TAls bei Gummi-Schmidt in Stade noch Kondome produziert wurden

Die Gummiwarenfabrik in Stade: Eine Luftbildaufnahme vom Werksgelände aus dem Jahr 1965. Foto: NLA Stade
Gummi-Schmidt, schon längst abgewickelt, ist in Stade noch sehr präsent; vor allem die Produktion von Präservativen. Die Firmengeschichte ist auch eine Sittengeschichte.
Stade. Was war die Aufregung groß in der Stadt, als die Gummiwarenfabrik von Robert Schmidt 1949 Werbung machen wollte für ihre Produkte - im Kino wie auch am weithin sichtbaren Schornstein an der Freiburger Straße. Das Produkt empfanden offenbar einige als anrüchig. Es ging um Präservative.
Britische Regierung wollte Kondome für Soldaten
Die Herstellung der Überzieher hatte die britische Militärregierung 1946 verlangt in einer eigenen „Tauchabteilung für hygienische Gummiwaren“. Die Geschichte der Firma hat Dr. Thomas Bardelle, Leiter des Landesarchivs in Stade, zusammengefasst und vor kurzem darüber einen viel beachteten Vortrag gehalten.

Jetzt nur noch im Archiv zu sehen: Präservative der Marke Swing Gold, „der hygienische Vollschutz“ aus den 1960er Jahren. Foto: Strüning
Die Präservative bekamen den Namen „Swing“. Das war die englische Ableitung von Schwinge. So nannte das Unternehmen seine Absätze für Schuhe, in der Reklame als „der unerreichte Qualitäts-Gummi-Absatz“ angepriesen.
Die geplante Werbung brachte die Kirche und den Stader Geschichts- und Heimatverein auf die Palme. Die Bezirksregierung rief ein Treffen ein mit 17 Beteiligten. Lange wurde diskutiert. Dann setzten sich die progressiven Kräfte durch, vor allem die Leiterin der Mädchenschule in Stade. Nur die zweite Werbung fürs Kino mit dem Angebot für den Präser-Dreierpack wurde gestrichen, das klang dann wohl doch zu unsittlich.
Antibabypille verdrängte die Swing-Präser
Die Präservative aus Stade, einst zum Schutz der britischen Soldaten und wohl auch der heimischen Bevölkerung vor Geschlechtskrankheiten hergestellt, waren nur von kurzer Dauer. 1964 stellte Schmidt diesen Produktionszweig ein. Die Antibabypille hatte die Kondome bei der Familienplanung verdrängt. Das Portfolio des Unternehmens war ohnehin weit größer und wechselte ständig.
Arthur Schmidt gründete seine „Gleitschutzfabrik und Dampfvulkanisierungsanstalt“ 1913 mit vier Mitarbeitern am Fischmarkt 8. Ihre Spezialität: die Reparatur von damals kostspieligen Auto- und Fahrradreifen. Sein jüngerer Bruder Robert war Kaufmann beim Stader Automobilhaus und hatte die Generalvertretung der russischen Reifenmarke Provodnic inne.
Die Geschäfte mit dem Heer während des Ersten Weltkriegs liefen gut. Die Schmidts taten sich zusammen. Im April 1916 wurde das Gelände an der Freiburger Straße 19-21 gekauft und eine dampfbetriebene Fabrik aufgebaut mit zwei Walzwerken und dem charakteristischen Schornstein.
Reifen und Schläuche für Fahr- und Motorräder sowie für Autos sowie Gummiabsätze und -sohlen wurden gefertigt. Die Palette blieb bunt.
Hormovit für die Schweine- und Geflügelmast
Als die Herold AG aus Hamburg, eine Tochter der New-York-Hamburger-Gummiwaren-Compagnie, mit 49 Prozent einstieg, wurden Edelkunstharze der Marke Herolith und später auf Geheiß der Nazis Futtermittel für die Schweine- und Geflügelmast unter dem Namen Hormovit produziert.
Arthur Schmidt starb bereits 1942 im Alter von 51 Jahren, Bruder Robert übernahm. Die Firmengeschichte blieb wechselvoll.
Immobilienmarkt
T Schwierige Lage beim Wohnungsbau: Investoren specken ab
„Robert Schmidt war die prägende Gestalt für die Hochphase des Unternehmens“, sagt Bardelle. Der Markt verlangte nach neuen Produkten, die alten verschwanden von der Bildfläche. Schmidt und seine Nachfolger mussten immer wieder investieren, das Fabrikgelände war im ständigen Wandel. Der Gewinn hielt sich in Grenzen, so Bardelle, nur mit den Präsern war ordentlich verdient worden.
Zwischendurch waren zum Beispiel Stempelgummi und Matrizen fürs Druckgewerbe schwer angesagt, dann Gummimischungen für die Kabelindustrie. Schmidt versuchte sogar, Gummi-Spielautos auf dem Markt zu etablieren - ohne nachhaltigen Erfolg.
Im Sommer 2022 Ende der Gummi-Produktion
In den 80er Jahren kommen auch heute bekannte Probleme auf: billigere Konkurrenz, fehlende Fachkräfte, hohe Energiekosten. Aber erst im August 2017 wurde ein Insolvenzantrag beim Amtsgericht Stade gestellt, im Sommer 2022 wurde die Produktion endgültig eingestellt.

So sehen die Pläne für die Bebauung des Geländes von Gummi-Schmidt in Stade aus. Foto: Lindemann
Bardelle findet, dass Gummi-Schmidt trotz seiner prägenden Rolle in der Stadt nicht die Aufmerksamkeit erfahre wie zum Beispiel Saline oder Lederfabrik. Zurzeit ist das Gelände wieder Thema: Die Lindemann Gruppe will auf dem Gelände 200 Wohnungen bauen. Gummi-Schmidt bleibt ein Stück Stader Stadtgeschichte.

Dr. Thomas Bardelle. Foto: Susanna Brunkhorst
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