T32-Jährige wird im Jahr 1999 bestialisch ermordet - Sohn findet blutüberströmte Mutter
Anke Wohlers - hier ein Bild aus einem Fotoalbum - wurde im Jahr 1999 bestialisch im Landkreis Cuxhaven ermordet. Foto: Döscher
Vor 25 Jahren ist Anke Wohlers in Cappel mit 61 Messerstichen bestialisch getötet worden. Der Täter wurde nie gefasst. Gefunden wurde die Frau von ihrem fünfjährigen Sohn. Er erinnert sich.
Cappel. Es ist wahrscheinlich zwischen 6 und 7 Uhr in der Früh in Cappel (Landkreis Cuxhaven) an der Wurster Nordseeküste. So genau lässt sich das später nicht mehr herausfinden. Der fünfjährige Felix wird an diesem 27. März 1999, einem Sonnabend, zu dieser Zeit wach. Er findet seine Mutter, Anke Wohlers, blutüberströmt im Ehebett. Tot. Getötet mit 61 Messerstichen. Das Blut ist überall. War es ein Profi? Der Mann soll durch ein Kissen gestochen haben, damit es nicht so spritzt. Hat er sich verletzt? Hätte ein Profi Geld im Büro liegen lassen? Die Familie interessiert heute, was die Polizei 25 Jahre später zu dem Fall und vermeintlichen Pannen sagt. Anke Wohlers wird nur 32 Jahre alt.
Das jüngste ihrer drei Kinder, der damals fünfjährige Junge, kann sich auch heute noch „glasklar“ erinnern. Durch Schreie wird er wach, er ruft selbst nach der Mutter, bleibt aber in seinem Hochbett liegen. Irgendjemand - so nimmt er es wahr - läuft an seinem Zimmer vorbei, er hört Schritte auf der Treppe nach unten. Als sie verstummen, krabbelt er aus dem Bett und geht selbst ins Erdgeschoss. Dort vermutet er seine Mutter. Er läuft auf den Hof, zur Straße, ruft um Hilfe. Keine Reaktionen. Erst dann geht er wieder ins Haus, sucht seine Mutter im Elternschlafzimmer. Dort findet er sie, blutüberströmt. Er versucht, die größten Wunden mit Taschentüchern abzudecken. „Neben dem Bett lag das Telefon“, erinnert sich Felix an damals. Erst später, als er älter ist, wird ihm klar, dass die Nummer, die er auf dem Display sieht, die seines Vaters ist.
Er läuft mit dem Telefon runter, will Hilfe holen. Auch wenn er noch nicht lesen kann, telefoniert er die Liste mit den Namen der Kindergartenkinder ab, die in der Küche hängt. „Die meisten haben aufgelegt oder es wurde nicht abgenommen.“ Irgendwann klappt es, Bekannte kommen zu Hilfe, rufen die Polizei.
Anke Wohlers´ Ehemann muss früh zur Arbeit
Anke Wohlers´ Ehemann Carsten ist nicht zu Hause. Das Ehepaar betreibt am Cappeler Niederstrich einen Obst- und Gemüsehof. Es ist ein schweres Auskommen, Geldsorgen sind allgegenwärtig. Der 41-jährige Carsten Wohlers fährt - so erzählt es heute sein Sohn Jo (damals zehn Jahre alt) - gegen 5 Uhr los. Er muss gegen 6 Uhr auf dem Wochenmarkt in Cuxhaven sein. Frau und Kind schlafen noch. Die beiden anderen Kinder sind bei den Großeltern, Frauke und Dieter Osterndorff, in Imsum. Man will nach Helgoland. Am Tag vorher werden schon die Sachen auf dem Hof in Cappel ins Auto eingepackt. Weithin sichtbar - auch für den Mörder?
Der Kleinste will nicht mit, ihn locken vermutlich die Annehmlichkeiten des Dorumer Marktes, der an diesem Wochenende stattfindet. Dass er zu Hause bleibt, wird noch wichtig werden.
Als Tatwerkzeug kommt ein Messer mit einer etwa 2,5 Zentimeter breiten und circa 14 Zentimeter langen Klinge infrage. Die Stich- und Schnittverletzungen werden Anke Wohlers überwiegend in der rechten Körperseite zugefügt. Verletzungen an der Halsschlagader und an verschiedenen inneren Organen führen zum Tod.
Der Öffentlichkeit wird nur ein Verdächtiger präsentiert: ein 47 Jahre alter Mann, der auf dem Wohlers-Hof arbeitet. Er hat laut Polizei für die Tatzeit kein Alibi. Er soll Anke immer wieder schöne Augen gemacht haben. Schon einen Tag nach der Tat wird er dem Haftrichter vorgeführt.
