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Obstbau

TRekordverdächtig: Milder Winter sorgt für Blüten-Turbo im Alten Land

Folge des Klimawandels: Die ersten Kirschen im Alten Land blühen bereits.

Folge des Klimawandels: Die ersten Kirschen im Alten Land blühen bereits. Foto: Vasel

Das Alte Land blüht auf - deutlich früher als in der Vergangenheit. Der milde Winter sorgt dafür, dass das Naturschauspiel schon jetzt beginnt. Das hat auch Folgen für das Blütenfest.

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Von Björn Vasel
Mittwoch, 03.04.2024, 08:50 Uhr

Jork. Der warme Februar habe „wie ein Turbo gewirkt“, sagt der stellvertretende Leiter des Obstbauzentrums Esteburg, Dr. Matthias Görgens. Die ersten Kirschen blühen. Bei den Äpfeln läuft der Countdown. Viele Sorten - wie Boskoop - sind bereits im Stadium Rote Knospe. Bedeutet: Die roten Blütenblätter sind sichtbar. Die Obstbau-Experten rechnen bei der Kirsche ab dem Wochenende mit der Vollblüte. Danach folgt der Apfel.

Obstbäume blühen im Alten Land so früh wie noch nie

18 Millionen Obstbäume werden in den kommenden Tagen und Wochen ihre volle Pracht entfalten. Beim Altländer Blütenfest am 4./5. Mai werden die Besucher die Blüten deshalb lediglich auf dem Flunkkranz der neuen Blütenkönigin sehen.

Görgens spricht von der frühesten Blüte der vergangenen sieben Jahre. Ein Grund sei der „insgesamt zu warme Winter mit dem rekordverdächtigen Februar“. Dieser war fünf Grad wärmer als der durchschnittliche Februar. Der Esteburg-Vize verweist für die Einordnung auf das Entwicklungsstadium der Apfel-Sorte Boskoop. Dieser befand sich am 25. März 2024 zwischen Grüner und Roter Knospe. Im vergangenen Jahr war dieses Stadium erst am 10. April erreicht. Dieses Jahr haben die Äpfel einen Vorsprung von 16 Tagen im Vergleich zum Vorjahr. Gegenüber dem Sieben-Jahre-Durchschnitt betrage der Vorsprung elf Tage.

Der Klimawandel lasse sich nicht leugnen, betont der Leiter des Obstbauzentrums, Dr. Karsten Klopp. Extremwetterereignisse nehmen zu. Sein Kollege Professor Dr. Roland Weber verweist auf die Esteburg-Wetteraufzeichnungen. Seit den 1970er Jahren habe sich die Jahresdurchschnittstemperatur um zwei Grad erhöht. „Generell vollzieht sich der klimawandelbedingte Temperaturanstieg in Nordeuropa besonders schnell“, sagt Weber. Seit 1976 habe sich die Obstblüte an der Niederelbe um 25 Tage nach vorne verschoben. Zum Vergleich: In Südtirol habe die Verfrühung im selben Zeitraum nur 12 Tage betragen.

Klimawandel freut Schädlinge

Milde, feuchte Winter und die Verfrühung bei Knospenaufbruch und Blüte stellen die Obstbauern im integrierten und ökologischen Obstbau vor große Herausforderungen. Für viele Schädlinge ist der Klimawandel ein Freudenfest. Etablierte Schädlinge wie der Apfelblütenstecher werden durch milde Winter begünstigt. Und der Apfelwickler bildete bereits zwei Generationen aus. Prognostiziert war das erst für die 2060er Jahre.

Neue Schädlinge wie die aus Fernost nach Südeuropa eingeschleppten Grünen Stinkwanzen oder Marmorierten Baumwanzen sind auf dem Vormarsch, erste Exemplare haben den Hamburger Teil des Alten Landes erreicht. In Italien richtete Letztere im Jahr 2016 bereits Schäden in Höhe von mehr als 500 Millionen Euro im Obst- und Weinbau an, ein Drittel der Ernte wurde geschädigt. Der toxische Wanzen-Speichel deformiert Äpfel und Birnen. Diese können nicht mehr als Tafelobst vermarktet werden.

Samurai-Wespe soll gegen die Stinkwanze helfen

Weber beklagt, dass die Zulassung von biologischen Mitteln - im Gegensatz zu Italien (Südtirol) - in Deutschland im Schneckentempo laufe. Der Wissenschaftler mahnte eine Zulassung für einen Gegenspieler der Wanze an: die Samurai-Wespe. Im Januar hatten die Altländer die niedersächsische Landwirtschaftsministerin Miriam Staudte (Grüne) um Hilfe gebeten. Die Krux: Auch in dieser Saison wird es in Deutschland immer noch keine Nützlingsverordnung geben.

Insbesondere der Bedarf an Insektiziden wird sich durch den Klimawandel erhöhen, ist Weber überzeugt. Er sagt: Die generelle Artenvielfalt wird durch Klimawandel und andere Faktoren mutmaßlich stärker beeinflusst als durch Insektizide. Er spricht von einer wachsenden Instabilität des Produktionssystems und der Räuber-Beute-Beziehungen. Die Verfrühung stelle den Obstbau auch im Arbeitsalltag vor neue Herausforderungen, die Zeit für den Winterschnitt verkürzt sich deutlich. „Der Arbeitsaufwand im März steigt“, so Görgens. Aktuell haben die Obstbauern vor allem einen Feind durch den milden Winter: den Apfelschorf-Pilz. Aber auch neue Schadpilze breiten sich aus und werden aggressiver.

Bienen-Einwanderung ab dem Wochenende

Zurück zur Obstblüte: Die Kirschen stehen auf fünf Prozent der Fläche an der Niederelbe, die Äpfel auf 90 Prozent. Am Wochenende beginnt die Bienen-Einwanderung, rund 80 Millionen Bienen werden ins Alte Land einfallen, mehr als 3500 Völker werden die Imker aufstellen. Auch auf Hummeln und Wildinsekten setzen die Bauern zur Bestäubung. Für eine gute Apfelernte sind 250.000 Früchte beziehungsweise befruchtete Blüten pro Hektar ausreichend – rund 120 pro Baum. Die Obstbauern verzichten tagsüber freiwillig auf Pflanzenschutzmaßnahmen und behandeln blühende Kulturen erst nach dem täglichen Bienenflug. Mehr als 80 Prozent der Apfelplantagen werden im Frühjahr durch die Frostschutzberegnung geschützt - dank der guten Wasserverfügbarkeit. Diese werde immer wichtiger. Denn beim Spätfrost gibt es keine Verfrühung.

Ab dem Wochenende beginnt die Bienen-Einwanderung im Alten Land.

Ab dem Wochenende beginnt die Bienen-Einwanderung im Alten Land. Foto: Vasel

Der Klimawandel werde - mit mehr Aufwand - an der Niederelbe auch deshalb beherrschbar sein, so Görgens. Während in Italien der Birnenanbau stark zurückgeht oder sich der Apfelanbau in Spanien/Katalonien in höhere Lagen oder in Küstennähe zurückzieht, ergeben sich für die Altländer neue Chancen: etwa in der Ausweitung des Birnenanbaus.

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