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T„Amselsterben“ ist zurück: Usutu-Meldungen besorgen NABU

Eine vermutlich am Usutu-Virus erkrankte Amsel. Große Überlebenschancen hat der Vogel nicht, in dieser Lage ist er aber immerhin nicht Katzen und Hunden ausgesetzt.

Eine vermutlich am Usutu-Virus erkrankte Amsel. Große Überlebenschancen hat der Vogel nicht, in dieser Lage ist er aber immerhin nicht Katzen und Hunden ausgesetzt. Foto: Schultz/Kreiszeitung

Ihre Überlebenschance ist gleich null, Heilung gibt es nicht. Das Usutu-Virus breitet sich in der Region offenbar wieder aus. Was zu tun ist und wie es sich auch auf Menschen auswirken kann.

Von Andreas Schultz Montag, 19.08.2024, 13:45 Uhr

Landkreis Rotenburg/Landkreis. Eine Amsel sitzt am Wegesrand und beobachtet teilnahmslos die vorbeiziehenden Menschen. Als eine Frau sich niederkniet, um den zerzausten Vogel vorsichtig in einen Karton zu setzen, lässt er das Prozedere über sich ergehen. Katzen und Hunde können ihm nun nichts mehr anhaben. Doch am nächsten Morgen ist der Vogel tot. Der Verdacht liegt nahe, dass das Usutu-Virus umgeht.

Yasmin Boeck kennt das schon aus zurückliegenden Jahren. Das „Amselsterben“, wie die Krankheit auch genannt wird, hatte Teile Deutschlands zuletzt 2018 im Griff. Auch jetzt scheint das Virus um sich zu greifen, denn das Telefon der von Boeck betriebenen Wildvogelstation Teufelsmoor steht kaum still. Menschen aus den Landkreisen Verden, Rotenburg und Osterholz rufen an. In den jüngsten Tagen geht es bei diesen Gesprächen meist um die faustgroßen Gelbschnäbel, die sich auffällig apathisch verhalten.

Institut: Wieder sterben zahlreiche Amseln am Usutu-Virus

Rund 25 Prozent der in diesem Jahr sezierten und getesteten Vögel seien mit dem Virus infiziert gewesen, teilte das Bernhard-Nocht-Institut für Tropenmedizin in Hamburg mit. Seit Jahresbeginn seien mehr als 120 tote Tiere an das Hamburger Institut geschickt worden, darunter Amseln, Drosseln und Falken. 2023 gab es im gesamten Jahr lediglich 100 Einsendungen.

Auch dem Naturschutzbund Nabu sind seit Jahresbeginn mehr als doppelt so viele kranke oder tote Vögel gemeldet worden wie im Vergleichszeitraum 2023. So gab es über die Meldeseite des Bundesverbandes nabu.de bislang 1.536 Hinweise auf 1.806 tote und 1.060 kranke Amseln und andere Vögel.

Die Meldungen kämen aus dem gesamten Bundesgebiet, Schwerpunkt sei jedoch Niedersachsen. Dort wurden fast 800 tote und gut 400 kranke Amseln gemeldet. Das waren laut Nabu in der ersten Jahreshälfte sechsmal mehr Meldungen als im Vergleichszeitraum 2023.

Usutu-Virus: Heilung bei Vögeln nahezu ausgeschlossen

„Wenn ich schon das Wort Amsel höre, dann weiß ich gleich, worum es geht“, sagt die Tierfreundin. Ihre Wildvogelstation in Osterholz-Scharmbeck ist als eine von wenigen vogelbezogenen Hilfsstellen gefragter Anlaufpunkt von Tierfreunden, die es mit gefundenen Pflegefällen gut meinen.

Das Problem: Ist wirklich das von Mücken übertragene Usutu-Virus Auslöser der Symptome, dann ist Heilung bei Vögeln nahezu ausgeschlossen. In der Regel nähmen die Tiere dann weder Nahrung noch Flüssigkeit auf, technisch gesehen verhungerten sie. „Die Tiere haben einen enormen Stoffwechsel“, sagt die Stationsbetreiberin.