Für die Öffentlichkeit nahezu unbemerkt läuft aber ein ganz anderes Szenario ab. Und das macht die Familie noch heute fassungslos.
„Wenn ich nachts aufwache, denke ich auch heute immer noch darüber nach, was damals für Mist gemacht wurde“, sagt Dieter Osterndorff am Kaffeetisch im Imsumer Wohnhaus. Und diese Erinnerungen kommen oft. „Zu vergessen, wäre das Schlimmste“, pflichtet ihm seine Frau Frauke bei, in der Hand ein Foto von Anke, welches sonst an der Wand in der geräumigen Stube hängt. Die beiden haben noch drei weitere Kinder.
Der eigene Ehemann geriet - noch vor dem Arbeiter - ins Visier der Polizei. Für die Beamten aus Cuxhaven scheint klar, er war es. Sein Motiv? Anke Wohlers hat ein Verhältnis, er kommt dahinter und tötet seine Frau - glaubt die Polizei. Obwohl der kleine Junge in seinem Zimmer schläft? Aus dem Gefühl dieser „Gewissheit“ passieren den Beamten Fehler. Für die sich die Polizei, so Frauke Osterndorff, später entschuldigt.

Anke Wohlers, dieses Bild hängt im Haus der Eltern. Foto: Döscher
Landgericht Stade
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Fast 40 Menschen sollen am Tatort gewesen sein
Eine Bekannte der Familie Osterndorff leitet heute ein Kriminalkommissariat. Die habe gesagt, eine Spurensicherung bei einem solchen Fall dauere heutzutage drei Wochen. „Hier ist die Tat an einem Sonnabend passiert, am Sonntag war dann schon ein Maler aus Cuxhaven dort“, macht Ankes Mutter deutlich. „Die Polizei hat uns gesagt, wir sollen einen Maler bestellen, der das alles frisch streicht“, so Ankes Vater. Vorher darf gefühlt jeder einmal ins Schlafzimmer: Polizisten, Angestellte, Ärzte, Feuerwehr, Familienangehörige. Gerüchteweise ist von fast 40 Menschen die Rede, die am Tatort waren.
Der Todeszeitpunkt kann nicht genau festgelegt werden. Erst vier Monate nach der Tat habe der Notarzt zugegeben, dass er das Fenster geöffnet hat. Ansonsten hätte man anhand der Zimmer- und der Leichentemperatur genauere Aufschlüsse erhalten können.
Eine Bekannte der Familie, deren Ex-Mann bei der Polizei ist, drängt damals darauf, dass das blutverschmierte Bettlaken gesichert wird. Die Polizei nimmt es irgendwann bei der Bekannten mit. Es verschwindet in der Asservatenkammer. Völlig ungeschützt.
Die Polizei habe später gesagt, das Laken sei nicht zu gebrauchen, da dort im Laufe der Jahre zu viele neue Spuren dazugekommen sind. Erst fünf Jahre später landet es in einer Plastiktüte. Später werden, so erzählt es Felix Wohlers, noch zwei unbekannte DNA-Spuren gefunden, welche sich nicht zuordnen lassen. Die Polizisten am Tatort hätten alle eine DNA-Probe abgegeben.
Mutter hadert mit der Polizei
Frauke Osterndorff fragt sich, warum man mit den heutigen Methoden das Bettlaken nicht erneut auf DNA untersucht. „Für die Polizei war klar: Es war Carsten. Für uns war klar: Er kann es nicht gewesen sein.“ Der war ja auf dem Wochenmarkt. Dort sei er auch von der Polizei weggeholt worden. Und er hätte die Tat nie mit dem Wissen begangen, der kleine Sohn schläft nur wenige Meter weiter. „Statt den Mörder unserer Tochter mitzusuchen, müssen wir ein halbes Jahr unseren Schwiegersohn vor der Polizei schützen.“ Überregionale Medien belagern zudem das Grundstück und den Kindergarten, verlieren jede Zurückhaltung.
Carsten Wohlers wird verhört. Nur sein Schwiegervater darf zu ihm. Jetzt wendet die Polizei ein „taktisches Manöver“ an. Sie erzählen, der Schwiegersohn habe ein Geständnis abgelegt. Was nicht stimmt. Hoffen sie, dass Dieter Osterndorff nun Carsten Wohlers an die Gurgel geht - und der dann tatsächlich gesteht? Dieter fragt nur: „Hast du Anke getötet?“ Als Carsten das vehement verneint, glaubt ihm sein Schwiegervater. Für seine Frau Frauke geht ein solches Vorgehen der Polizei zu weit.
