TBahn-Rebell Michael Jung: „Ich bin wegen der Bahn aus der SPD ausgetreten“

Der 74-jährige Michael Jung ist der Gründer der Bürgerinitiative Prellbock Altona. Foto: Markus Lorenz
Wenn Michael Jung um die Ecke kommt, rollen sie bei der Bahn schon mal mit den Augen. Sagt er selbst. Der 74-Jährige ist ein hartleibiger Kritiker, einer mit Sachverstand und Durchhaltevermögen.
Hamburg. TAGEBLATT: Herr Jung, fahren Sie eigentlich noch gern Bahn oder ärgern Sie sich jedes Mal?
Michael Jung: Wenn ich in einem Zug sitze, der halbwegs pünktlich ist, gibt es nichts Entspannteres als Bahnfahren. Zumindest auf Fernstrecken.
Wie oft ist das der Fall?
Viel seltener als früher jedenfalls. Ich bin 28 Jahre lang regelmäßig mit der Bahn von Hamburg nach Frankfurt gependelt und stelle fest, dass die Unpünktlichkeit erheblich zugenommen hat. In den 28 Jahren ist es mir nur zweimal passiert, dass ich nicht am selben Tag ankam, an dem ich losgefahren bin. Heute würde das wegen der dauernden technischen Ausfälle deutlich öfter passieren.
Hat Sie dieser persönliche Ärger dazu gebracht, Prellbock zu gründen und sich gegen Bahnplanungen zu engagieren?
Ich wollte vor allem verhindern, dass die Bahn Altona den Fernbahnhof wegnimmt.
Was spricht gegen die Verlegung nach Diebsteich?
Einen Bahnhof aus einem so belebten Stadtteil in ein Gebiet an der Peripherie zu verlegen, macht keinen Sinn. Diebsteich ist eingeklemmt zwischen Gewerbegebiet und Friedhof. Sonst gibt es da nichts. Auch verkehrstechnisch ist es ein Sündenfall erster Güte, einen funktionierenden Verkehrsknoten auseinanderzureißen. Wir haben in Altona drei S-Bahn-Linien und den größten Busbahnhof Hamburgs mit 20 Linien.
Und in Diebsteich?
Werden zwei S-Bahn-Linien und drei Buslinien halten. Der Bahnhof ist zu Fuß schlecht zu erreichen. Pendler aus Schleswig-Holstein müssen dort künftig umsteigen und eine Station mit der S-Bahn fahren, um nach Altona zu kommen. Wo ist da die Verbesserung?
Der Bau des Bahnhofs läuft seit drei Jahren. Sie haben den Kampf doch längst verloren?
Die Hoffnung stirbt zuletzt. Im Moment haben wir wieder Hoffnung, weil sich an der Baustelle nichts mehr tut. Es gibt keinen Bauleiter seitens der Deutschen Bahn mehr. Ich glaube, die bauen in Diebsteich nur den S-Bahnhof fertig. Aber nicht den Fernbahnhofsteil.
Warum sollte die Bahn das tun?
Die Bahn ist mit 34 Milliarden Euro verschuldet und muss sparen. Für Stuttgart 21 hat sie gerade ein Urteil kassiert, wonach sie sieben Milliarden Euro Mehrkosten selber schultern muss. Der Deutschen Bahn geht das Geld aus und sie muss überlegen, worauf sie verzichten kann. Diebsteich wäre ein Projekt, von dem man sagen kann: In der Bevölkerung ist keiner scharf auf das Ding, bei einem Rückzug gäbe es keinen Imageschaden.
Der Bau der beiden Bahnhof-Hochhäuser am Diebsteich wurde gerade verschoben. Wie deuten Sie das?
Das ist die Konsequenz der unfertigen Planung. Um Diebsteich funktionsfähig zu bekommen, muss erst der Verbindungsbahn-Entlastungstunnel gebaut werden. Die S-Bahn-Gleise des Tunnels sollen unter das Bahnhofsvorfeld, also in den Bereich der Fundamente für die Hochhäuser. Der private Investor wartet ab, was genau zum Verbindungstunnel entschieden wird. Ich erwarte, dass der Bahnhof Diebsteich bis 2040 ein Provisorium sein wird.
Auch den Verbindungsbahn-Entlastungstunnel lehnen Sie ab. Warum eigentlich? Die S-Gleise zwischen Hauptbahnhof und Altona unter die Erde zu legen, um auf dem hochbelasteten Schienenkorridor Platz für den Fernverkehr zu schaffen, klingt doch vernünftig.
