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Esteburg

TWanzen und Wespen für die Ministerin: Politik und Obstbauern nähern sich an

Esteburg-Forscher wollen biologische Pflanzenschutzstrategien gegen invasive Wanzenarten mit hohem Schadenpotenzial entwickeln.

Esteburg-Forscher wollen biologische Pflanzenschutzstrategien gegen invasive Wanzenarten mit hohem Schadenpotenzial entwickeln. Foto: Klaus Schrameyer/LTZ Augustenberg/dpa

Sie haben sich wieder angenähert: Nach der Kritik der Obstbauern an Agrarministerin Miriam Staudte vor einem Jahr herrschte Eiszeit zwischen den Parteien. Nun gab es konstruktive Gespräche, die von einem interessanten Vortrag eingeleitet wurden.

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Von Björn Vasel
Dienstag, 23.01.2024, 09:50 Uhr

Jork. Hoher Besuch bei der Esteburg: Miriam Staudte, Niedersächsische Ministerin für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz, war am Montag in Moorende zu Gast. Doch bevor es darum ging, sich zu brennenden Fragen auszutauschen, waren Wespen und Wanzen das Thema.

Professor Dr. Roland Weber von der Esteburg machte in seinem Biodiversitätsvortrag - mit Verweis auf die Untersuchungen des Bundesamtes für Naturschutz - deutlich, dass es an der Niederelbe eine außerordentlich hohe Artenvielfalt „durch die Wirtschaftweise der ökologischen und integrierten Betriebe“ gebe.

Das hohe Libellen-Vorkommen sei ein Indikator dafür, dass selektiver Pflanzenschutz die Natur nicht schädige. Weber gab Staudte mit auf den Weg, dass die Biodiversität „durch den Klimawandel stärker beeinflusst wird als durch Insektizide“.

Miriam Staudte (Bündnis 90/Die Grünen), Landwirtschaftsministerin in Niedersachsen, spricht im Rahmen einer Pressekonferenz.

Miriam Staudte (Bündnis 90/Die Grünen), Landwirtschaftsministerin in Niedersachsen Foto: Moritz Frankenberg/dpa/Archivbild

Baumwanze verursacht Schäden in Höhe von 500 Millionen Euro

Er appellierte an die Ministerin, sich für die Zulassung neuer Bio-Mittel einzusetzen. Aufgrund steigender Temperaturen (Klimawandel) und Globalisierung sind auch im Norden neue Schädlinge wie die Marmorierte Baumwanze auf dem Vormarsch.

Der Schädling aus Ostasien hat allein 2016 in Italien für Schäden in Höhe von 500 Millionen Euro im Obst- und Weinbau gesorgt, ein Drittel der Ernte wurde geschädigt. Der toxische Wanzen-Speichel deformiert Äpfel und Birnen. Diese können nicht mehr als Tafelobst vermarktet werden.

Freisetzung müsse erlaubt werden

Weber beklagte, dass Deutschland bei der Zulassung von biologischen Mitteln - im Gegensatz zu Italien (Südtirol) - im Schneckentempo unterwegs sei. Er mahnte eine Zulassung für einen Gegenspieler der Wanze an: die Samurai-Wespe. Diese nicht-heimische Art ist bereits in Europa eingewandert, doch vermehrt sich dieser Nützling in der freien Wildbahn nicht so schnell wie der Schädling.

Ein gezielte Freisetzung müsse erlaubt werden. Weber beklagte, dass eine nationale Nützlingsverordnung im deutschen Pflanzenschutzrecht immer noch nicht verabschiedet worden sei - trotz vorliegender Risikobewertungen.

Land will Bauern unterstützen

Die parasitäre Samurai-Wespe würde ihre Eier skrupellos in den Eiern der Marmorierten Baumwanzen ablegen, ihre Larven würden sich mit der Wanzenbrut den Magen vollschlagen und so den Schädling dezimieren. Durch gezielte Freisetzung von „Bio-Waffen“ könnte auch auf Chemie verzichtet werden, so Weber.

„Wir müssen uns mit dieser Fragestellung beschäftigen“, erklärte Staudte. Sie sieht hier auch die Umweltministerien auf Bundes- und Landesebene bei der Zulassung alternativer Methoden in der Pflicht. Bei „Klimakrise“-Anpassungsstrategien wolle das Land die Bauern weiter unterstützen.

An einem Tisch: Landwirtschaftsministerin Miriam Staudte (Grüne) im Gespräch mit den Spitzen des Obstbaus an der Niederelbe.

