TArchäologen: Spannende Funde entlang der Suedlink-Trasse

Das Schmuckstück unter den bisherigen Funden: ein Webgewicht, etwa 1500 Jahre alt. Foto: Kratzmann
Zufallsfund: Bei Baggerarbeiten für die Stromautobahn sind Archäologen auf eine wahren Hotspot gestoßen. Die Sachsen-Siedlung birgt spannende Erkenntnisse.
Landkreis Rotenburg. Alles hängt mit allem zusammen. Das gilt in der Spätantike, und das gilt heute. So blieb das Elbe-Weser-Dreieck vor etwa 1500 Jahren nicht unberührt davon, was sich 200 Jahre zuvor in der Mongolei abgespielt hatte. Dort begann, was in den Geschichtsbüchern als Völkerwanderungszeit bezeichnet wird.
Die Chinesen vertrieben ihre nördlichen Nachbarn, die Hunnen. Die Migranten zogen auf der Suche nach neuen Siedlungsgebieten gen Westen und setzen damit eine Kettenreaktion in Gang. Damit erhöhte sich nach und nach der Druck auf die Ostgrenze des römischen Reichs.
Rom nahm die vor der Tür stehenden Germanen unter Vertrag und setzte deren Krieger als Söldner ein. Doch deren Loyalität erodierte wie die Macht des weströmischen Kaisers. Innere Konflikte mündeten in einen Bürgerkrieg.
Die Söldner agierten auf eigene Rechnung. Das römische Reich zerfiel. Die Herrschaft über Britannien war perdu. Aus dem heutigen Norddeutschland setzten Angeln und Sachsen nach England über. Das ist etwa 1500 Jahre her.
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Unter dem Oberboden liegt die Vergangenheit
In diese Zeit zurück führen Funde, die dieser Tage entlang der Suedlink-Trasse auftauchen. So zwischen Wense und Boitzen im Landkreis Rotenburg. Dort hatten im Mai die Erdarbeiten zum Bau der Stromautobahn begonnen. Als die Baggerschaufel die ersten Meter der Kabeltrasse freigelegt und den Oberboden abgetragen hatte, geboten Archäologen dem Baggerführer sogleich Einhalt.

Ausgräberin Sarah Roß stößt beim Freilegen der Feuerstelle im Kabelgraben südlich von Wense auf drei Tonscherben. Foto: Kratzmann
Kaum einen Meter unter der Krumme erspähten die Fachleute eine schwarze Verfärbung des Sandes. Ein Hinweis, der bei Archäologen den Blutdruck steigen lässt. Der Fund rief sogleich weitere Experten auf den Plan. Sie sind Angestellte von Elisabeth Ida Faulstich-Schilling, Inhaberin des Freien Instituts für angewandte Kulturwissenschaften (Fiak) mit Sitz in Cottbus.
Fiak ist Auftragnehmer von Tennet. Der Übertragungsnetzbetreiber lässt den Suedlink auf 700 Kilometer von Nord- nach Süddeutschland verlegen. Die ersten Trassenkilometer verlaufen von Farven nach Lauenbrück.

Grabungsleiterin Beatrice Seeger am Rand des etwa 500 Meter langen Grabungsschnitts südlich von Wense. Foto: Kratzmann
Fiak-Mitarbeiter haben dieses 37 Kilometer lange Teilstück der Kabeltrasse vor Beginn der Erdarbeiten in Abstimmung mit Kreisarchäologe Dr. Stefan Hesse einer „vorbereitenden archäologischen Untersuchung“ unterzogen, ohne dass sich dabei der Mantel der Geschichte lüften ließ.
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Funde hier, Funde dort und der Hotspot bei Wense
Umso mehr gibt das Erdreich preis, sobald der Oberboden abgetragen ist. Die Fiak-Chefin verweist auf Funde bei Osterheeslingen, bei Weertzen, Scheeßel, Sassenholz, Rüspel und eben südlich von Wense. „Das ist der Hotspot im Moment“, unterstreicht Faulstich-Schilling.

