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TAuch ohne Strafanzeige: Ärzte der Elbe Kliniken dokumentieren die Spuren von Gewalt

Diese Szene ist gestellt: Ein Mädchen hält ihre Hände vor das Gesicht. Opfer häuslicher Gewalt scheuen sich oft, zur Polizei zu gehen. Das Netzwerk ProBeweis bietet Hilfe an.

Diese Szene ist gestellt: Ein Mädchen hält ihre Hände vor das Gesicht. Opfer häuslicher Gewalt scheuen sich oft, zur Polizei zu gehen. Das Netzwerk ProBeweis bietet Hilfe an. Foto: Fabian Sommer/dpa

Verprügelt und vergewaltigt: Experten gehen bei diesen Verbrechen von einer hohen Dunkelziffer aus. Die Elbe Kliniken sind Partner des Netzwerks „ProBeweis“. So helfen Ärzte in Stade und Buxtehude den Opfern von häuslicher und sexueller Gewalt.

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Von Karsten Wisser
Sonntag, 25.02.2024, 18:20 Uhr

Landkreis. Neben Angst und Scham kommt es bei häuslicher Gewalt, bei der Täter und Opfer nicht selten unter einem Dach leben, oft zu einer Flucht aus dem gewohnten Umfeld und dem Bruch mit der eigenen Familie. Darüber hinaus fürchten Betroffene - Frauen wie Männer - häufig, bei einem Verfahren mit wiederholten Befragungen und schmerzhaften Erinnerungen konfrontiert zu werden.

Dokumentation der Spuren der Gewalttat ohne Anzeige

Die Elbe Kliniken Stade-Buxtehude bieten für Opfer Hilfe. Sie zählen zu den mehr als 40 niedersächsischen Partnerkliniken des Netzwerkes ProBeweis, das 2012 vom Institut für Rechtsmedizin an der Medizinischen Hochschule Hannover ins Leben gerufen wurde. ProBeweis hilft Opfern häuslicher und/oder sexueller Gewalt: Geschulte Ärzte sichern und dokumentieren die Spuren der Gewalttat und erstellen kostenlos gerichtsverwertbare Befunde - unabhängig von einer Anzeige bei der Polizei. Allein in Niedersachsen wurden beinahe 27.000 Fälle von häuslicher Gewalt dokumentiert. 2022 gab es im Landkreis Stade 565 Fälle. Die Dunkelziffer ist mit großer Wahrscheinlichkeit deutlich höher. Denn es kommt nur selten zur Anzeige bei der Polizei.

Häusliche Gewalt meistens keine einmalige Tat

Vielen Betroffenen fällt es sehr schwer, nach erlebter Gewalt sofort zu entscheiden, ob sie eine Anzeige bei der Polizei erstatten wollen. Für ein mögliches späteres Gerichtsverfahren ist es jedoch wichtig, zeitnah nach der Gewalterfahrung Befunde und Spuren fachkundig zu dokumentieren und zu sichern. Denn bei häuslicher Gewalt bleibt es meistens nicht bei einer einmaligen Tat. Die kurz nach der Tat dokumentierten Befunde und Spuren können zu einem späteren Zeitpunkt in Gerichtsverfahren sehr hilfreich sein. Denn sonst steht häufig Aussage gegen Aussage.

Notfallaufnahmen der Elbe Kliniken sind Anlaufpunkt für Opfer häuslicher Gewalt. Initiiert wurde die Mitgliedschaft der Elbe Kliniken im Netzwerk ProBeweis bereits vor einigen Jahren auf Bestrebungen von Dr. Thorsten Kokott, Chefarzt der Klinik für Frauenheilkunde und Geburtshilfe am Elbe Klinikum Stade: „Anfangs war dies mit intensiven Schulungen der gesamten beteiligten Kolleginnen und Kollegen des Teams verbunden. Diese erfolgen nun routinemäßig, insbesondere für neue Mitarbeiter.“

Die Aufnahme der Opfer von Gewalt erfolgt vertraulich

Sowohl im Elbe Klinikum Stade als auch in Buxtehude ist jeweils die Zentrale Notfallaufnahme die erste Anlaufstelle für Opfer häuslicher und sexueller Gewalt. Die Aufnahme erfolgt vertraulich. Ob Hämatome oder Spuren von Sperma - alles, was einer späteren strafrechtlichen Nachverfolgung dient, kann so erfasst werden. Die gespeicherten Daten der Versicherten werden gesperrt, so dass der Zugriff nur noch mit Einwilligung der betroffenen Person oder zur Geltendmachung, Ausübung oder Verteidigung von Rechtsansprüchen erfolgen darf.

Von der Notaufnahme aus werden die Patienten an die Kliniken für Gynäkologie und Unfallchirurgie überwiesen. „Unsere Ärztinnen werden einmal jährlich vom Netzwerk ProBeweis intensiv geschult“, erklärt Dr. Karen Petersen, Chefärztin der Klinik für Gynäkologie am Elbe Klinikum Buxtehude.

Die Befunde bleiben lange vor Gericht verwertbar

Alles geschieht unter Wahrung der ärztlichen Schweigepflicht. Die notwendige Ausrüstung sowie das Untersuchungsmaterial erhalten die Kliniken vom Netzwerk ProBeweis gestellt. „Unsere Untersuchungen zur Beweissicherung nehmen wir ausschließlich mit den zur Verfügung gestellten Materialien vor, um sicherzustellen, dass die Befunde vor Gericht verwertbar sind“, sagt Dr. Jörg Franke, Chefarzt der Klinik für Unfallchirurgie am Elbe Klinikum Stade. Die forensische Beweissicherung und Asservierung erfolgen anschließend am Institut für Rechtsmedizin in Hannover.

Seit 1. Januar 2024: Spurensicherung ist Kassenleistung

Wie wichtig das Angebot des Netzwerkes in Niedersachsen ist, zeigt eine Vereinbarung, die der Minister für Soziales, Arbeit, Gesundheit und Gleichstellung, Dr. Andreas Philippi, und die gesetzlichen Krankenkassen im August letzten Jahres unterzeichneten.

Sie gewährleistet, dass die forensische Spurensicherung durch das Netzwerk ProBeweis seit dem 1. Januar 2024 eine kassenfinanzierte Leistung wird. Gleichzeitig wird die finanzielle Unterstützung für das Netzwerk seitens des Landes erhöht. Damit ist Niedersachsen das erste Bundesland, in dem die medizinische Beweissicherung nach einer häuslichen und sexuellen Gewalttat kassenfinanziert angeboten wird.

Netzwerk ProBeweis

Seit 2012 kümmern sich die Mediziner des Netzwerks ProBeweis darum, den zum Teil stark traumatisierten Frauen und Mädchen unkompliziert und barrierearm zu helfen. ProBeweis versteht sich jedoch nicht nur als Anlaufstelle für Frauen, sondern auch für Männer, denn auch diese erleben häusliche und/oder sexuelle Gewalt. Mittlerweile umspannt das Netzwerk ganz Niedersachsen: Seit 2012 wurden insgesamt 1370 Fälle dokumentiert.

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