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24-Stunden-Reportage

TAutofahren lernen auf Buxtehudes Straßen

Vor dem Start ist der Rückwärtsblick wichtig.

Vor dem Start ist der Rückwärtsblick wichtig. Foto: Felsch

Abends ist wenig Verkehr auf den Straßen von Buxtehude. Eine gute Gelegenheit, das Autofahren zu lernen. Das findet auch Merle Chomek, die heute mit ihrem Fahrlehrer Ingo Wallek und unterwegs ist.

Von Franziska Felsch Sonntag, 14.07.2024, 17:55 Uhr

Buxtehude. Die 1,60 Meter große Fahrschülerin muss den Sitz nach vorne stellen, damit ihre Füße Gas und Bremse erreichen. „Unter 1,50 braucht man eine Sondergenehmigung“, sagt Wallek. Hat er schon erlebt. „Ist aber die Ausnahme.“ Aber was anderes fällt ihm auf: „Oha, deine Fingernägel sind ja mega lang.“ Das ist allerdings kein Kriterium, das ins Gewicht fällt. Nach dem gespielten Aufreger wird es ernst.

„Anschnallen, Rückspiegel einstellen, Blinker setzen und dann langsam vom Hof rollen, vorsichtig, weil die Sicht schlecht ist.“ Ingo Wallek, seit 2007 Chef der gleichnamigen Buxtehuder Fahrschule, gibt klare Anweisungen. Sicherheit geht vor. Deshalb wiederholt er während der Fahrt gebetsmühlenartig, worauf die 17-Jährige achten muss.

Fahrlehrer kurz vor dem Herzinfarkt

Der 62-Jährige scheint die Gemütlichkeit in Person, selbst bei Fehlern bleibt er gelassen und korrigiert auf charmante Art und Weise. Viel muss er gar nicht nachbessern und schon gar nicht abrupt mit dem Fuß auf das Bremspedal treten, das auf seiner Seite angebracht ist. Die Auszubildende beherrscht den VW, als ob sie nie etwas anderes gefahren ist. Doch es ist erst ihre zweite Automatikstunde, zuvor war sie 24-mal mit dem Schaltwagen unterwegs. „Es ist eine Umstellung“, gibt sie nach den ersten Metern zu, „aber ich gewöhn‘ mich dran.“

Merle Chomek lenkt zum zweiten Mal ein Automatik-Fahrzeug und die Ente ist genau wie Fahrlehrer Ingo Wallek immer dabei.

Merle Chomek lenkt zum zweiten Mal ein Automatik-Fahrzeug und die Ente ist genau wie Fahrlehrer Ingo Wallek immer dabei. Foto: Felsch

„Na klar“, ist ihr Fahrlehrer überzeugt und lotst sie durch Altkloster bis zum ehemaligen Bundeswehrviertel. Rechts soll sie auf einen Parkplatz lenken. Der Wagen hoppelt, kommt rechtzeitig vor dem Zaun zum Stehen. „Etwas zu nah dran, lieber mehr Abstand, du weißt doch, ich hatte schon einen Herzinfarkt“, scherzt Wallek und setzt hinzu: „Das würde dem Prüfer nicht gefallen. Obwohl, das sind auch nur Menschen, nette Menschen“, beruhigt er gleich wieder. Erneut zählt er auf, worauf alles zu achten ist: Fußgänger, Fahrradfahrer, Mopedfahrer, Autos, Kinder, Schilder. Merle nickt und legt den Rückwärtsgang ein.

Ohne ein anderes parkendes Auto zu touchieren, geht es wieder auf die Straße. Richtung Innenstadt. Dass rechts vor links gilt, muss er ihr nicht mehr sagen. Manchmal tut er es trotzdem, lobt, dass sie das erkannt hat. Selbst die Schilder, die vom Blattwerk der Bäume verdeckt werden. „Tja, dann haben wir auch Schilder, da weiß niemand, wofür die gut sind oder wer die da hingestellt hat“, sagt Wallek und schüttelt den Kopf. „Nur, das interessiert den Prüfer nicht, der hält sich einfach dran und deshalb musst du das auch tun“ schärft er ihr ein. „Aber es sind alles nur nette Menschen“, wiederholt er.

Mehr als 100 Fahrstunden sind die Ausnahme

Aber Merle sieht nicht so aus, als ob sie leicht einzuschüchtern wäre. Da kennt Ingo Wallek aus seiner langjährigen Praxis ganz andere Kandidaten. Junge Leute, gestresst von der Schule, unter Druck gesetzt von den Eltern, die die teuren Fahrstunden bezahlen, und die dann durchfallen. „Ein junger Mann ist nach über 100 Fahrstunden durchgerauscht. Das hat auch was mit Prüfungsangst zu tun“, weiß er. Die versucht er seinen Schülern zu nehmen, indem er sie die Situationen immer wieder durchspielen lässt.

Ingo Wallek ist seit über 30 Jahren Fahrlehrer.