Da ist was. Die schwarze Färbung deutet auf eine Feuerstelle hin. Foto: Kratzmann
Auf dem etwa 500 Meter langen und 6 Meter breiten Trassenabschnitt reiht sich Fundstelle an Fundstelle. Neben dem ersten schwarzen Fleck legte das Team von Grabungsleiterin Beatrice Seeger in weniger als einem Meter Abstand weitere Flecken frei.
Mit Schaufel und Maurerkelle holten die Ausgräber die Struktur eines Grubenhauses ans Licht: Holzpfosten in regelmäßigem Abstand zueinander und Mauerreste. Dieses frühe Tiny House hatte die Abmessung von etwa drei mal zwei Meter. „Der Zimmermann hat korrekt gearbeitet“, stellt die Grabungsleiterin fest. Die Pfosten des Hauses seien von gleicher Stärke.

Jede Fundstelle wird zeichnerisch exakt dokumentiert - so wie diese drei Grubenhäuser. Foto: Kratzmann
Die sächsischen Hausbewohner waren keine Einsiedler. Sie hatten Nachbarn. Drei Grubenhäuser standen in unmittelbarer Nähe zueinander. Ein weiteres in einiger Entfernung. Eines der Häuser verfügte über eine Feuerstelle. Dort finden Seegers Kollegin Sarah Roß und Kollege Alexander Grigoryan Holzkohle und Tonscherben, viele Tonscherben.
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„Alltagsgeschirr und gutes Geschirr gab es schon damals“
Anhand der Scherben lasse sich eine Datierung vornehmen, erklärt Grigoryan und präsentiert eine braune Scherbe, halb so groß wie ein Fünf-Euro-Schein und etwa vier Millimeter stark. Und schon entdeckt Sarah Roß das nächste Fragment. Mehr als 100 Scherben haben die Fiak-Mitarbeiter bereits gefunden.

Die Scherbe eines Tongefäßes hält Grabungstechniker Alexander Grigoryan in der Hand. Anhand solcher Scherben können Archäologen eine Datierung vornehmen. Diese Scherbe stammt aus dem 5. bis 6. Jahrhundert nach Christi Geburt. Foto: Kratzmann
Deren Chefin ordnet sie etwa 30 Gefäßen zu. Einige Fragmente weisen Verzierungen auf - Kreise, Linien. Manche sind gewölbt, anderen haften Bruchstücke eines Henkels an, wieder andere sind poliert. „Das waren keine Vorratsgefäße“, kommentiert Beatrice Seeger.

Verziert, poliert, gewölbt: Hinweise darauf, dass es bereits vor 1500 Jahren Sonntagsgeschirr gab. Foto: Kratzmann
Unter Hinweis auf weniger fein gearbeitete Fundstücke stellt sie fest: „Alltagsgeschirr und gutes Geschirr gab es schon damals.“ Und die Menge der Scherben deutet darauf hin, „dass sich die Leute hier länger aufgehalten haben“.
Zudem sind die Ausgräber auf Steinklingen gestoßen, die die Siedler als Schaber und Schneidwerkzeug verwendet haben dürften.
Die Fundstücke verbleiben im Landkreis
Ein Juwel unter den Fundstücken hält Elisabeth Ida Faulstich-Schilling in der Hand: ein Webgewicht. Handtellergroß, gleichmäßig gerundet, so schwer wie ein halbes Pfund Butter, mit einem daumendicken Loch exakt in der Mitte. „Wir hoffen auf mehr“, sagt Seeger.

Elisabeth-Ida Faulstich-Schilling, die Inhaberin der Grabungsfirma Fiak, präsentiert das Schmuckstück unter den bisherigen Funden: ein Webgewicht, etwa 1500 Jahre alt. Foto: Katzmann
Die Hoffnung scheint nicht unbegründet, denn die Sachsen-Siedlung erstreckt sich auf 500 Meter Länge, und die sechs Meter breite Trasse sei quasi „ein Guckloch“, meint Kreisarchäologe Hesse. Suedlink ist ihm ein Längsschnitt durch das Land. „Super für die Archäologie“, stellt er fest
Hesse spricht von „enormem Erkenntniszuwachs“ und verweist darauf, dass die Siedlung der frühen Wenser ein Zufallsfund war. Das schürt Erwartungen. Zumal ein Fiak-Grabungsteam bei Volkensen auf eine Brandgrubenreihe gestoßen ist, die vermutlich aus der Bronzezeit vor etwa 3500 Jahren stammt.
Was immer die Ausgräber entdecken, das dokumentieren sie zeichnerisch, schriftlich und fotografisch. Fundstücke bergen sie. Formal gehen die Artefakte in das Eigentum des Landes über. Doch Kreisarchäologe Hesse wird sie in Empfang nehmen. „Sie bleiben in der Region“, versichert er.