Schnell kursieren in Land Wursten Gerüchte, nach denen eine frustrierte Mordkommission unzulässige Vernehmungsmethoden angewandt haben soll. Ein Sprecher weist das damals gegenüber der Nordsee-Zeitung entschieden zurück: „Das steht unter Strafe und kostet den Job.“ Für die Vernehmung gebe es zwar Taktiken, aber auch klar geregelte Grenzen. „Und die sind nicht überschritten worden.“

Mehrmals gab es große Suchaktionen der Polizei in Nordholz. Foto: NZ-Archiv
Nach außen steht weiterhin der Arbeiter unter Verdacht. Der die Tat abstreitet. Es gibt Hinweise, dass Motorengeräusche in Tatortnähe gehört worden sind, die auf einen Motorroller oder ein ähnliches Fahrzeug hindeuten. Weiträumig wird nach einem ungefähr 14 Zentimeter langen und etwa 2,5 Zentimeter breiten Messer gesucht.
Suchhunde sind im Einsatz, die am Grundstück liegenden Gräben und Teiche werden leer gepumpt, in der Müllverbrennungsanlage in Bremerhaven wird Müll aus Nordholz durchsucht. Gefunden wird nichts. Ein am Wegesrand entdecktes Messer ist nicht die Tatwaffe. Vieles wird auch übersehen, wie Dieter Osterndorff erzählt, etwa auf dem Gemüsehof Messer zum Kohlschneiden, der Tresor des Schwiegersohns im Keller.

Selbst im Abfall in der Müllverbrennungsanlage in Bremerhaven fahndete die Polizei nach der Tatwaffe. Foto: NZ-Archiv
Verdächtiger Arbeiter bald wieder auf freiem Fuß
Für Osterndorffs ist klar: Den Arbeiter hat die Polizei nie wirklich in Verdacht gehabt. Später an der Kleidung des Arbeiters gefundenes Blut ist sein eigenes. Er kommt nach zweieinhalb Wochen frei. Der Mann lebt mittlerweile nicht mehr. Er soll sich das Leben genommen haben. Ein halbes Jahr bleibt Carsten Wohlers unter Verdacht.
Frauke Osterndorff vermutet, dass der Mörder schon im Garten gestanden hat, als Carsten losfährt. Und er müsse sich dort ausgekannt haben. Sonst hätte die Hündin angeschlagen.
Hinter der Scheune wird eine Fußspur gefunden. Größe 43. Ein halbes Jahr später habe der Leiter der Mordkommission gefragt, wie die Spur denn da hingekommen sei. Völlig überrascht weisen die Schwiegereltern darauf hin, dass der Täter durch die Scheune nach draußen gelangt sein könnte. Eine Spur, die fünf Jahre später nochmal ausgewertet wird. Die Sporthochschule Köln macht auch ein Gangbild. Der Täter war Linkshänder. Carsten Wohlers ist laut Familie Rechtshänder, hat Schuhgröße 45 und das Gangbild habe auch nicht gepasst.
Insgesamt stehen zwischenzeitlich vier Männer unter Verdacht: der Arbeiter vom Hof (mittlerweile tot), der Geliebte von Anke Wohlers (der laut Polizei ein Alibi hatte und mittlerweile auch tot ist), ein landwirtschaftlicher Angestellter aus der Gegend (ein Mann, über den in der Öffentlichkeit wenig bekannt ist) und der Ehemann, der im Juli 2020 stirbt.
Ob das Verhältnis kurz vor der Tatzeit am 27. März 1999 noch lief? Darüber ist man sich in der Familie nicht einig. Anke habe einer Freundin mal geschrieben, dass sie eine Morddrohung bekommen habe, so die Mutter. Danach bringt sie die Kinder jeden Morgen selbst zur Bushaltestelle - aus Angst. Die Zusammenhänge bleiben unklar.
Ob der Geliebte damit etwas zu tun hatte? Der Mann ist in der Familie kein Unbekannter. Carstens Schwiegermutter ist sich sicher: Ihr Schwiegersohn weiß etwas von diesem Verhältnis. Sohn Jo wirft ein, dass der Vater gesagt habe, er habe erst durch die Polizei davon erfahren. Er könne das aber nicht beurteilen, er sei damals zehn Jahre alt gewesen.
Die Stimmung zwischen Anke und Carsten Wohlers ist in der Zeit kurz vor der Tat nicht angespannt. Frauke Osterndorff: „Sie sind am Abend vorher noch ausgegangen.“ Ihre Tochter sei lebenslustig gewesen. Wenn es in der Ehe mit Carsten Streit gibt, dann oft ums Geld. „Wenn man ständig ums wirtschaftliche Überleben kämpfen muss, ist das schwierig“, sagt Jo über den Alltag seiner Eltern.