Ingo Wallek ist seit über 30 Jahren Fahrlehrer. Foto: Felsch

An seine eigenen Fahrstunden kann er sich noch gut erinnern. „Ich hatte einen netten Lehrer, aber ich konnte ja schon fahren“, erzählt der gelernte Kfz-Mechaniker, der dann noch mal in fünf Monaten eine Ausbildung als Fahrlehrer dranhängte.

Blinder Passagier mit Dauerlächeln

Wallek liebt seinen Job. Auch wenn der viel Zeit in Anspruch nimmt. „Wir haben zu wenig Fahrlehrer, die Bundeswehr bildet ja nicht mehr aus, die fehlen uns“, sagt der Chef von vier Angestellten. Seine Ehefrau sitzt im Büro der von ihrem Vater 1963 gegründeten Fahrschule - eine in der Stadt, eine auf dem Land. 2007 übernahm ihr Mann und behielt nur die Schule in Buxtehude. Die mit der gelben Ente auf der Motorhaube. Ein Exemplar sitzt auf der Rückbank, ein kleines Modell auf dem Armaturenbrett. „Unser Maskottchen“, stellt Wallek die schweigsamen Mitfahrer vor, die mit dem Dauerlächeln, egal was passiert. Aber es passiert nichts.

Die gelbe Ente fährt immer mit.

Die gelbe Ente fährt immer mit. Foto: Felsch

Nichts am wuseligen Kreisverkehr, nichts an uneinsehbaren Kreuzungen, nichts an engen Baustellen, nichts im Industriegebiet, wo gerade ein Kollege von der Lkw-Fahrschule einen Fernfahrer ausbildet. Merle behält die Ruhe. Auch beim Rückwärtseinparken am Randstreifen. „Zwei Versuche hast du, eventuell einen dritten. Und möglichst nicht auf den Bordstein rauf, mag der Prüfer nicht“, sagt Wallek. Es klappt. Die Kamera vorne im Wagen bestätigt es. Der Tiagra steht akkurat, mit dem richtigen Abstand, genau nach Lehrbuch. Wallek ist zufrieden und es geht weiter Richtung B73. Hier darf Merle Gas geben. Schaltet sie den Tempomat ein, was gut sei, empfiehlt Wallek, regelt der die Geschwindigkeit.

Knifflige Verkehrssituationen

An der nächsten Ausfahrt wieder raus, Richtung Altkloster. „Was tust du, wenn der Prüfer sagt, die nächste Straße rechts“, fragt er an der Ampel. Merle steuert korrekt auf die Straße An der Rennbahn zu, obwohl die Apensener Straße näher dran ist. Doch dafür wäre die Kurve zu knapp, das sollte sie nicht machen, schon gar nicht, wenn der Prüfer hinten drin sitzt. Bei den Bodenschwellen abbremsen, leicht rübergleiten, sagt Wallek, das komme nämlich nicht so gut, wenn der Prüfer mit dem Kopf gegen das Autodach stoße.

„Vorsicht, da kommt von links ein Moped“, warnt er und Merle bremst ab. „Gut reagiert“, sagt der Fahrlehrer und klärt sie darüber auf, dass sie Zweiradfahrer, die auf der Straße fahren, statt auf dem Radweg, überholen darf. Ein Dorn im Auge sind ihm die Kandidaten mit Kopfhörer. „Die kriegen doch gar nichts mit, unverantwortlich“, schimpft er.

Und schon wartet die nächst Herausforderung auf seine Schülerin. Vom Ottensener Weg soll sie links in eine kleine Seitenstraße, die sich den Berg runterschlängelt, abbiegen. Blinker gesetzt, Rückwärtsblick und als der Weg frei ist, schert sie ein und bleibt rechts, muss aber dann nach links ausweichen, über die durchgezogene Linie, weil auf ihrer Seite parkende Autos stehen. „Das ist in diesem Fall erlaubt, weil es ja keine andere Möglichkeit gibt“, erklärt der Profi. Das sei aber die einzige Ausnahme.

Worauf der Prüfer achtet

„Und jetzt zügig fahren, sonst springt die Ampel auf Rot, 50 darf man hier draufhaben“, erinnert er sie auf der Hauptstraße. „Das ist ja heute Glück, grüne Welle,“ freut er sich.

Die Stunde ist vor dem Elternhaus von Merle zu Ende. Noch nicht ganz. Ausschalten, Schlüssel abziehen, Sicherheitsgurt ablegen und dann nicht einfach die Tür aufreißen, erst schauen. Auch Kleinigkeiten gehören dazu. Auch darauf achtet der Prüfer. Merle brauche noch ein paar Fahrstunden, aber das werde sie schaffen, ist ihr Fahrlehrer sicher. „Und dann noch die langen Krallen kürzen“, ruft er ihr beim Abschied zu. „Klar“, antwortet sie lachend. „Glaub‘ ich nicht, dass du alles machst, was ich sage.“ Wallek muss schmunzeln. „Das lief heute gut“, gibt er ihr mit auf den Weg, und das meint er jetzt ernst, auch wenn er sonst eine lockere Art mit seinen Schülern pflegt.

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