T1. Mai in Stade: Polit-Prominenz und eine pöbelnde Besucherin

Katarina Barley (SPD) sprach vor 300 Besuchern auf dem Platz Am Sande. Foto: Alexandra Bisping
Mehr Lohn, mehr Freizeit, mehr Sicherheit: So lautete das Motto des Deutschen Gewerkschaftsbundes bei der Mai-Kundgebung in Stade. Auch Spitzenpolitikerin Katarina Barley bezog sich in ihrer Rede darauf. Zuvor aber sorgte eine verbale Attacke für Irritationen.
Stade. Strahlend blauer Himmel und Sonnenschein: Ein perfekter Tag für eine Kundgebung am Tag der Arbeit in Stade, zu der 300 Besucher kamen.
Um kurz nach 11 Uhr trat die von allen heiß ersehnte Rednerin Katarina Barley, EU-Spitzenkandidatin der SPD und Vizepräsidentin des EU-Parlaments, ans Mikrofon. Sie sprach locker, ungezwungen, kein einstudierter Polit-Sprech, sondern gespickt mit Emotionen.
Tag der Arbeit
T 1. Mai: Wofür Betriebsräte aktuell kämpfen
Rechte seien hart erkämpft worden und nicht selbstverständlich, begann Barley. „Ich habe schon manchmal Bauchschmerzen, wenn ich sehe, was innerhalb der Gewerkschaften los ist“, sagte sie.
„Leute, die sich von Zusammenhalt verabschieden. Die sagen, nee, es gehören nicht mehr alle zu uns, es sind nicht mehr alle gleich. Mich macht das echt krank.“
Wir werden eine starke Wirtschaft nur behalten können, wenn wir die Energiewende auch hinkriegen
Katarina Barley, EU-Spitzenkandidatin der SPD
Sie freue sich, dass tausende von Menschen auch in Stade auf die Straße gegangen seien. „Wir wollen Demokratie, wir wollen Solidarität, wir wollen Zusammenhalt für alle Menschen, die sich hier in Deutschland aufhalten, egal welche Hautfarbe.“
Deutschland habe eine starke Wirtschaft, die drittgrößte in der Welt. „Das liegt auch an den gut ausgebildeten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern.“ Und Barley sagte: „Klimaschutz und eine starke Wirtschaft - das ist kein Gegensatz. Wir werden eine starke Wirtschaft nur behalten können, wenn wir die Energiewende auch hinkriegen.“

Gemeinsam auf einer Bank: Stades Bürgermeister Sönke Hartlef mit Katarina Barley und der SPD-Landtagsabgeordneten Corinna Lange. Foto: Alexandra Bisping
Innerhalb einer halben Stunde machte Barley einen Rundumschlag, sprach auch noch von Tariflohnbindung und einer Energieunion, vom Erstarken rechter Politiker und hatte zum Schluss noch ein Anliegen: „Bitte geht wählen!“
Die Rede der Spitzenpolitikerin kam gut an. „Voll inspirierend, ich habe Lust, zur Wahl zu gehen“, sagte Lukas Görnemann aus Stade.
„Es ist gut, daran erinnert zu werden, welche Rolle die Wahl spielt.“ Die Rede sei ihnen zu lang gewesen, aber ansonsten gut, sagten zwei Besucher aus Stade. Sie wollten anonym bleiben. „Zur Wahl gehen wir, aber wir wählen nicht die SPD.“
Spitzenkandidatin sieht Demokratie in Gefahr
Welche Bedeutung hat für Barley der 1. Mai? Früher sei es beim 1. Mai um Lohn gegangen, jetzt bekomme dieser Tag einen anderen Dreh, sagte sie im anschließenden TAGEBLATT-Gespräch. „Soziale Rechte werden europaweit wieder in Frage gestellt.“ Mit Sorge blickt Barley auf die Entwicklung in Europa: Finnland, Schweden, Italien - es gebe einen Rechtsruck.
„Wenn Ursula von der Leyen in der Elefantenrunde (Debatte vor der Europawahl in Maastricht, Anm. d. Red.) zweimal gefragt wird, ob sie sich ein Bündnis mit Rechtskonservativen vorstellen könnte und sie antwortet, das würde von der Zusammensetzung des Parlaments abhängen, finde ich das alarmierend.“

Katarina Barley war auch im Gespräch mit dem TAGEBLATT locker. Foto: Alexandra Bisping
Was Demokratie betreffe, dürfe man nicht nur auf Deutschland schauen, sondern auf Europa. Was dort passiert, könne bei uns auch kommen. Das Abtreibungsrecht in Polen - dort ist Abtreibung nahezu verboten - oder das Verbot von Büchern in Ungarn, in denen Homosexuelle vorkommen, seien nur einzelne Beispiele.
„Die addieren sich aber zu etwas Großem.“ Die Demokratie in Deutschland werde unterwandert. „Sie ist wirklich in Gefahr. Wenn sie fällt, werden das alle spüren.“
Darum besucht Katarina Barley Stade
Auf die Frage, warum sie ausgerechnet Stade besuche, antwortete Barley: „Stade finde ich superspannend. Hier passiert sehr viel. Nehmen wir das LNG-Terminal, das Projekt Industriehafen oder das Altholzkraftwerk. Auf der anderen Seite steht das Unternehmen Trinseo.“

Bernd Guse (Mitte, im Anzug) mit IG BCE-Gewerkschaftern und Trinseo-Mitarbeitern. Foto: Alexandra Bisping
Trinseo war auch Thema vor Barleys Rede. Denn Bernd Guse hielt als Betriebsratsvorsitzender von Trinseo seine erste Rede. Das Unternehmen stellt Kunststoffgranulat her, „das läuft gut“, sagte Guse.
Trotzdem steht Trinseo in Stade vor dem Aus, der Kostendruck sei zu hoch, die Konkurrenz aus Asien zu stark. Eine Kunststoff-Recycling-Anlage könnte die Rettung sein. „Was ich jetzt an Unterstützung erfahre, ist ganz großes Kino“, so Guse.

Gut 300 Besucher waren bei der Veranstaltung dabei. Foto: Alexandra Bisping
Nicht jeder war von seiner Rede angetan. Eine Besucherin beschimpfte ihn. Es flogen Sätze wie: „Das war unverschämt“ oder „Und dich haben sie an die Spitze gewählt“.
Anschließend drehte sich die pöbelnde Frau um und ging. Darauf angesprochen sagte Guse, er kenne die Dame nicht, wisse auch nicht genau, was sie gemeint habe. „Ich wäre aber gerne mit ihr in den Dialog gegangen.“
Gewerkschaften brauchen mehr junge Menschen
Martin Rother am Stand der IG Metall auf dem Platz am Sande hatte ein Hauptanliegen: „Leute für Gewerkschaft zu interessieren, denn Gewerkschaft ist wichtig.“

Am Stand der IG Metall waren Torsten Ropers (v. links), Thomas Hollander, Heiko Schnatter und Martin Rother. Foto: Alexandra Bisping
Vor allem junge Leute habe er im Fokus. „Da müssen wir echt gucken, auch bei uns im Betrieb“, sagte er. Rother arbeitet bei Airbus in Stade.