TAlkohol veränderte das Leben des kleinen Joshua

Finger weg vom Hochprozentigen: Schwangere sollten auf Alkohol verzichten. Foto: Christin Klose/dpa Foto: Christin Klose/dpa
Mit zwei Jahren konnte der Junge nicht mehr als „Mama“ sagen. Sieben Jahre später zeigt sich das Fetale Alkoholsyndrom in voller Ausdehnung. Was „dieses eine Glas“ in der Schwangerschaft fürs Kind bedeuten kann, erzählt seine Harsefelder Pflegemutter.
Harsefeld. 2016 hat die Familie aus der Samtgemeinde Harsefeld den zweijährigen Jungen als Pflegesohn aufgenommen. „Wir waren nicht darauf gefasst, was da auf uns zukommt“, sagt die Pflegemutter, die zum Schutz des Kindes anonym bleiben möchte. Bis heute hat der Junge Ausraster, die ihm seine Pflegeeltern immer besser erklären können. „Er weiß jetzt, das bin nicht ich, der so ausrastet, das ist mein Körper“, sagt die Pflegemutter. Das Schlimmste aber: „Es ist nicht heilbar, es manifestiert sich sogar“, sagt sie. Und was da passiert, geht manchmal an die Kräfte der ganzen Familie.
Alkohol in allen Entwicklungsstadien eine große Gefahr
Wie es dazu kam, ist inzwischen klar. Die leibliche Mutter des Jungen, er soll hier Joshua heißen und neun Jahre alt sein, hat in der Schwangerschaft Alkohol getrunken. Über die Nabelschnur und die Plazenta verbunden, erreichte das Zellgift den Blutkreislauf des ungeborenen Kindes. Was viele nicht wissen: Kind und Mutter haben sofort den gleichen Alkoholspiegel.
Schon ein einziger erhöhter Alkoholkonsum reicht laut der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung aus, um die Gesundheit des werdenden Kindes zu gefährden. Alkohol kann Organe und Nerven des entstehenden Kindes zu jedem Zeitpunkt der Schwangerschaft angreifen. In allen Entwicklungsstadien sei es eine große Gefahr für die Entwicklung des Embryos und Fötus. Nur in den ersten 14 Tagen nach der Befruchtung gelte das sogenannte Alles-oder-Nichts-Prinzip.
Nach der Geburt erst einmal auf Entzug
Joshua kommt quasi als Alkoholiker auf die Welt, er braucht als Erstes einen Entzug. Die Folgen des Zellgifts bleiben. Es gilt viel zu regeln. Die Hoffnung: Ergotherapie, Logopädie und andere Hilfen wirken so weit, dass ein eigenständiges Leben ermöglicht wird. Beim Fetalen Alkoholsyndrom allerdings wird das schwer werden. Es ist die schlimmste Auswirkung von Alkohol in der Schwangerschaft.
Manchmal fliegen Dinge durch die Küche der Pflegefamilie. „Danach sagt er, ich wollte das nicht“, sagt die Pflegemutter. Ihm zu sagen, er soll um 18 Uhr zu Hause sein, geht nicht. Uhrzeit, Jahreszeiten, das alles ist für Joshua zu abstrakt, um es zu verinnerlichen. Er hat Probleme, sich realistische Ziele zu setzen und sinnvolle Prioritäten. „Dafür baut er problemlos ein Lego-Set für 18-Jährige nach Anleitung zusammen“, sagt seine Pflegemutter. Der Intelligenzquotient weiche vom Leistungspotenzial ab. Das macht es manchmal noch schwerer, die Situation zu verstehen.
Nicht nur für seine Beharrlichkeit und Ausdauer bei Dingen, die sein Interesse fesseln, liebt die Pflegemutter Joshua. „Er kann so fröhlich sein, so kreativ. Er ist ein tolles Kind, ich möchte keinen Tag mit ihm missen“, sagt sie. Aber ob Joshua einmal vollständig und glücklich in der Gesellschaft ankommen wird, da hat die Harsefelderin ihre Bedenken.
Nicht den Wind ändern, aber die Segel neu setzen
Im vertrauten Bereich ist es oft gut, sagt die Pflegemutter. Im sozialen Bereich des Lebens außerhalb der Familie hat Joshua massive Probleme. Kurz darauf erzählt sie vom gemeinsamen Abendbrot. „Eine Ablenkung - und es ist beendet“, sagt sie. „Dass wir einmal alle in Ruhe an einem Tisch sitzen, da können wir ein rotes Kreuz im Kalender machen.“ Aufspringen, sich viel bewegen, nichts essen. Der Körper zeigt, wie gehetzt Joshua ist. Er ist ein sehr schlankes Kind, das immer wieder einfach losrennt und sich dabei in Gefahrensituationen bringt. Jeder Ausflug in den Wildpark oder einen Freizeitpark wird da zur aufregenden Neuerfahrung für die Aufsichtspflichtigen. Und auch wenn Ruhe da ist, hat Joshua nicht die Struktur, sich selbst zu organisieren. Manchmal fehlt die Erinnerung an einfachste Dinge. Wie geht Zähneputzen? Er kann nicht für sich sprechen, wenn ihn jemand provoziert. Wahrscheinlich ist, dass Joshua Betreuung und Anleitung für immer braucht. Oft hört die Pflegemutter: In dem Alter ist das doch noch normal. „Ist es nicht“, sagt sie. Lange musste sie sich um die Diagnose bemühen. Es ist schwer, den richtigen Arzt zu finden. Dabei kann die Erkenntnis einiges ändern. „Es ist nicht möglich, den Wind zu ändern, aber man kann die Segel anders setzen“, sagt die Pflegemutter frei nach Aristoteles. Was sie früher gestresst hat, kann sie heute besser einordnen. Das hilft allen.
Bewusstsein für Folgen von Alkohol in der Schwangerschaft schärfen
Schätzungen zufolge kommen in Deutschland jedes Jahr mehr als 10.000 Kinder mit einer fetalen Alkoholspektrumstörung zur Welt. Etwa 3000 unter ihnen leiden unter dem Vollbild der Krankheit FAS, Fetales Alkoholsyndrom. Was diese Krankheit so besonders macht: Alle Schädigungen sind vollständig vermeidbar, indem Schwangere konsequent auf Alkohol verzichten.
Die Pflegemutter aus Harsefeld will das Problem auch deshalb in die Mitte der Gesellschaft bringen. „Vielen ist gar nicht bewusst, welche Auswirkungen Alkohol in der Schwangerschaft wirklich haben kann“, sagt sie.
In einer Selbsthilfegruppe hat sie sich mit anderen Betroffenen ausgetauscht und will die Informationen, die ihrer Familie geholfen haben, weitergeben. Ihre Botschaft: Es gibt Unterstützung. „Wir können einiges für unsere Kinder tun.“
Nächstes Treffen am 7. November
Wer sich nicht sicher ist, ob am Ende die Diagnose FAS stehen wird, kann ebenso am nächsten Treffen teilnehmen. Es geht um Vielfalt, um Rechte von Menschen, die ohne Unterstützung in der Gesellschaft untergehen würden. In gemütlicher Atmosphäre wird alle sechs Wochen über Erfahrungen und Lösungen gesprochen. Das nächste Mal am 7. November, abends. Wer teilnehmen möchte, sollte sich unter info-fasd-gruppe@web.de anmelden. Dort gibt es auch den genauen Treffpunkt.

Die ersten Schritte auf dem Weg zur Diagnose FASD sind schwer. Sie fallen mit Hilfe leichter. Foto: dpa