Ein großes TV-Gerät hängt über der Theke, wird aber kaum eingeschaltet. „Brauchen wir nicht, die Gäste unterhalten sich lieber“, weiß die 79-jährige Wirtin, die die Schnäpse - ob farbig oder klar - am Tisch nachschenkt, mit den Gießern an der Flasche, so wie es immer schon üblich war.

Holst ist ein Familienunternehmen. „Wir sind die fünfte Generation, seit Anfang des 19. Jahrhunderts ist meine Familie hier ansässig“, rechnet Heinrich Holst, genannt Heino, nach und zeigt die Visitenkarte mit einem Schwarz-Weiß-Foto, Datum unbekannt.

Wirt Heino Holst mit einem Foto der Gastwirte von früher.

Wirt Heino Holst mit einem Foto der Gastwirte von früher. Foto: Felsch

Seine Mutter hat hier schon hinter der Theke gestanden. Dort, wo sich heute die beiden Clubzimmer befinden, war ihr Wohn- und ihr Schlafzimmer. Noch früher bezogen fünf Gesellen dort Quartier. „Vorne raus befand sich der Elektroladen“, erzählt Heinrich Holst, gelernter Elektromeister wie sein Vater Wally. „Wir wollten nie eine Kneipe“, fügt der 81-Jährige hinzu. Seine Frau (79) nickt. Die gelernte Buchhalterin, gebürtig aus Cranz, hatte in die Gastronomie eingeheiratet. Im Nachhinein sind beide ganz froh, dass es so gekommen ist. Sie hatten und haben Gefallen an ihrem Job gefunden, lieben es, die Gäste zu bewirten und sich zu unterhalten. „Uns würde was fehlen, wenn wir ganz schließen würden, wegen des Geldes machen wir das nicht“, betont das Paar.

Essen nur auf Vorbestellung

Seit ein paar Jahren treten sie aber kürzer: Derzeit ist montags, donnerstags und freitags ab 17 Uhr geöffnet. Schluss ist, wenn der letzte Gast geht. Da ihre Wohnung eine Etage höher liegt, haben es die Wirtsleute zumindest nicht so weit, wenn es doch mal wieder etwas länger dauert.

Im Garten, der an die Este grenzt, standen im Sommer Tische und Stühle. „Das wurde uns zu viel, obwohl unsere Tochter Mareike am Wochenende aushilft“, so Meike Holst.

Essen gibt es nur nach Vorbestellung für Gruppen oder Gesellschaften. „Aber dann mache ich alles selber, angefangen vom Gemüsewaschen und -schnippeln bis hin zum Kochen, an den Herd lasse ich keinen ran“, sagt die 1,50 Meter große Wirtin mit Nachdruck. Die Küchenhilfe darf hinterher aufräumen, sauber machen und beim Servieren helfen.

Pferde-Parkplatz vor dem Gasthof

Die Kegelbahn gibt es nicht mehr. „Die Kugel ist oft in die Este gerollt und musste mit dem Boot geborgen werden“, erinnert sich Heino Holst.

Er weiß auch noch, was die Eisenringe an den Häusern bedeuten. „Da band man die Pferde an, das heißt, die meisten Männer haben einfach nur das Seil durchgezogen und sind dann ab in die Wirtschaft. Die Tiere bekamen einen Eimer Wasser vorgesetzt, während ihre Halter ihren Durst im Schankraum löschten.“

Die letzte Gaststätte auf dem Deich in Estebrügge.

Die letzte Gaststätte auf dem Deich in Estebrügge. Foto: Felsch

Dazu gehörte sein Großvater. Der hatte einen Einspänner, mit dem er die Milchkannen ausfuhr. „Als er sich einen größeren Wagen zulegte, verkaufte er seinen alten an den Pastor samt Pferd. Der Pfarrer brachte den Gaul nach nur einer Woche zurück, weil der an jeder Kneipe stehen blieb, das war er so gewohnt von Opa, der immer durstig war“, erzählt Hein Holst lachend, der viele solcher Anekdoten kennt: vom Schnapsbrennen mit dem Wachtmeister, von seinem Urgroßvater, der 1903 das Kino betrieb, vom Schwertschlucker, der in den Goldenen 20ern hier auftrat, von erotischen Filmen und von Richard Stücklein, dem späteren Vizepräsidenten des Deutschen Bundestags, der in seiner Jugend als Wanderbursche Estebrügge kennengelernt hatte und als Politiker mit Eskorte der Kneipe wieder einen Besuch abstattete.

„Ich habe dann seine ehemaligen Freundinnen dazu eingeladen“, schmunzelt der Wirt, der mindestens ein Buch schreiben könnte. Hat er nicht vor, verweist aber auf die Bücher von Konrad Schittek, der Estebrügge in seinen Büchern, die in der Gaststube ausliegen, ein Denkmal gesetzt hat.

Stammgäste erinnern sich an legendäre Kinoabende

„Mit der Kneipe verbinde ich viele Kindheitserinnerungen“, meint Benno Dammann, ehemaliger Nachbar. „Als Jungs haben wir in der Este gebadet, aus dem Garten Birnen geklaut und sind oben ins Kino gegangen. Seitdem zieht es uns immer wieder her“, so der 66-Jährige.

Kindheitserinnerungen werden wach bei den Stammgästen Benno und Christel Dammann.

Kindheitserinnerungen werden wach bei den Stammgästen Benno und Christel Dammann. Foto: Felsch

„Das muss man doch unterstützen“, bestätigt seine Frau. „Wir haben die Konfirmation unserer Kinder hier gefeiert und auch die kommen gerne her und fühlen sich wohl“, sagt Christel Dammann.

„Ja, wir haben hauptsächlich Stammgäste“, freut sich Meike Holst. Montags treffen sich die Stammtische, Donnerstag und Freitag die Knobelrunden, der Sparkassenclub und Gäste, die auf ein Bierchen einkehren. 20 Personen passen in den Raum, der eher wie ein gemütliches Wohnzimmer anmutet. Stimmengewirr vom Nachbartisch tönt herüber. Das stört niemanden. Man kennt sich, zumindest vom Sehen. Die Feuerwehr und der Schützenverein treffen sich hier zu ihren Versammlungen.

Konzentrierte Knobbler: Margret, Georg, Wolfgang, Cord und Eckard treffen sich regelmäßig bei Holst.

Konzentrierte Knobbler: Margret, Georg, Wolfgang, Cord und Eckard treffen sich regelmäßig bei Holst. Foto: Felsch

Anfang der 80er ersteigerte das Ehepaar Holst das Mobiliar vom Hotel Lindemann ein paar Meter weiter auf der anderen Straßenseite und stattete seine Gaststätte damit aus. Den Estehof und De olle Sparkass gibt es ebenfalls nicht mehr, somit ist die Gaststätte Holst die letzte verbliebene Kneipe in Estebrügge.

„Eine gemütliche Kneipe, wie man sie von früher kennt. Meike und Heino Holst leben für ihre Gaststätte. Man fühlt sich einfach wohl. Hoffentlich macht ihr noch lange weiter“ schreibt ein Nutzer in seiner Bewertung im Internet. Fünf Sterne für ein altes Kleinod.

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