TAngstraum Pferdemarkt: Was ist dran an der gefühlten Unsicherheit?

Pferdemarkt bei Nacht (2023). Foto: Richter
Angepöbelt, eingeschüchtert, angeekelt. Von solchen Erlebnissen auf Stades zentralem Platz, dem Pferdemarkt, berichten viele. Was ist da los - und was kann dagegen getan werden? Eine Spurensuche mit Anliegern, Passanten und der Polizei.
Stade. „Meine Frau hat Angst, weil sich da immer Gruppen junger Männer zusammenrotten.“ „Ich traue mich im Dunkeln kaum hin.“ „Mein Eingang wird von den Trinkern dauernd als Toilette benutzt.“ Das sind einige Aussagen über den Stader Pferdemarkt, die am Runden Tisch der SPD am 12. Oktober zu hören waren. Das Wort „Ausländer“ fiel öfter. Wie der Stader SPD-Vorsitzende Kai Koeser berichtet, hatten sie immer öfter gehört, dass Menschen sich auf dem Pferdemarkt nicht mehr wohl und nicht mehr sicher fühlen. Daraufhin lud die SPD zum Gespräch. „Angstraum Pferdemarkt?“ stand auf den Flyern.
Stammplatz der Trinker unter den Kastanien
Einige Besuche vor Ort scheinen viele Wahrnehmungen zu bestätigen. Zum Beispiel an einem Dienstag im Oktober kurz nach 17 Uhr: Die Trinker an ihrem Stammplatz unter den Kastanien beim Zeughaus sind lange zu hören, bevor sie zu sehen sind. Ein Mann und eine Frau streiten. Er brüllt sie an, sie brüllt zurück. Ein Stück weiter fuchteln drei Jungs,13, 14 Jahre alt, mit einer Waffe. Sie zielen auf Passanten, drücken ab - es klickt nur. Bei näherem Hinsehen stellt sich die Waffe als schwarze Spielzeugpistole heraus. Drei junge Mädchen, die auf Spielgeräten in der Nähe sitzen, beobachten das Ganze gelassen.
Viele Jugendliche sind unterwegs, bei einigen geht es hoch her. Auf Ansprache zeigen sich drei junge Leute, zwischen 19 und 21 Jahre alt, offen und auskunftsfreudig. Ob sie erklären können, weshalb viele Leute auf dem Pferdemarkt Angst haben? Sie lächeln wissend: „Ja klar. Überall Migranten hier.“ Ob das ein Angstgrund sei? „Na ja, viele alte Damen finden das wohl nicht toll“, sagt einer. Viele Jugendliche seien auch wirklich laut und zeigten kein gutes Benehmen. Sein Kumpel erklärt: „Wo du dich zu Hause fühlst, benimmst du dich nicht daneben. Wer sich nicht zu Hause fühlt, dem ist es egal.“ Alle drei haben familiäre Wurzeln außerhalb von Deutschland, in der Türkei, in Pakistan. Alle drei sprechen perfekt Deutsch und sind hier aufgewachsen. Stader Jungs.

Die Polizisten Rainer Bohmbach und Silke Tonn bei einem Streifzug am Stader Pferdemarkt. Foto: Anping Richter
Um 18 Uhr kommt die Polizei: Die 45-jährige Polizeihauptkommissarin Silke Tonn ist seit Januar 2023 Kontaktbeamtin für die Innenstadt, Wiepenkathen, Haddorf und Hahle. Normalerweise ist sie allein unterwegs und hat Funkgerät und Telefon dabei, um bei Bedarf Verstärkung zu holen. Heute ist Polizeipressesprecher Rainer Bohmbach dabei. Sie haben sich zu einem Rundgang bereiterklärt. Stade sei nicht Bullerbü, aber im Vergleich zu Großstädten wie Hamburg sehr ruhig, sagt Bohmbach. Und die Beschwerden über pöbelnde Gruppen, grölende Trinker, Fahrraddiebstähle? Die beiden zählen gegen 18 Uhr etwa 30 junge Leute, die sich in Gruppen auf dem Pferdemarkt aufhalten. Aber Jugendliche sind schon immer gern dort, wo etwas los ist, sagt Bohmbach: „Sie pöbeln sich an, sie werden laut.“ Ein Problem, ja - aber kein neues.
Körperverletzung und Fahrraddiebstahl: Die Polizeistatistik
Eine statistische Abfrage wird das bestätigen. Für Pferdemarkt und Holzstraße, Inselstraße, Sattelmacherstraße und Steile Straße hat Bohmbach die Zahlen des Vor-Corona-Jahrs 2019 und die aus 2023 für bestimmte Delikte abgefragt: 2019 wurden knapp über 20 Fälle von einfacher Körperverletzung aufgenommen, 2023 bisher etwa ebenso viele. 2019 gab es zwölf Fälle von gefährlicher oder schwerer Körperverletzung, 2023 sind es bisher unter zehn. 2019 wurden drei Fälle von Bedrohung aufgenommen, 2023 sind es bisher vier. 2019 wurden zwölf Sachbeschädigungen aufgenommen, 2023 sind es bisher sieben. 2019 wurden elf Fahrraddiebstähle aufgenommen, 2022 waren es 25, im Jahr 2023 sind es bisher 15.

