TAudioguide zur Stader NS-Geschichte: Stationen erzählen von der Gewaltherrschaft

Engagierte Schüler der Berufsbildenden Schulen II stellen in der St.-Wilhaldi-Kirche den antifaschistischen Audioguide „Erinnerung. Jetzt“ zur NS-Zeit in Stade vor: Rolf Paredes, Leon Nunez, Manroop Singh, Lehrerin Sabine Wramba, Lena Hinrichs, Chaim M’barek und Linn Kottmann (von links). Foto: Vasel
Schüler der Berufsbildenden Schulen haben einen Audioguide zur Stader NS-Geschichte entwickelt. Ihr Stadtrundgang ist Erinnerung und Mahnung zugleich. Die jungen Leute präsentierten ihr Projekt an einem symbolträchtigen Ort des Widerstands.
Stade. „Ich bin sehr beeindruckt von dem Projekt“, lobte Schulleiterin Claudia Voß die Schüler des bilingualen Politikkurses ihrer Kollegin Sabine Wramba bei der Präsentation in der gut besuchten St.-Wilhadi-Kirche in der Stader Altstadt. Auch die stellvertretende Bürgermeisterin Daniela Oswald (SPD) und Pastorin Claudia Brandy waren der Einladung gefolgt.
Wie wichtig der antifaschistische Audioguide „Erinnerung. Jetzt“ sei, habe die Europawahl gezeigt. Die Schulleiterin verwies auf das Abschneiden der zum Teil als verfassungsfeindlich eingestuften AfD. Diese hatte deutschlandweit fast 16 Prozent der Stimmen eingefahren - auch unter jüngeren Wählern. Sie hoffe, dass der kostenlose Audioguide viele Menschen - vom Einheimischen bis zum Touristen - aufrütteln werde, „damit so etwas wie im Nationalsozialismus nie wieder passiert“.

Die BBS-Schülerinnen und Schüler konnten auf die Forschungsergebnisse und den Antifaschistischen Stadtrundgang von Michael Quelle zurückgreifen. Foto: Vasel
In dem Audioguide „Erinnerung. Jetzt“ berichten Schülerinnen und Schüler der Berufsbildenden Schulen II von Gewalt und Unterdrückung und erinnern an die Opfer der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft von 1933 bis 1945 in der Stadt Stade. Der 17-minütige Audioguide führt von dem jüdischen Friedhof am Bleichergang über sieben Stationen bis zur St.-Wilhadi-Kirche. Die Sprecher leiten durch Wegbeschreibungen von einem Erinnerungsort zum nächsten.
Der kostenlose Audioguide fußt auf dem antifaschistischen Stadtrundgang und der Forschungsarbeit des Experten für die regionale NS-Geschichte, Michael Quelle. Rassismus, Zwangsarbeit, Widerstand, Unrecht und Erinnerungskultur - das alles wird anhand der Lebensgeschichte von Opfern der NS-Gewaltherrschaft thematisiert.

Vor der Wilhadi-Kirche erinnern Stelen an die Opfer der NS-Gewaltherrschaft, Michael Quelle gibt Auskunft (links). Foto: Vasel
Die Schüler haben einen Flyer aufgelegt, über die QR-Codes auf dem Stadtplan kann der Audioguide komplett auf der Seite abgerufen werden. Dieser kann auch über die Internetseite bbs2.stade.de
auf Smartphone, Tablet oder PC geladen werden. Die Schüler hoffen, dass die QR-Codes auch auf Tafeln an den Erinnerungsorten montiert werden. Die BBS II (Wirtschaft, Verwaltung und Gesundheit) sucht Sponsoren, Kontakt: 04141/492-204. Eine spanische Version ist geplant.
Präsentation am Ort des Widerstands
Der Ort der Präsentation war symbolträchtig. In Wilhadi predigte der Nazi-Gegner und Pastor Johann Gerhard Behrens. Er warnte vor dem Teufel in Gestalt der Nationalsozialisten. Knapp zwei Drittel der Pastoren im Kirchenkreis Stade gehörten der Bekenntnisbewegung an. Diese forderte die Freiheit und Unabhängigkeit der Verkündung.
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Pastor Behrens war einer von ihnen. Der Konservative widersetzte sich Kirchenvorstand und Superintendenten. So taufte er beispielsweise Kinder jüdischer Abstammung. Bei einer Predigt verurteilte Behrens öffentlich die rassisch-völkische Weltanschauung des Dritten Reiches. Blut, Rasse und Volkstum könnten nicht an die Stelle Gottes gesetzt werden.

Blick in die St.-Wilhaldi-Kirche: Hier predigte der Stader Pastor Johann Gerhard Behrens, ein Kritiker der NS-Diktatur. Foto: Vasel
SA- und SS-Leute lauerten ihm am 16. September 1935 auf. Sie hingen ihm ein Schild mit der Aufschrift „Ich bin ein Judenknecht“ um und trieben ihn durch die Stadt - unter Beifall zahlreicher Schaulustiger. Dabei beschimpften und misshandelten die Nazi-Schergen ihn in der Bahnhofstraße an der Hohentorsbrücke. Diese ist Station 3 des Rundgangs.
Nur durch den persönlichen Einsatz des Regierungspräsidenten Albert Leister konnte der Pastor befreit werden. Die Haupttäter wurden wegen der internationalen Aufmerksamkeit vor der Olympiade wegen Landfriedensbruchs verurteilt, doch eine Strafe mussten sie nicht verbüßen. Die Täter versuchten nach dem Krieg, das Urteil als NS-Unrecht aufheben zu lassen - vergeblich.