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24-Stunden-Reportage

TSeit 40 Jahren: Mit dem rollenden Kaufmann unterwegs durchs Alte Land

Inge Renzow freut sich, wenn Uli nach Estebrügge kommt.

Inge Renzow freut sich, wenn Uli nach Estebrügge kommt. Foto: Felsch

Seit 40 Jahren tourt der rollende Kaufmann durch die Region und beliefert seine Kunden mit Lebensmitteln und Drogerieartikeln. Eine Stunde war das TAGEBLATT mit an Bord.

Von Franziska Felsch Samstag, 26.07.2025, 19:20 Uhr

Jork. Los geht es im Zentrum von Jork. Hier, unweit der Altländer Festhalle, stoppt der weiße Lieferwagen vor einem der Häuser. Bevor er einparkt, hupt er dreimal. Stammgast Peter Liebald lässt nicht lange auf sich warten. Er hat bereits per Whatsapp die Nachricht erhalten, dass Ulrich Griener oder Uli, wie ihn alle nennen, um etwa 17 Uhr da ist. Ihm gefällt das Sortiment, das der rollende Kaufmann anbietet - Bioware und Artikel, die es sonst nicht in den Supermärkten gebe. Wie die Aufbackbrötchen, die liebt der 67-Jährige besonders. „Und es ist eine schöne Sache, die ich gerne unterstütze“, sagt Peter Liebald - ein Argument, das auch die anderen Kunden an diesem Freitag äußern.

Lebensmittel und Drogerieartikel

Es ist wirklich erstaunlich, was sich alles in dem kleinen, zwölf Quadratmeter großen Transporter mit eingebautem Kühlregal unterbringen lässt. Frisches Obst, Gemüse, Pflanzen - vieles stammt aus dem eigenen Garten von Uli Griener, der auf einem Resthof in Kehdingen lebt - aber nicht nur. Sein Angebot muss sich nicht verstecken: Molkereiprodukte, Getränke, Brot, Eier, Fleisch, Wurst, Süßigkeiten, Haushaltswaren und Drogerieartikel wie Shampoo oder auch Waschpulver gehören dazu - was der eigene Garten nicht hergibt, bezieht er vom Bio-Großmarkt.

Alles ist ordentlich und übersichtlich in Regalen an der Wand oder auf dem Boden verstaut. Es ruckelt und klappert, als der Wagen sich wieder in Bewegung setzt, auf zum nächsten Ziel. In der Lindenstraße wartet Angela Rüsch schon, vor deren Haus das Fahrzeug stoppt. Die Jorkerin kauft seit 35 Jahren bei Uli ein. Damals hat sie über Bekannte von dem Angebot erfahren, und da es ihr so gut gefiel, ist sie treu geblieben. „Klar, gibt es heutzutage genug Möglichkeiten einzukaufen, aber das mit Uli ist eine liebgewonnene Gewohnheit und obendrein gibt es immer einen netten Small Talk, wo hat man das denn heutzutage noch“, sagt Angela Rüsch. „Dann bis zum nächsten Mal“, verabschiedet sie sich und geht mit einem voll beladenen Korb nach Hause.

Stammkunden lieben den Small Talk

Der dritte Stopp kurz vor Feierabend ist in Estebrügge. „Hier dauert es gewohnheitsmäßig immer etwas länger, weil ich hier mehrere Kunden habe“, sagt Uli und parkt kurz vor der Brücke, direkt an der engen, vielbefahrenen Straße. Auf sein Hupen reagiert erst mal niemand. „Das dauert ein bisschen, kenn ich schon, hier hat man Zeit, macht aber nix“, sagt Uli und schmunzelt, bevor er die kleine Anhöhe rauf zu den Häusern auf dem Deich geht und klingelt. Inge Renzow öffnet und folgt ihm zum Tante-Emma-Laden auf vier Rädern. Uli verzieht sich in den Kassenbereich, damit seine Kundin den Gang abschreiten kann. Bei zwei Personen wird es eng. Inge Renzow hält sich nicht lange auf, sie weiß, was sie will und greift zielstrebig in die Kiste mit den Zucchini - die aus eigenem Anbau.

Stammgast Peter Liebald kauft regelmäßig beim rollenden Kaufmann ein.

