TWunde Füße und offene Herzen: Tobias Schlegls bewegende Pilgerreise

Autor Tobias Schlegl im Gespräch mit Moderator Daniel Kaiser. Foto: Buchmann
Tobias Schlegls Besuch bei den Borsteler Sommerklängen war geprägt von emotionalen Höhen und Tiefen. Es ging um eine neuentdeckte Mutter-Sohn-Beziehung - und Bananenbrot.
Borstel. „Man schläft, wandert, leidet - und versucht, zwischendurch etwas zu essen.“ Für Tobias Schlegl war jeder Kilometer auf dem Jakobsweg ein Kraftakt. Auch wenn der bekannte Hamburger Moderator und Rettungssanitäter kein Wanderfreund ist, bot sich ihm auf der 713 Kilometer langen Route eine einmalige Gelegenheit: Seine 73-jährige Mutter Sieglinde von einer ganz neuen Seite kennenzulernen.
Die Borsteler St.-Nikolai-Kirche ist am Mittwochabend bis auf den letzten Platz besetzt, rund 200 Besucher wollen Tobias Schlegls Geschichten lauschen. Vor dem Altar hat das Team der Borsteler Sommerklänge ein rotes Sofa auf Holzpaletten aufgebaut, ein Projektor mitsamt Leinwand steht für Fotos aus Schlegls privatem Fundus bereit - um später das Publikum mit Fotos seiner geschundenen Füße zu schockieren.
Ein Herzenswunsch wird wahr
Im Gespräch mit Moderator Daniel Kaiser, dem Leiter der Kulturredaktion von NDR 90,3, lässt Schlegl Einblicke in seine intime Gedankenwelt zu. Es sei ein lang gehegter Wunsch seiner Mutter gewesen, den Jakobsweg entlang bis nach Santiago de Compostela zu pilgern. Doch niemand aus der Familie sei darauf eingegangen. Deshalb habe er sich ein Herz gefasst.
„Wir wollten das gemeinsam machen“, sagt er. Der Hausarzt seiner Mutter gab sein Okay - mit einer Einschränkung: „Sie hat eine Herzinsuffizienz, deshalb sollte sie den Aufstieg durch die Pyrenäen überspringen.“ 34 Tage pilgerte das Mutter-Sohn-Gespann von Pamplona aus in Richtung Atlantikküste.
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Beim Lesen aus seinem Buch „Leichtes Herz und schwere Beine“ nimmt Schlegl die Zuhörer mit auf die Höhen und Tiefen seiner Reise. Er erzählt von seiner Mutter, die jeden Pilger auf dem Weg wie selbstverständlich auf Deutsch angesprochen habe. Dass sie kein Englisch könne, wollte sie nicht im Buch lesen, verrät Schlegl.
„Deshalb habe ich geschrieben, dass ihr Schulenglisch eingerostet ist“, sagt er und schmunzelt. Das sei übrigens die einzige Buchstelle gewesen, die seine Mutter abändern wollte. Drei Tage habe sie ihn zappeln lassen, bevor sie ihm am Telefon ihr knappes Fazit zum Buch mitteilte: „Es ist okay.“
Ein kulinarisches Trauma aus Brot und Banane
Auf ihrer Reise kamen die beiden in einfachen Unterkünften mit Bettenlagern unter - mit traumatischen Folgen für Tobias Schlegl. Schnarchende Pilger, nächtliche Weingelage und sogar Pärchen beim Sex brachten die beiden um den Schlaf. Schlegl habe sogar eine „Duschangst“ entwickelt - denn die Unterkünfte hatten oft nur Gemeinschaftsduschen ohne Vorhänge. „Und ich will nicht nackt unter der Dusche erwischt werden“, gesteht er.

Dieser Notproviant verfolgt Tobias Schlegl bis heute: trockenes Baguette mit Banane. Foto: Buchmann
Das Sommerklänge-Team überraschte den Autoren mit einer kulinarischen Trauma-Therapie: trockenes Baguette mit Banane. Seine Mutter habe auf dem Jakobsweg immer wieder kritisiert, dass er zu viele Lebensmittel verschwende. Das sei die Geburtsstunde des Bananenbaguettes gewesen; ähnlich einem Hotdog aus altem Brot, in das ein Stück Banane gesteckt wird.
Überraschung: Den Borsteler Testessern schmeckte der Notproviant. „Mit Schwarzbrot wäre es sogar noch besser“, rät eine Besucherin. Schlegl gesteht nach der Kostprobe ein: „Mit frischem Brot schmeckt es gar nicht so schlecht.“
Gefühle zulassen am Eisenkreuz
Wie nah das Erlebte dem Seenotretter geht, zeigt sich, als er die Erinnerungen an den Gang zum Cruz de Ferro wieder wachruft. Das Eisenkreuz bildet den höchsten Punkt des Jakobswegs auf einem Steinhaufen. Jeder Pilger legt dort einen von zu Hause mitgebrachten Stein als symbolische Sünde ab, die man hinter sich lassen will.
An diesem Punkt habe seine sonst so unnahbare und stoische Mutter ihre Tränen nicht mehr zurückhalten können - und es zugelassen, dass ihr Sohn sie tröstet. Ein emotionaler Meilenstein für Mutter und Sohn.

Tobias Schlegl nimmt sich Zeit zum Bücher signieren und für einen kurzen Schnack mit den Gästen. Foto: Buchmann
„Wir mussten viele Jahre aufholen“, sagt Schlegl mit leicht zitternder Stimme und glänzenden Augen. Während der Pilgerreise seien die beiden bis an ihre Grenzen gegangen. So sei eine ganz neue Verbundenheit zwischen den beiden entstanden: „Ich bin mit einer Mutter losgezogen und mit einer Freundin zurückgekommen.“
Nach der Lesung nimmt sich Schlegl noch Zeit für zahlreiche Autogramme und Selfies. „Man öffnet sich und schüttet sein Herz aus“, sagt Schlegl dem TAGEBLATT. Die Stunde nach solch einer intensiven Lesung sei schwer für ihn, nach Reden sei ihm nicht mehr zumute. Wichtig sei ihm, diesen Impuls weiterzugeben: Etwas mit den Eltern unternehmen, solange es noch möglich ist.

Eine lange Signierschlange quer durch die Borsteler Kirche. Foto: Buchmann
Weiteres Programm der Borsteler Sommerklänge:
- Freitag (8. August) um 19 Uhr: Lesung von Petra Oelker (Das Haus am Gänsemarkt) und Eva Lohmann (Wie du mich ansiehst)
- Sonnabend (9. August) um 19 Uhr: Klassikkonzert „Hansestadt London“ mit Countertenor Alex Potter
- Sonntag (10. August) um 11.30 Uhr: Sommerlicher Gottesdienst mit Ebay-Predigt
- Sonntag (10. August) um 17 Uhr: Konzert Volkan Baydar (Orange Blue)
Tickets für 17 Euro gibt es im Vorverkauf bei Bücherstübchen Elke Krog, Drogerie Hubert und Buchhandlung Schwarz auf Weiß sowie online unter www.kirche-borstel.de.

Das Borsteler Gotteshaus war bis auf den letzten Platz belegt. Foto: Buchmann
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