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Richter in L.A.

TVon Sturmfluten bis Klimadeich: Der Lühe-Anleger und die Naturgewalten

Dierk König, Oberdeichrichter der 1. Meile Altenlandes, macht sich Gedanken über den Elbdeich der Zukunft.

Dierk König, Oberdeichrichter der 1. Meile Altenlandes, macht sich Gedanken über den Elbdeich der Zukunft. Foto: Richter

Ein Riesenfrachter nach dem anderen passiert am Montagmorgen den Lühe-Anleger. Doch bei Nieselregen kommt keiner hierhin, um Pötte zu gucken. Nur Oberdeichrichter Dierk König ist zur Stelle - und der hat TAGEBLATT-Reporterin Anping Richter Beunruhigendes zu erzählen.

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Von Anping Richter
Montag, 22.07.2024, 20:40 Uhr

Grünendeich. Dierk König sieht am Elbdeich mindestens ein- bis zweimal pro Woche nach dem Rechten. Der Stader ist Oberdeichrichter des Deichverbands der 1. Meile Altenlandes, und der ist Eigentümer des Geländes am L.A., dem von Einheimischen und Touristen so geliebten Lühe-Anleger. Die Gemeinde Grünendeich pachtet das Grundstück vom Deichverband und verpachtet es wiederum an die Budenbesitzer; den Park- und Wohnmobilstellplatz betreibt die Gemeinde selbst.

Der Deichverband ist für elf Kilometer Elbdeich verantwortlich. Auch Dierk König genießt auf der Deichkuppe am Lühe-Anleger die Aussicht auf Elbe, Schiffe und den Hamburger Hafen in der Ferne. Doch er sieht nicht nur das, was ist, sondern auch das, was kommt: die Erwärmung als Folge des Klimawandels und die ansteigenden Meeresspiegel. Sie erfordern schon sehr bald eine Deicherhöhung. Die bringt nicht nur einen Riesenaufwand, sondern auch Opfer mit sich.

Der Klimadeich braucht viel Platz am L.A.

Als gelernter Bauingenieur hat König technisches Verständnis und kann gut erklären, wie das Ganze funktionieren soll. Seine Zeichnung im Block der Reporterin zeigt es: 1,5 Meter höher als jetzt soll der sogenannte Klimadeich werden. Zusätzlich kommt eine Berme, eine Art Terrasse an der Elbseite, die als Reserve dient, um den Deich dort bei Bedarf noch mehr zu erhöhen. Um trotzdem stabil zu bleiben, darf er zur Elbe hin keine zu große Steigung bekommen. Das wird Platz brauchen - Platz, auf dem sich bisher Buden, Wohnmobile, spielende Kinder, Biker und parkende Autos tummeln.

Dierk König zeigt, wo der Treibselräumweg am neuen Klimadeich ungefähr liegen würde: Etwa dort, wo jetzt die Eisbude steht.

Dierk König zeigt, wo der Treibselräumweg am neuen Klimadeich ungefähr liegen würde: Etwa dort, wo jetzt die Eisbude steht. Foto: Richter

König stellt sich dort hin, wo der Treibselräumweg, der neben dem erhöhten Deich vorgeschrieben ist, voraussichtlich enden würde: etwa in Höhe der Eisbude „Zeit für Glück“. Für die acht Buden wäre dann nicht mehr viel Platz. Auch nicht für den Parkplatz und die Wohnmobilstellplätze. „Das Land Niedersachsen geht vom schlimmsten Szenario aus: einem Meerspiegel-Anstieg von einem Zentimeter pro Jahr. Das wäre ein Meter in 100 Jahren“, sagt König. Sturmfluten und Extremwetterereignisse nehmen außerdem zu.

Und dann ist da noch die Elbvertiefung. Bei Flut drückt das Wasser schneller und stärker stromaufwärts und spült Sediment und Schlick aus der Nordsee in den Fluss und seine Nebenarme. Das muss wieder raus. Schließlich ist der ganze Sinn der Elbvertiefung ja gewesen, dass die größten Schiffe der Welt tideunabhängig in den Hamburger Hafen fahren können, erklärt Dierk König.

Zu sandig für den Deichbau: Schlick vor Mojenhörn

Saugbagger müssen den Schlick ständig wieder entfernen, damit die Elbe für große Schiffe durchlässig bleibt. Sie verklappen ihn stromaufwärts, wo er sofort wieder zurückgespült wird. „Eine tolle Sache - für die Saugbaggerfirma“, sagt der Oberdeichrichter. Schlick sammelt sich übrigens auch zwischen der nahen Elbinsel Lühesand und Mojenhörn. Den hätte König gerne für den bevorstehenden Deichbau genutzt.

„Ich bin ja Kleisammler“, sagt er augenzwinkernd. Klei ist toniger Boden und für die Deichfestigkeit wichtig, weshalb König und seine Kollegen immer versuchen, Klei zu bekommen und zu lagern. Doch der Schlick vor Mojenhörn ist zu sandig. Das gilt leider auch für den Aushub des LNG-Terminals, auf den die Oberdeichrichter gehofft hatten.

