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Landgericht Stade

TAngeklagter erklärt Messerangriff: Angst, Gesicht zu verlieren

Der Angeklagte fürchtete sich angeblich vor „sozialem Tod“.

Der Angeklagte fürchtete sich angeblich vor „sozialem Tod“. Foto: dpa

Vor zehn Monateten endete ein Familienstreit mit zwei Verletzten. Aktuell verhandelt das Landgericht Stade den Fall und hört zweifelhaften Ehrbegriffen im Kulturkreis ihres Mandanten.

Von Kai Koppe Dienstag, 21.11.2023, 11:15 Uhr

Cuxhaven/Stade. Im Prozess um einen mit zwei Verletzten endenden Familienstreit bemüht sich die Verteidigung darzulegen, dass die mutmaßlichen Täter zugleich Opfer äußerer und teils im kulturellen Bereich wurzelnder Umstände geworden sind.

Bei beiden Angeklagten handelt es sich um Vater und Sohn; der ältere der beiden Männer wird des versuchten Totschlags bezichtigt, nachdem eine angebliche „Aussprache“ zwischen ihm und mehreren Widersachern aus dem Ruder gelaufen war. Der Hauptbeschuldigte soll urplötzlich ein Messer gezückt und zugestochen haben. Zwei Männer wurden notoperiert.

Hätte sich der verhängnisvolle Showdown vor der Haustüre des 51-Jährigen, mitten im Stadtgebiet von Cuxhaven, mit kühlem Kopf und einer gewissen Vermeidungshaltung nicht abwenden lassen?

Anwalt: Mandant hatte „keine andere Wahl“

Rechtsanwalt Turhal Özdal stellte am Montag eine Reihe neuer Beweisanträge - und erkannte eine gewisse Zwangsläufigkeit hinter der Entwicklung der Ereignisse vor zehn Monaten.

Ein Sachverständigengutachten könnte aus seiner Sicht untermauern, dass seinem Mandanten „keine andere Wahl“ geblieben war, als dem späteren Opfer vor seinem Haus gegenüberzutreten.

„Er sah sich gezwungen, vor die Tür zu gehen“

„Obwohl er große Angst gehabt hat, sah er sich gezwungen, vor die Tür zu gehen“, betonte der Strafverteidiger und verwies auf den kulturellen Hintergrund des Hauptangeklagten. Nach den Gepflogenheiten des Kulturkreises, so Özdal, hätte der Mann sein Gesicht verloren, ja so etwas wie den „sozialen Tod“ erlitten, wenn er den vier Männern an seiner Pforte nicht die Stirn geboten hätte.

Eine (aus Sicht des Angeklagten) „schändliche Flucht“ sei keine Alternative gewesen, sagte der Anwalt, nachdem er anfänglich aus einem Chatverlauf zitiert hatte, in welchem obszöne Drohungen gegen weibliche Familienmitglieder seines Mandanten gepostet worden waren.

Polizisten im Zeugenstand

Dass es sich bei den ungebetenen Besuchern, salopp gesprochen, nicht eben um Waisenknaben handelt, sollte - Beweisantrag Nummer zwei - die Aussage der Frau eines Beteiligten im Gerichtssaal erbringen.

Die Staatsanwältin parierte diesen Versuch, indem sie die eheliche Situation des Betreffenden als nicht maßgeblich für die zur Debatte stehende Tat einstufte. Die Kammer selbst, die über die genannten Anträge bisher nicht entschied, kam am Montag immerhin dem Wunsch der Verteidigung nach, zwei Polizisten in den Zeugenstand zu rufen.

Bisher keine Hinweise auf weitere Waffen

Ob die Geschädigten möglicherweise selbst Waffen dabeigehabt hatten (und sie auf ihrer Flucht wegwarfen) - das war an dieser Stelle das Ziel der Befragung, die aktuell jedoch keine Hinweise darauf erbrachte, dass sich die Beschuldigten tatsächlich in einer Art von Notwehr-Situation befunden hätten.

Gefunden hatten die beiden Beamten vor Ort nämlich nur einen Baseballschläger und ein Filetiermesser - die mutmaßlichen Tatwerkzeuge, die den beiden Angeklagten selbst zugeordnet werden.

Weil ihre Kontrahenten in unterschiedliche Richtungen rannten, gibt es allerdings eine zweite Fluchtroute. Wie die polizeiliche Spurensuche in diesem Bereich verlaufen ist, muss gesondert geklärt werden.

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