Kirsten (Kirsche) Quell, Betreiberin des Fiddler's Green Irish Pub, ist schwer genervt von der angespannten Lage. Foto: Anping Richter
Alles wie gehabt also? Ihre Wahrnehmung sei eine andere, sagt Kirsten („Kirsche“) Quell, die Betreiberin des Fiddler’s Green im Zeughaus. Sie berichtet, dass die Trinker ihren Lieferanteneingang ständig als Toilette nutzen. Erbrochenes sei keine Seltenheit. Sie traue sich eigentlich, Leute bei Fehlverhalten anzusprechen, aber in letzter Zeit reagierten manche so aggressiv, so dass sie sich frage, ob neben Alkohol andere Drogen im Spiel sind. Einige Männer zeigten keinen Respekt vor Frauen, sie sei angepöbelt und sogar angefasst worden. Dabei sei ihr die Herkunft völlig egal. Sie merkt, dass die Kunden weniger werden: „Allein der Weg vom Taxistand hierher. Vor allem Frauen trauen sich nicht mehr her.“
Müll in Stades Innenstadt nimmt zu
Auch ihr sagten Kundinnen manchmal, dass sie im Dunkeln nur noch ungern unterwegs sind, berichtet Zeynep Hitzwebel vom Reformhaus Engelhardt am Pferdemarkt. Ab 14, 15 Uhr am Nachmittag sei es immer sehr laut. Ihr falle es inzwischen schwer, Gefahrensituationen einzuschätzen. Der Müll sei viel mehr geworden: „Ich bin selbst Ausländerin und möchte niemanden schlecht machen, aber manche sind wohl nicht an Mülleimer gewöhnt.“ Sie spreche solche Menschen oft an: „Ich bin zu sozial dafür, einfach wegzugucken.“
Christina Manthey vom Modehaus Peters überlegt, ob es etwas bringen würde, wenn Menschen aller Altersstufen sich mehr auf dem Pferdemarkt aufhalten und für soziale Kontrolle sorgen. Weil sie dachte, dass es dem Platz guttun würde, hatte sie schon einmal Außen-Bestuhlung zur Verfügung gestellt. Doch da saßen dann nur die lauten, jungen Leute. Ömer Aydin, der den Stadt-Friseur betreibt, klagt über Uringestank vor der Tür und laute Gruppen Jugendlicher. Angst hat er nicht: „Wenn es zu doll wird, gehe ich raus und sage was.“ Das tut auch Sigrid Koppelmann, Lehrerin an den Berufsbildenden Schulen, die öfter junge Leute erkennt: „Wenn die herumgrölen, sage ich direkt: Ihr benehmt euch wie die letzten Pfosten.“
SPD will No-go-Areas verhindern
Koppelmann ist in der SPD und hat mit Kai Koeser und Elena Brückner die Gespräche am Runden Tisch moderiert und Lösungsvorschläge gesammelt: „Wir hatten Sorge, dass es in eine ausländerfeindliche Richtung gehen könnte“, sagt Koeser. Deswegen hätten sie das bewusst aufgegriffen. Der Pferdemarkt sei für viele ein Angstraum, aber keine No-go-Area: „Wir wollen verhindern, dass er dazu wird.“ Dazu müssten Weichen gestellt werden. Die Stader SPD wolle genau auf die Zahlen der Polizei gucken und Forderungen entwickeln. Sicherheit sei etwas, für das Politik, Verwaltung und Staat Sorge tragen müssen. Klar sei auch, dass es einen Dialog unter den beteiligten gesellschaftlichen Gruppen geben muss: „Da muss die gesamte Stadtgesellschaft ran.“
Auch Bürgermeister Sönke Hartlef sieht ein gesamtgesellschaftliches Problem. Platzverweise würden nichts bringen: „Dann verschieben wir das nur.“ Das Ordnungsamt versuche, die Schichten verstärkt auf den frühen Abend zu legen, doch personell gebe es enge Grenzen. Um das zu ändern, sei die Politik gefragt. Sein Appell: Wer Delikte mitbekommt, soll sich unbedingt bei der Polizei melden. Dazu fordern auch die Polizeibeamten auf: „Sprechen Sie mit uns“, sagt Rainer Bohmbach, „nur so haben wir einen Ansatzpunkt für eine Ermittlung.“ Die Stader Wache ist unter der 04141/ 102 215 zu erreichen. Ein Anruf unter 110 geht immer. Außerdem kann eine Online-Anzeige jederzeit gemacht werden über www.onlinewache.polizei.niedersachsen.de
Schreiben Sie uns!
Haben Sie ähnliche Erfahrungen rund um den Pferdemarkt gemacht? Hätten Sie Vorschläge, wie man die Situation auf Stades zentralem Platz verbessern kann? Schreiben Sie uns gerne an: richter@tageblatt.de.

Der Stammplatz der Trinker unter den Kastanien beim Zeughaus. Foto: Anping Richter