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Medizinische Versorgung

TArzt schmeißt überraschend hin – und macht seinem Frust Luft

Dieses Schild fanden die Patienten an einer Arztpraxis in Hagen vor, die offenbar von einem Tag auf den anderen geschlossen wurde.

Dieses Schild fanden die Patienten an einer Arztpraxis in Hagen vor, die offenbar von einem Tag auf den anderen geschlossen wurde. Foto: Privat

Die Patienten einer Praxis im Kreis Cuxhaven stehen seit dieser Woche vor verschlossenen Türen. Ein Schild verweist auf wirtschaftliche und gesundheitliche Probleme – und auf sehr viel Frust über Politik und Bürokratie. Was können Patienten nun tun?

Von Jan Iven Mittwoch, 17.07.2024, 12:50 Uhr

Landkreis Cuxhaven. Eigentlich sollte die Arztpraxis in Hagen im Bremischen nur drei Wochen wegen Urlaub geschlossen bleiben. Doch nun hat es den Anschein, dass Hausarzt Oliver Becker nicht mehr zurückkehren wird.

Patienten stehen seit dieser Woche völlig überraschend vor verschlossenen Praxistüren. Und daran hängt ein Zettel, der es in sich hat.

Was können betroffene Patienten nun machen?

So schreibt der Mediziner: „Nach 22,5 Jahren muss ich leider meine Praxis aus betriebswirtschaftlichen und gesundheitlichen Gründen schließen!“ Weiter heißt es: „Danke an mein tolles Team, danke für das Vertrauen durch unsere Patienten-/innen.“

Zum Schluss scheint ziemlicher Frust durch: „Die Politik und die Kassenärztliche Vereinigung schaffen die freie, menschliche Medizin ab!“ Oliver Becker ist telefonisch nicht zu erreichen. Im Internet steht bei Google-Maps unter seiner Praxis „Dauerhaft geschlossen“. Auf dem Anrufbeantworter der Praxis lassen sich keine Meldung mehr aufsprechen – laut Ansage ist das Band voll.

Bei den Patienten herrscht ebenfalls Frust, Wut, Enttäuschung – und Unsicherheit darüber, wie es weitergeht. Mit Namen möchte sich zwar niemand zitieren lassen. Doch die Reaktionen im Gespräch mit der Redaktion sind deutlich.

Was für besondere Entrüstung bei Patienten sorgt: Selbst die Mitarbeiter sollen erst wenige Tage zuvor informiert worden sein. Bestätigt ist das nicht.

Patienten berichten, dass der Arzt schon seit geraumer Zeit unzufrieden mit den bürokratischen Arbeitsbedingungen für Mediziner gewesen sein soll. Auch die Finanzierung soll nicht mehr ausreichend gewesen sein.

Viele Patienten sind nun unsicher, wie es für sie weitergeht. „Für Patientendaten gilt in der Regel eine Aufbewahrungspflicht von mindestens zehn Jahren“, sagt Niko Gerdau, Sprecher der Ärztekammer Niedersachsen. Die Patienten hätten einen Rechtsanspruch darauf, dass der Arzt ihnen ihre Unterlagen zukommen lässt. Dies gelte auch, wenn der Arzt aufhört, zu praktizieren. Die Unterlagen fließen sogar in die Erbmasse ein und müssen nach dem Tod des jeweiligen Mediziners weiter verwaltet werden.

Dass Praxen aus wirtschaftlichen Gründen schließen, sei sehr selten, so die Ärztekammer. Oftmals würden die Gründe dann eher im persönlichen Bereich liegen. Zu dem konkreten Fall konnte die Ärztekammer aber keine Aussagen machen.

Im Fenster der Arztpraxis hängt nun ein zweiter Zettel. Darauf wird angekündigt, dass die Patienten ihre Unterlagen am Donnerstag, 18. Juli, und Freitag, 19. Juli, von 9 bis 12 Uhr abholen können. Patienten werden gebeten, einen Zettel mit ihrem Wunsch in den Briefkasten zu werfen. Weitere Termine sollen noch bekannt gegeben werden.

Wie finden Patienten einen neuen Arzt?

Die Kassenärztliche Vereinigung wurde nach eigenen Angaben am Montag „formlos“ darüber informiert, dass der Arzt seine Praxis nicht mehr öffnen werde. Den Verzicht auf die Kassenzulassung müsse der Arzt allerdings noch schriftlich mitteilen. Die KV werde das Gespräch mit der Praxis suchen.

Einen neuen Arzt können Patienten über die Kassenärztliche Vereinigung Niedersachsen finden, etwa auf ihrer Internet-Seite: www.arztauskunft-niedersachsen.de . Für Hagen im Bremischen werden dort derzeit neun Hausärzte aufgelistet, unter anderem auch noch Oliver Becker.

Die Kassenärztlichen Vereinigung (KV) Niedersachsen betont, dass viele Ärzte mit der wachsenden Bürokratie zu kämpfen haben. Vor allem die Budgetierung verärgert viele. So sind die Honorare für die Patienten gedeckelt, egal, wie viel die Ärzte arbeiten. „Der Gesundheitsminister Karl Lauterbach will die Budgets aber abschaffen, was sehr hilfreich ist“, sagt der KV-Sprecher Detlef Haffke.

Viele Patienten brauchen nun einen neuen Arzt

Unterdessen gehen auch bei anderen Arztpraxen in Hagen vor allem Anrufbeantworter ran - mit Hinweis auf organisatorischen Gründe. Offenbar versuchen derzeit zu viele ratlose Patienten aus Hagen, einen Termin zu bekommen.

Vor der Praxis von Hausärztin Ilka Priebe im Hagener Gewerbepark bildete sich in diesen Tagen etwa eine lange Schlange, darunter auch viele ehemalige Patienten von Oliver Becker. „Eine Katastrophe“, sagt eine Mitarbeiterin nur. Lange kann die Ärztin aber nicht mehr einspringen. Mittwochmittag, 17. Juli, schließt die Praxis für den Sommerurlaub.

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