An einem Tisch: Landwirtschaftsministerin Miriam Staudte (Grüne) im Gespräch mit den Spitzen des Obstbaus an der Niederelbe. Foto: Vasel

Harmonisches Gespräch

Bei dem Treffen im Obstbauzentrum Esteburg vereinbarten die Parteien, dass es „mindestens ein Mal im Jahr“ ein Treffen geben wird. Staudte wird auch die Obstbaumesse in Jork im Februar besuchen. Der Vorsitzende der Landesfachgruppe Obstbau, Claus Schliecker, sprach von einem „harmonischen, offenen und sachlichen Gespräch“.

In Jork tauschte sich Staudte mit Vertretern der Fachgruppe Obstbau, des Versuchs- und Beratungsrings Öko-Obstbau Norddeutschland (ÖON), des Obstbauversuchsrings des Alten Landes (OVR) und der Landwirtschaftskammer Niedersachsen aus.

Dass es diese konstruktiven Gespräche gab, ist nach TAGEBLATT-Informationen unter anderem Christian Jackisch vom Öko-Obstbau Norddeutschland zu verdanken, der im Vorfeld Brücken gebaut und so für eine Entspannungspolitik gesorgt hatte. Hintergrund: Bei der Obstbaumesse waren die grüne Ministerin und Teile der Obstbauern aneinandergeraten. Damals hatten diese die Agrarpolitik der Landesregierung und Staudte selbst heftig kritisiert.

Staudte will über die Risiko-Rücklage sprechen

Nun sitzen alle wieder an einem Tisch. Und es gab einen Austausch zu einigen brennenden Fragen. Zum Beispiel über die Einführung der vom Obstbau geforderten Risiko-Rücklage: In guten Jahren könnten die Betriebe einen Teil der Gewinne parken, um in schlechten Jahren die Ernteausfälle infolge klimawandelbedingter Extremwetterereignisse wie Hagel, Dürre und Starkregen oder Alternanz kompensieren zu können. Darüber sollte laut Staudte diskutiert werden.

Des Weiteren will die Ministerin den Obstbau unterstützen - unter anderem bei dem Ziel, neue Antriebstechniken für Schlepper zu entwickeln. Auch Überlegungen zur Energie-Autarkie durch erneuerbare Energien oder - wie es Südtirol in sechs Jahren sein will - einer CO2-neutralen Obstbaureregion steht sie wohlwollend gegenüber.

Keine Förderung für Obstbau bei Hagelversicherung

Bei der Förderung der Mehrgefahrenversicherung gab es hingegen keine Annäherung. Wie berichtet, gehen die Obstbauern leer aus, das Land wird keine Zuschüsse zur Hagelversicherung gewähren. Jens Stechmann von der Bundesfachgruppe Obstbau mahnte eine Überarbeitung an. Mehr als drei Viertel aller EU-Staaten, aber auch Bundesländer wie Bayern unterstützen ihre Bauern über Zuschüsse zur Mehrgefahrenversicherung von bis 70 Prozent. Altländer Obstbaubetriebe zahlen 25.000 bis 30.000 Euro für ihre Versicherung.

Die Wettbewerbsverzerrungen seien „eine sehr unglückliche Situation“, sagte Staudte. Doch das Land wolle nicht die Versicherungsbranche, sondern Betriebe mit einem „Impuls“ unterstützen. Der Fokus liege auf Bereichen, die sich noch nicht so stark gegen Unwetterereignisse versichert hätten. Im Obstbau sind es mehr als 40 Prozent. Der Födertopf ist mit fünf Millionen Euro im Jahr unterfinanziert. Ganz ist die Tür für den Obstbau nicht zu, es soll eine Evaluierung geben.

Schulobst-Etat um vier Millionen Euro erhöht

Bei den Treckerdemos hatte sich Staudte hinter die Bauern gestellt. „Die Energie, die jetzt entstanden ist, muss langfristig genutzt werden“, sagte Staudte. Formate wie der Niedersächsische Weg könnten als Vorbild dienen, um die Landwirtschaft im Bund zukunftsfähig aufzustellen - mit den Bauern.

Das Land wolle auch in den Schulen für eine gesunde Ernährung durch einheimisches Obst werben. Der Schulobst-Etat sei im Zuge der Ausweitung auf weiterführende Schulen um vier Millionen Euro erhöht worden, gemeinsam mit dem Kultusministerium sollen „Schulmensen zu Lernorten“ entwickelt werden.

Durch bessere Kennzeichnung könne erreicht werden, dass Verbraucher stärker zu regionalen Lebensmitteln greifen. Staudte und die Bauern waren sich auch in einem weiteren Punkt einig. Der Lebensmitteleinzelhandel dürfe seine Marktmacht nicht durch unlauteren Wettbewerb ausnutzen, waren sich Staudte und Schliecker einig, die Leistungen der Bauern müssten auch an der Kasse honoriert werden.

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