Oberdeichrichter schätzt: Noch acht Jahre bis zur Deicherhöhung

Bis der Deich gebaut wird, werden noch Jahre vergehen. Das Ganze ist ein Milliardenprojekt. Zudem gibt es schwierige Umweltauflagen: Für den Deichbau soll auf anderen Flächen Ausgleich geschaffen werden. „Wahnsinn. Dabei wird dort, wo grüner Deich war, ja wieder grüner Deich sein“, sagt König. Auch Landrat Kai Seefried drehe deshalb am Rad. Königs persönliche Einschätzung ist, dass es noch acht Jahre dauern wird, bis der Deichbau beginnt. „Schleswig-Holstein und Hamburg sind schon viel weiter.“

Visionen für L.A.: Promenade mit Elbblick und Food-Court

Dass die Deicherhöhung kommen muss, ist beschlossene Sache. Um das Wie gibt es am Lühe-Anleger heftige Diskussionen. Sperrungen und eine Dauer-Baustelle sind keine tollen Aussichten für Pächter. „Wir haben aber auch eine Zukunftsvision“, sagt Gastronom Amir Afschartabbar, der am Lühe-Anleger drei Imbisse betreibt: Dort, wo jetzt die Parkplätze für Autos sind, macht das Ufer einen Bogen und bietet den besten Blick bis zum Hafen. Er könnte sich eine Promenade am Wasser vorstellen, an der sich die Buden wie bei einem Food-Court aufreihen.

Ellen und Beate sind aus dem Münsterland zu Besuch bei Dagmar und Uwe aus Pippensen.

Ellen und Beate sind aus dem Münsterland zu Besuch bei Dagmar und Uwe aus Pippensen. Foto: Richter

Eine bei Touristen beliebte Sehenswürdigkeit des Lühe-Anlegers, die mit Deichschutz zu tun hat, ist zurzeit etwa einen Kilometer weiter zu finden: Schafe. Diese hier werden aber nicht mehr lange bleiben, denn der Schäfer hat gekündigt. Er hat keine Lust mehr - und zwar nicht nur wegen der ungelösten Probleme mit dem Wolf, der Deichschafe reißt und für den es keine Abschussgenehmigung gibt. Ihn haben auch Spaziergänger entnervt, die ihre Hunde frei laufen und die Schafe erschrecken lassen oder die Hinterlassenschaften ihrer Hunde nicht aufsammeln, so dass das Heu unbenutzbar wird.

Erleichterung: Ein neuer Schäfer ist gefunden

Hinzu kommen Touristen, die sich nicht auskennen und immer wieder anrufen, weil sie meinen, dass Schafe nicht genug Schutz vor der Sonne haben und apathisch wirken. Dierk König ist erleichtert, dass der Deichverband jetzt wieder einen Schäfer gefunden hat. Er stammt aus einer Schäferfamilie in Soest, wo es auch Wölfe gibt und hat sich nicht abschrecken lassen. Der Vertrag ist in Vorbereitung, seine Schafherde wird er mitbringen.

Aperol-Time am Lühe-Anleger: Michael freut sich auf seinen Drink.

Aperol-Time am Lühe-Anleger: Michael freut sich auf seinen Drink. Foto: Richter

Gegen Mittag klart es auf. Der graue Himmel weicht Sonnenschein und der Lühe-Anleger wird belebter. „Ich hätte nicht gedacht, dass hier heute noch so viel Betrieb sein würde“, sagt Serdar Hasan vom Königlich & Köstlich. Nach der Mittagessen-Welle mit Pulled Beef, Pulled Pork, Currywurst und Pommes - Fleisch und Wurst kommen von Bömmelburg in Stade - beginnt jetzt die Kaffeezeit.

Gratulierende Gäste und ein frischgebackener Papa

Für jede Tasse wird der Kaffee frisch gemahlen und kommt dann in einen Portionierer, der in die Maschine eingehängt wird. Ein junges Paar, Nachbarn von Serdar, verkosten den ersten Versuch. Es gibt ein Daumen hoch - Glück gehabt. Sie haben ihr Kind dabei und sprechen mit Serdar über geschwisterliche Eifersucht bei Neugeborenen. Er ist vor zwei Wochen zum zweiten Mal Papa geworden. Immer wieder gratulieren Stammgäste zur Geburt der kleinen Tochter. Serdar strahlt.

Serdar an der Siebträgermaschine.

Serdar an der Siebträgermaschine. Foto: Richter

Seit er 2016 als Flüchtling aus Syrien kam, hat sich bei ihm viel getan. Er hat eine Arbeit, die er als seine Leidenschaft bezeichnet und eine kleine Familie, auf die er sichtlich stolz ist. Die Zukunft kann nur besser werden. Das mit dem Lühe-Anleger und der Deicherhöhung wird schon werden. Schließlich ist L.A. ein Tourismusmagnet und eine wichtige Einnahmequelle für die Gemeinde Grünendeich. Aber dazu morgen mehr.

Die Serie: Richter in L.A.

2022 stand TAGEBLATT-Reporterin Anping Richter im Kiosk hinter der Theke und im vergangenen Jahr heuerte sie auf der Elbfähre an. In diesem Sommer erobert sie L.A. - aber nicht in den USA, sondern im Alten Land. L.A. nennen die Altländer den Lühe-Anleger in Grünendeich. Von Gastronomie bis Fähre, von Tourist bis Deichschäfer - was Anping Richter täglich erlebt, lesen Sie im TAGEBLATT und auf TAGEBLATT online.

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