TBaggersee-Mordprozess: Angeklagter schildert Details der Tatnacht

So berichtete das TAGEBLATT am 12. August 2002 von der Tat am Baggersee in Ovelgönne. Was sich vor mehr als 22 Jahren dort ereignete, erzählte jetzt ein Angeklagter vor dem Landgericht Stade. Foto: Archiv
Furcht vor dem im Milieu bekannten Schläger und ständige Beleidigungen: Das sind laut dem Angeklagten die Gründe, warum er das Opfer erschossen habe. Dabei habe er nur das Bein treffen wollen.
Buxtehude. Die 2. Große Strafkammer am Landgericht Stade hat den Prozess gegen vier Männer, die wegen gemeinschaftlichen Mordes angeklagt sind, fortgesetzt. Nachdem der Angeklagte im Juli die Tötung zugegeben hatte, schilderte er jetzt Details von der Nacht auf den 11. August 2002 an einem Baggersee in Buxtehude-Ovelgönne.
Mehr als zwei Stunden lang beantwortete der Mann Fragen der Richter, des Staatsanwalts und der Rechtsanwälte. Er sprach in kurzen Sätzen, ohne Emotionen zu zeigen.
Zusammen mit einem Bekannten und dem später getöteten Valerij V. sei er im Auto am späten Nachmittag des 10. August 2002 zu einem Grillfest an den Baggersee gefahren.
Das spätere Opfer soll provoziert haben
Eine Stimmung voller Provokationen ihm gegenüber und kurz vor dem Gewaltausbruch, so schilderte der Angeklagte den Verlauf des Grillfestes. Bei einem Streit habe Valerij V. einen anderen Mann k.o. geschlagen und danach im Mittelpunkt gestanden.
Valerij V. war ein im Milieu bekannter Schläger. Er habe begonnen, ihn zu schikanieren, sagte der Angeklagte. Valerij V. habe ihm gedroht, ihn sexuell zu belästigen. „Und er beleidigte meine Mutter“, sagte der vermeintliche Täter vor Gericht.
Das bedeutet „mafiamäßig unterwegs“
„Mafiamäßig unterwegs“ sei Valerij V. gewesen, hatte der Angeklagte in seinem Geständnis im Juli gesagt. Was das bedeutet habe, wollte der Vorsitzende Richter Dr. Julien Zazoff nun wissen. „Er kannte Leute aus Russland. Die Leute mussten vor ihm geradestehen“, antwortete der Angeklagte lediglich. Andere Leute hätten erzählt, dass Valerij V. „sehr hinterhältige Sachen“ mache.
Das Gerichtsverfahren brachte bereits ans Licht: Valerij V. galt als starker Boxer, der in einer Clique im Raum Bergedorf bei Streitigkeiten schlichtete. Die Polizei ging bei den Ermittlungen 2002 davon aus, dass Valerij V. in Drogengeschäfte verwickelt war.
Jedenfalls fasste der Angeklagte zu diesem Zeitpunkt einen folgenschweren Entschluss: „Ich habe entschieden, dass ich mich sicher fühlen möchte“. Der Angeklagte fuhr in seinem silbernen Mercedes in den benachbarten Hamburger Stadtteil Neugraben und besorgte sich bei einem Bekannten namens Alexander eine Waffe. Dieser habe ihm das Gewehr bereits Wochen oder Monate zuvor verkauft und es aufbewahrt.
Als es dämmerte, sei der Angeklagte mit dem Auto und dem Gewehr im Kofferraum an den Baggersee zurückgekehrt. Das Fest näherte sich dem Ende. Geduldig habe der Angeklagte gewartet, bis er mit dem sichtlich betrunkenen Valerij V. allein war, um ihn zur Rede zu stellen.
Landgericht Stade
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„Wo ist der warme Arsch?“, soll Valerij V. zu ihm gerufen haben. Da habe er verstanden, dass die Beleidigungen und Drohungen nicht enden würden, sagte der Angeklagte vor Gericht. Valerij V. habe ihn gefragt, ob er ihn mit dem Auto nach Hause fahren könne. Der Angeklagte willigte ein.
Die letzten Minuten vor der Tötung
Die letzten Minuten vor der Tötung schilderte der Angeklagte so: Auf dem Weg zum Auto sei er schneller gegangen und habe den Vorsprung genutzt, um die Waffe aus dem Kofferraum zu holen. Was er jetzt machen wolle, habe Valerij V. gefragt und sei zwei oder drei Schritte auf ihn zugesprungen. „Ich schoss auf sein Bein, linke Seite“, sagte der Angeklagte.
Auf die Knie sei Valerij V. gesunken und zu Boden gefallen. Der Angeklagte schoss anschließend noch zwei Mal auf sein Opfer. Nach seiner Schilderung wie in Trance: „Ich wollte eigentlich nicht ein zweites Mal schießen, wollte nur in das Bein schießen.“
Anschließend habe er im Auto die Flucht ergriffen. Er habe die Waffe in einen See in Meckelfeld (Landkreis Harburg) geworfen.
Angeklagter entlastet die Mitangeklagten
Erneut entlastete der Angeklagte die anderen drei Angeklagten: Sie hätten Valerij V. nicht wie in der Anklageschrift behauptet in den Wald gelockt. Sie hätten vielmehr zum Zeitpunkt der Tötung das Fest bereits verlassen.
Landgericht Stade
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Aber warum hat der Angeklagte die drei anderen Männer in seinem Bekennerschreiben beschuldigt? Er begründete das mit seiner psychischen Erkrankung. Er habe Stimmen im Kopf gehört. Im Gefängnis isoliert, habe er gewollt, dass jemand, dem er vertraut, zu ihm kommt. Ein Vertrauter sollte ihm sagen, was Realität sei und was nicht. Deshalb habe er die Namen seiner früheren Freunde genannt.
Die drei Mitangeklagten bleiben in Haft. Der Prozess wird am Mittwoch, 2. Oktober, 12 Uhr, fortgesetzt.