TAneurysma platzt: Jasmins Mutter wird plötzlich zum Pflegefall
Jasmin pflegt ihre Mutter seit März 2022. Von ihrer Liebe bekommt auch Bonnie etwas ab. Foto: Kul
Jasmin Heyse aus Hemmoor wird 2022 zur Pflegerin ihrer Mutter Verona. Die 36-Jährige berichtet von ihrem Alltag mit der Rund-um-die-Uhr-Pflege.
Hemmoor. Jasmin Heyse streichelt mit den Außenseiten der Finger die Wange ihrer Mutter Verona, sie greift nach ihrer Hand und hält sie fest. Die beiden lachen viel in ihrem Zuhause in Hemmoor und stehen sich nahe. Nicht nur körperlich, auch emotional.
Man könnte sagen, zwischen ihnen passt kein Blatt Papier. Eine gute Mutter-Tochter-Beziehung eben, wobei sich in ihrem Fall die Rollen mittlerweile vertauscht haben. Seit der plötzlichen Erkrankung im März 2022 pflegt die heute 36-Jährige die Mutter und ist rund um die Uhr für sie da.
Wie es mit der Krankheit ihrer Mutter begann, ist für Jasmin noch immer präsent. Sie hatte Hauswirtschaftshelferin gelernt und besaß eine befristete Stelle. Kurz vor dem Auslaufen ihres Arbeitsvertrages platzte bei ihrer Mutter das Aneurysma – eine Arterienerweiterung, umgangssprachlich auch arterielle Aussackung genannt.
TV-Moderatorin
„Pech“ bei ihrer Hirn-OP: Lierhaus bedauert damaligen Arzt
Sport als Stütze
T Wie Tjark Schimmel nach einer Hirnblutung zurück ins Leben segelt
Es folgten eine schwere Hirnblutung, Schlaganfall, Epilepsie. Die damals 60-Jährige wurde mehrmals notoperiert und musste mehrere Monate im Krankenhaus verbringen. „Sie wurde von heute auf morgen ein Pflegefall“, sagt Jasmin.
Die Entscheidung für die Pflege zu Hause fällt aus Überzeugung
In der Folge traten bei ihr zwei Sprachstörungen auf. Als die Behandlung im Krankenhaus endete, stellte sich die Frage, wo sie untergebracht werden sollte. Entweder im Pflegeheim oder zu Hause, wo sich die Tochter um sie kümmern müsste. Jasmin entschied sich für die Pflege zu Hause. „Sie war viel zu jung für ein Heim“, sagt sie.
Da sie rund um die Uhr für ihre Mutter da sein muss, kann Jasmin vorerst keiner bezahlten Arbeit nachgehen und erhält Bürgergeld. Eine Tagespflege erleichtert ihren Alltag. Montags, mittwochs und freitags zwischen 9 Uhr und 15.30 Uhr gibt sie die Verantwortung für ihre Mutter an die Tagespflege ab. Da ihre Mutter auf sie fixiert ist, brauchte die Eingewöhnung anfangs Zeit. „Das war wie eine Eingewöhnung in den Kindergarten“, erzählt Jasmin. Die Zeit, in der ihre Mutter bei der Tagespflege ist, nutzt Jasmin, ihre eigenen Angelegenheiten zu erledigen oder einkaufen zu gehen.
Pflege fordert viel Kraft und beeinflusst auch das Privatleben stark
In der Anfangszeit fällt ihr die Betreuung nicht leicht, mit der Zeit funktioniert alles besser. Doch die zeitintensive Pflege fordert ihren Tribut. „Damals war ich in einer Beziehung, als es mit der Krankheit meiner Mutter losging“, sagt sie. „Für den Freund wurde das irgendwann zu viel.“ Sie vermeidet Schuldzuweisungen, als sie darüber spricht. „Ich war auch sehr angespannt. Wir haben viel gestritten.“

Jasmin und ihre Mutter Verona. Foto: Kul
Jasmin bereut ihren Weg nicht. Gut gemeinte Ratschläge wie „Kinder sind nicht verantwortlich für ihre Eltern“ kann sie nicht gebrauchen. „Ich sehe das nicht so“, sagt sie. „Sie hat sich früher für uns den Hintern aufgerissen und alles gegeben. Ich möchte ihr jetzt etwas zurückgeben.“ Dabei schaut sie ihre Mutter liebevoll an und greift nach ihrer Hand.
Freizeit und Urlaub stellen pflegende Angehörige vor besondere Probleme
Die größte Schwierigkeit in ihrem Alltag sieht Jasmin darin, keine Zeit für Freizeit zu haben. Sie geht gern auf Konzerte - wenn es möglich ist. Welche Konzerte sie bevorzugt? „Alles durcheinander“, sagt sie, „Billie Eilish, Ed Sheeran, Justin Timberlake.“ Doch mit einer pflegebedürftigen Mutter ist das schwer zu organisieren. Andere haben Feierabend und Wochenende, nicht jedoch pflegende Angehörige. Das gilt auch für den Urlaub. Früher fuhr die Familie gern nach Dänemark. Auch vor zwei Jahren wollten sie dort zwei Wochen abschalten, mussten aber nach einer Woche zurückkehren.
Bürgergemeinschaft
T Hilfe mit Herz: Stader Verein unterstützt Menschen im Alltag
Woher schöpft man aber die Kraft, wenn der Alltag der Rund-um-die-Uhr-Pflege einem alles abverlangt und erschöpft zurücklässt? „Das sind die guten Momente der Mutter. Wenn sie glücklich und zufrieden ist, bin ich es auch.“ Sie sage oft, dass sie dankbar ist, was für Jasmin wichtig ist.
Pflegende Angehörige fühlen sich oft isoliert und wünschen mehr Verständnis
Von der Gesellschaft wünscht sie sich mehr Betreuungsmöglichkeiten für zu Hause. Das fehlt ihnen. Das würde den Alltag erleichtern, wenn sich jemand finden ließe, der in besonderen Momenten einspringen könnte. Ein weiterer Missstand aus ihrer Sicht: Jasmin beobachtet, dass Menschen wie sie oft ausgeklammert werden. „Wir sind irgendwie isoliert, auch von ehemaligen Arbeitskollegen. Viele haben Berührungsängste“, stellt sie fest. Als die Krankheit ihrer Mutter begann, hätten viele den Kontakt abgebrochen, und es sei einsamer geworden.
Für ihre Mutter und sich hofft Jasmin, dass der derzeitige Gesundheitszustand so lange wie möglich stabil bleibt. „Das Ziel ist, dass es nicht schlechter wird“, sagt sie. „Aber solche Dinge kann man nicht groß planen.“