Stammgast Peter Liebald kauft regelmäßig beim rollenden Kaufmann ein. Foto: Felsch

„Ich nutze das eigentlich nur unregelmäßig, aber ich finde es einfach großartig“, erklärt sie. „Heute brauch ich nur wenig“, sagt sie zu Uli gewandt, bezahlt eine Zucchini und ein Päckchen Brot, plaudert noch ein bisschen und verschwindet dann wieder in ihrem Häuschen.

Die älteste Kundin ist 93 Jahre alt

„Viele meiner Kunden, die meisten davon sind Stammkunden, haben kein Geschäft in der Nähe, sind nicht mobil und daher dankbar, dass ich vorbeikomme und so ziemlich alles, was das Herz begehrt, dabei habe“, sagt Uli Griener. Seine älteste Kundin ist 93, sein ältester Kunde 82 Jahre alt. „Dort, wo die wohnen, ist es noch sehr, sehr ländlich und kein Geschäft für den täglichen Bedarf in der Nähe“, weiß der Kaufmann. So wie früher.

Da gab es längst nicht an jeder Ecke Lebensmittelläden. Dafür Lieferungen bis vor die Haustür - vom Bäcker über den Eiermann bis zu den Landwirten, die ihre Produkte in die entlegensten Dörfer brachten. Irgendwann, als die Supermärkte aus dem Boden schossen, ebbte diese Art von Geschäftsmodell wieder ab. Es lohnte sich nicht mehr, die Kunden fuhren lieber mit dem Auto zum Einkaufen.

Dennoch, es gibt sie auch heute noch, die strukturschwachen Regionen, in denen Geschäfte fehlen. Für eine bessere Lebensqualität in diesen Gegenden entstehen mittlerweile Läden wie in Sauensiek, wo man rund um die Uhr einkaufen kann - mit einer App gelangen die Kunden, die sich vorab registriert haben, ins Geschäft und zahlen auch per Handy. Aber wer nicht gerade um die Ecke wohnt und schlecht zu Fuß ist oder kein Auto besitzt, für den sind solche Geschäfte keine Alternative.

Ulrich Griener führt ein umfassendes Sortiment in seinem kleinen Wagen.

Ulrich Griener führt ein umfassendes Sortiment in seinem kleinen Wagen. Foto: Felsch

Besser und bequemer sind die Tante-Emma-Läden auf Rädern, denn dafür müssen die Kunden lediglich vor die Haustür. Und wenn selbst das nicht möglich ist, trägt ihnen Uli die Waren ins Haus. Oder wenn die Kiste mit den Apfelsaftflaschen zu schwer ist - das gehört hier zum Service.

Reich werde man damit nicht, aber so lange es geht, will er weitermachen, sagt der 64-Jährige, eben weil er Spaß dran habe an dem direkten, netten Kontakt mit seinen Kunden.

Sieben Stunden hinter dem Steuer

Viermal die Woche, von Dienstag bis Freitag, ist Uli Griener unterwegs auf verschiedenen Touren. Sieben bis acht Stunden sitzt er täglich hinterm Steuer, und das seit den 1970ern. Vier Millionen Kilometer sei er wohl schon gefahren, habe mehrere Fahrzeuge „verbraucht“, neue angeschafft und sein Sortiment immer mal wieder angepasst, um auf dem neuesten Stand zu sein.

Jede Woche gibt es Sonderangebote, das Plakat mit den günstigen Artikeln hängt direkt neben dem Eingang. Etwas teurer ist es zwar schon als die Waren im Supermarkt, doch dafür ist alles Bio und von ihm persönlich ausgesucht.

Der Kunde spare außerdem Benzin. Und Zeit. Die kann er dann mit Uli verplaudern und sich noch den einen oder anderen Tipp holen. Denn Ulrich Griener weiß genau, was er verkauft und kann daher bestens beraten. Das ist den Kunden dann auch ein paar Euro mehr wert, wie sie bestätigen.

Mit den Kunden auf Du und Du

Man duzt sich wie selbstverständlich und erzählt sich den neuesten Klatsch. Die Kunden lassen Uli auch mal ins Haus, wenn ihn auf seiner langen Tour ein menschliches Bedürfnis plagt. „Jetzt habe ich sogar noch eine Flasche belgisches Bier geschenkt bekommen“, freut sich Uli, als er in Estebrügge zum Wagen zurückkehrt. Das Bier trinkt er zu Hause, nach Feierabend, den er in etwa zwei Stunden antreten kann. Je nachdem, wie viele Kunden noch seinen Service in Anspruch nehmen. „Ich lass mich da immer überraschen, das ist mit das Spannende an diesem Job.“

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