Beim Verdener NABU scheint es noch ruhig zu sein, im Gebiet des NABU Rotenburg häufen sich hingegen die Meldungen. „Ja, das ist bei uns angekommen“, bestätigt Vereinschef Roland Meyer. Ihn hätten bereits einige Anrufe wegen toter Amseln und Drosseln erreicht.

Auch Menschen können sich via Mückenstich anstecken

Mit Blick auf Deutschland beobachtet das Bernhard-Nocht-Institut für Tropenmedizin (BNI) in Hamburg ein massives Ansteckungsgeschehen unter Vögeln. Das teilt Dr. Renke Lühken mit. Der Forscher und sein Team arbeiten an einer Art bundesweitem Frühwarnsystem. Eingesandte Kadaver und Daten helfen dabei: „So sehen wir, wo das Virus aktuell zirkuliert und wie groß das Risiko für Menschen ist“.

Auch Menschen können sich via Mückenstich anstecken – „aber über 80 Prozent der Infizierten merkt gar nicht, dass sie es hatten.“ Symptome zeigten in erster Linie Personen aus Risikogruppen wie Ältere und Immungeschwächte. Milde Symptome könnten mit einer leichten Sommergrippe verwechselt werden, auch das Gefühl leichter Angeschlagenheit zähle dazu. Im schweren Verlauf kann es zu starken Hautausschlägen kommen, vereinzelt auch zu Hirnhautentzündungen. „Das kann im schlimmsten Fall zum Tode führen“, sagt Lühken, schiebt aber gleich Entwarnung nach: Weltweit habe es bislang noch keinen nachgewiesenen Todesfall unter Menschen gegeben, der auf das Usutu-Virus zurückzuführen wäre.

Im Sinne von Mensch und Tier lohnt Vorbeugen trotzdem: „Um eine Verbreitung zu verhindern, sollten Wassertränken täglich gereinigt und mit frischem Wasser versehen werden“, rät der Verdener NABU-Chef Bernd Witthuhn. Ein Tipp, den auch Boeck unterschreiben kann. Sie empfiehlt, stehende Gewässer aus Gärten zu entfernen, um Mücken die Grundlage zu nehmen. Die gelten nämlich als Hauptüberträger des Virus. Wer eine große Regentonne hat, solle sich den Inhalt genauer anschauen „und sie gegebenenfalls mal auskippen“.

Meyer kann mit Blick auf die Vogelpopulation beruhigen. Ein Amselpaar bringe im Schnitt 15 Junge zur Welt, ungefähr die Hälfte schafft es ins Erwachsenenalter. Daher lautet sein Fazit: „Die Population erholt sich schnell.“

Tote Amsel per Post

  • Das Bernhard-Nocht-Institut für Tropenmedizin (BNI) nimmt für seine Forschungen Sendungen verendeter Vögel entgegen, bei denen der Verdacht auf eine Infektion mit dem Usutu-Virus vorherrscht.

  • Potenziell könnten sich Vertreter aller Vogelart anstecken, sagt Forscher Dr. Renke Lühken, fügt aber hinzu: „Amseln sind aber am stärksten betroffen, wir wissen nicht warum“. Eingesandte Kadaver würden seziert und mittels PCR-Test auf eine Infektion mit dem Usutu-Virus untersucht. Kadaver und Daten über Fundort und -zeitpunkt geben Aufschluss über die Ausbreitung des Virus.

  • Wer einen verendeten Vogel einschicken möchte, soll darauf achten, dass der Kadaver noch relativ frisch, nicht zu stark verwest ist, sagt Lühken. Der Tierkörper könne in zwei Tüten verpackt als Päckchen an die Adresse des Instituts geschickt werden. „Man kann sich übrigens nicht dabei infizieren, wenn man den Vogel einpackt“, beruhigt der Forscher. Die Päckchen können geschickt werden an Dr. Jonas Schmidt-Chanasit, Bernhard-Nocht-Institut für Tropenmedizin, Bernhard-Nocht-Straße 74, 20359 Hamburg.
  • Ein Formular zur Meldung von Vögeln, die potenziell an Usutu gestorben sind, finden Interessierte online. Dort gibt es auch häufig gestellte Fragen zum Thema mit den zugehörigen Antworten. Der Nabu Deutschland wertet die Meldungen bis zum Herbst aus und präsentiert dann die Ergebnisse. (RK)

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