T Nachbarschaftsstreit: Verfolgungsjagd im Wintergarten

Ein 44-jähriger Lette war sich keiner Schuld bewusst. Foto: dpa/Hartmann
Ärger am Gartenzaun: mal wegen der Bäume, mal wegen der Hühner. Vor dem Amtsgericht Otterndorf ist von täglichen Beschwerdebriefen die Rede – und einer Feier, die nach viel Alkohol eskaliert.
Otterndorf. Wegen einer Auseinandersetzung in Lamstedt: 44-jähriger Lette vor Gericht
VON VANESSA GRELL | 01.03.2024
Der Gerichtssaal war an diesem Morgen voll. Denn nicht nur der Angeklagte, sein Dolmetscher und seine Mutter waren vor Ort, sondern auch die Nachbarin mit ihrem Ehemann und einer Dolmetscherin. Laut Anklageschrift soll der 44-jährige Lette im Juli 2021 seine Nachbarin aufgesucht und körperlich misshandelt haben. Als sein Dolmetscher die Anklageschrift für ihn übersetzte, hörte der Lette konzentriert zu und verzog keine Miene.
Nachbarschaftsstreit in Lamstedt: 44-jähriger Lette vor Gericht
Als der Angeklagte zu Wort kam, wurde deutlich, dass sich der Vorfall in seiner Erinnerung anders abgespielt hatte. „Ich war 2021 gar nicht in Deutschland“, versicherte der 44-Jährige dem Gericht. Doch schon bei einem früheren Besuch hatten die Streitigkeiten zwischen den Nachbarn begonnen. „Meine Mutter und ich bekamen immer wieder Briefe, in denen uns unser Nachbar zum Schluss sogar drohte. Erst sollten wir unsere Kastanienbäume absägen, dann unsere Hühner abschaffen und schließlich einen Zaun bauen. Irgendwas war immer“, schildert der Angeklagte seine Sicht der Dinge. Nach einiger Zeit habe ihr Nachbar ihnen jeden Tag mindestens zwei Briefe geschrieben.
Die Mutter des 44-Jährigen feierte im Juli ihren Geburtstag. Dazu lud sie auch die Nachbarn ein. Während der Ehemann der 39-jährigen Hausfrau der Einladung folgte, blieb die Wahl-Lamstedterin zu Hause. Zu diesem Zeitpunkt war das Verhältnis zwischen den Nachbarn noch gut. Denn am Nachmittag vor dem Geburtstag hätten der Lette und sein Nachbar noch im Wintergarten des Lamstedters gesessen und etwas getrunken.
Nachbar klingelt betrunken und packt angeblich zu
Die 39-Jährige habe währenddessen im Garten gearbeitet. „Der Angeklagte war den ganzen Nachmittag über sehr auf Körperkontakt aus. Er hat mich angefasst und seinen Kopf auf meine Schulter gelegt. Das war mir sehr unangenehm. Deshalb habe ich ihn mehrmals gebeten zu gehen“, erinnert sich die Lamstedterin. Später habe der 44-Jährige das Grundstück verlassen. Er und der Ehemann der Zeugin seien zu späterer Stunde zum Geburtstag der Mutter gegangen. Die 39-Jährige sei allein zu Hause geblieben.
Als es später plötzlich an der Tür klingelte, habe sie vorsichtig geöffnet: Es war ihr Nachbar. „Er war betrunken. Ich dachte, er hätte am Nachmittag etwas vergessen. Also ließ ich ihn durch die Hintertür in unseren Wintergarten. Dort packte er mich am Arm und jagte mich um den Tisch herum. Dabei habe ich mir die Knie aufgeschlagen“, erzählt die Hausfrau. Mit einem Trick habe sie ihn aus dem Wintergarten gelotst. Der Lette schaute die Zeugin während ihrer Aussage die ganze Zeit an und wirkte dabei sehr ruhig.
„Die Frau hat sich ihre Verletzungen selbst zugefügt“
Da der 44-Jährige wegen Körperverletzung angeklagt war, die Frau seines Nachbarn aber nicht körperlich misshandelt hatte, wurde er freigesprochen. Richterin Sabine Deutschmann erklärt: „Die Frau hat sich ihre Verletzungen selbst zugefügt. Der Angeklagte war daran nicht direkt schuld. Wir bewegen uns hier am unteren Rand der Strafbarkeit.“ Als der Nachbar des Angeklagten das Urteil hörte, drohte er dem Letten: „Sie werden hier bei uns nicht mehr glücklich!“