Säumige Zahler verschlechtern die Situation des Hofes. Jo selbst zieht mit 18 weg aus Cappel. „Im Dorf schweigen alle, bis heute“, erzählt der Sohn. Der Hof wird 2001 - zwei Jahre nach Ankes Tod - an die Elbe Weser Werkstätten verkauft, Carsten bleibt Geschäftsführer. Frauke: „Er konnte fantastisch mit den Menschen mit Behinderung umgehen.“ 2005 heiratet er neu. Die neue Frau hat ebenfalls ihren Partner verloren. Die Kinder mögen die neue Frau.
Hat die Familie einen Verdacht, wer der Mörder ist?
Ob die Familie selbst einen Verdacht hat? „Damit muss man ganz vorsichtig sein, ganz vorsichtig“, sagt Frauke Osterndorff. „So einen Verdacht auszusprechen, das kann sehr viel Unglück bringen“, so ihr Mann Dieter. Einen Verdacht, den man nicht beweisen könne. Man könne trotzdem Leute suchen, die Schuhgröße 43 haben und Linkshänder sind. Und dann noch gucken, ob deren DNA vielleicht auf dem Bettzeug zu finden ist. Von Anke selbst habe die Polizei sich erst nach fünf Jahren Finderabdrücke besorgt. Die Familie hat noch eine Dokumentenmappe ihrer Tochter.
Hat Felix eventuell etwas gesehen? „Auf Aussagen von Kindern geben wir nichts“, habe die Polizei gesagt. Später soll der Junge gegenüber einem Kinderpsychologen in Cuxhaven aussagen. Nach Cuxhaven zur Polizei? Das will die Familie ihm ersparen. „Wenn Sie was wissen wollen, kommen Sie hier her.“ Dann wird er in Imsum befragt. Später mit 18 unter Hypnose. Neue Erkenntnisse bleiben dabei aber aus.
Das jüngste der Kinder berichtet von einer Fahrradspur, die vom Hof führte. Und eben, dass er vom Schreien der Mama aufgewacht sei. Geht man an der geöffneten Kinderzimmertür in Richtung Elternschlafzimmer vorbei, erkennt man trotzdem nicht, dass dort im Hochbett ein Kind liegt, erklärt Ankes Sohn Jo. Felix Wohlers fühlt sich vor allem von der Polizei unter Druck gesetzt, er müsse doch etwas gesehen haben. „Ich sollte meinen Vater belasten.“ Auch im Dorf wird er schief angeguckt, beim Einkaufen geht man der Familie aus dem Weg. Wenn Polizisten kommen, „bin ich schon mal über den Acker abgehauen“. Mit Kuscheltieren und Süßigkeiten will man ihn „bestechen“.
Hat sich Carsten Wohlers erleichtern wollen?
Kurz nach dem Tod ihres Schwiegersohns Carsten habe die Polizei gefragt, ob Carsten Wohlers noch etwas gesagt habe. Hat er sich erleichtern wollen? „Die glauben immer noch, dass er es war“, erzählt Frauke Osterndorff. „Sie müssen sich mit dem Gedanken anfreunden, dass es ihr Vater gewesen sein kann“, bekommen die Kinder laut eigener Aussage noch 2022 zu hören, nachdem der Fall in den Jahren davor noch mal als Cold Case begutachtet worden ist. Für die Polizei sei der Fall abgeschlossen. Drei der mutmaßlichen Täter seien ja auch tot.
Offiziell teilt die Polizei auf Nachfrage der Nordsee-Zeitung mit, dass die Ermittlungen abgeschlossen sind. „Es wurden im Rahmen der Cold-Case-Bearbeitung auch retrograd alle rechtlichen Möglichkeiten und kriminaltechnischen Untersuchungsmöglichkeiten ausgeschöpft. Ein hinreichender Tatverdacht gegen eine Person hat sich leider insgesamt nicht konkretisiert“, so Pressesprecher Stephan Hertz von der Polizeiinspektion Cuxhaven. Weitere Ermittlungsansätze seien nicht erkennbar oder vorhanden. Auch neuere kriminaltechnische Untersuchungsmöglichkeiten hätten keine neuen Beweise erbracht.
Weitere Auskünfte zu Detailfragen, wie sie die Nordsee-Zeitung gestellt hat, „werden wir nicht erteilen“. Das liege auch daran, dass man sonst Täterwissen der Öffentlichkeit preisgibt. Die „Tatbegehung“ lasse grundsätzlich den Schluss zu, „dass der oder die Tatverdächtige ein persönliches Motiv zur Tötung des Opfers gehabt haben dürfte“.
Da Mord nicht verjährt, hofft die Familie auch heute noch auf Hinweise, die helfen, den Täter zu fassen - und eines ist für sie klar: Carsten Wohlers hat seine Frau nicht getötet.