Nein. Der Tunnel ist mit zehn bis zwölf Milliarden Euro viel zu teuer und auch zu kompliziert in der Bauweise. Damit er überhaupt funktioniert, braucht es zum Beispiel oberirdisch an der Sternschanze ein Überwerfungsbauwerk. Sonst können die Fern- und Regionalzüge Richtung Hauptbahnhof nicht sinnvoll vorsortiert werden. Das ist ein ziemliches Monster-Bauwerk. Und: Bevor der Tunnel einen Entlastungseffekt für den Deutschlandtakt entfalten kann, dauert es mindestens bis 2045. Das ist viel zu lang.
Haben Sie eine bessere Idee?
Natürlich muss man die Kapazitäten auf der Verbindungsbahn steigern. Das geht aber mit den bestehenden Anlagen, auch wenn man die S-Bahn oben lässt. Dafür braucht es den Bau eines zusätzlichen Gleises von der Rentzelstraße bis zum Dammtor, einen aufgeständerten neuen Bahnsteig am Dammtorbahnhof und ein zusätzliches Gleis von der Lombardsbrücke bis zum Gleis 14 des Hauptbahnhofs. Auch der Zulauf von Süden her muss verbessert werden. All diese kleinteiligen Maßnahmen kosten sehr viel weniger als ein Tunnel und lassen sich viel schneller umsetzen.
Warum macht die Bahn aus Ihrer Sicht fast alles falsch?
Das hat vor allem einen Grund: Wegen der Pläne zur Privatisierung und zum Börsengang wurden in der Ära Hartmut Mehdorn alle alten Bahner aufs Abstellgleis geschoben und durch McKinsey-Leute ersetzt. Dabei ist enorm viel klassisches Eisenbahn-Know-how abgeflossen. In der Konzernspitze gibt es heute keine Leute mehr, die aus dem Fach kommen. Da sitzen jetzt Unternehmensberater, Politologen, Psychologen und so weiter. Dabei kommen dann halt Planungen raus, die nicht funktionieren.
Rollen die Vertreter von Bahn und Verkehrsbehörde eigentlich mit den Augen, wenn Sie kommen? Weil sie wissen: Der Mann ist hartnäckig und nervt mit Sachverstand?
Natürlich rollen die manchmal die Augen, weil wir unbequem sind und uns gut auskennen. Wir haben bei Prellbock ein paar Leute, die wir liebevoll Weichenküsser nennen. Die waren lange bei der Bahn beschäftigt, kennen jede Weiche und wissen, wovon sie reden. Und die sagen der Bahn ganz klar: Eure Pläne sind falsch.
Die deutsche Politik verspricht eine große Offensive für den Ausbau der Bahn. Meinen die das nicht ernst?
Im Grunde nein. Schauen Sie sich doch an, wer im Aufsichtsrat der Deutschen Bahn sitzt: Nicht etwa der Bundesverkehrsminister. Aufsichtsratschef ist ein entlassener Staatssekretär aus dem Hause von Herrn Lindner. Und die Vertreter des Verkehrsministeriums stammen aus der Straßenbauabteilung. Das ist abenteuerlich. Auch der vormalige Bahnvorstand Ronald Pofalla hatte von Bahn null Ahnung. Jetzt ist er zu einem Immobilienunternehmen abgewandert, das sich mit der Verwertung alter Bahnhöfe beschäftigen soll. Da sind Interessenkollisionen nicht auszuschließen.
Sie sind längst Rentner. Was treibt Sie an, Herr Jung?
Inzwischen ist es mehr als der Kampf um den Bahnhof vor meiner Haustür. Ich will nicht hinnehmen, dass ein öffentliches Unternehmen so schlecht gemanagt wird. Es geht mir und uns darum, die Bahn besser zu machen. Als Prellbock haben wir bewusst eine Anerkennung als Umweltverband angestrebt, um gegen Bahnprojekte auch klagen und konkret etwas verändern zu können.
Ihr Verein hat 70 Mitglieder, wehrt sich weitgehend ehrenamtlich gegen Großprojekte wie den Fernbahnhof Diebsteich und den Neubau der Sternbrücke. Ist das nicht wie David gegen Goliath?
Natürlich ist es das. Aber irgendwo muss es ja Korrektive geben. Wir kriegen positive Rückmeldungen, auch aus der Politik. Selbst bei den Grünen sagen uns manche: „Gut, dass es Euch gibt, weil Ihr uns die Argumente liefert.“ Es gibt schon genug Menschen in diesem Land, die sich völlig frustriert von der Politik abwenden. Wir haben die Möglichkeit, etwas zu ändern im Sinne einer besseren Bahn. Unter den Prellbock-Mitgliedern ist von der CDU bis zur Piratenpartei jedenfalls das ganze Spektrum vertreten.
Welche persönlichen Eigenschaften brauchen Sie für dieses Engagement?
Hartnäckigkeit, auch Detailverliebtheit. Und politisches Interesse. Ich habe schon als Schüler versucht, mitzugestalten. Mich interessiert auch das Technische. Die einen sammeln Kröten und zählen Vögel, ich engagiere mich für die Bahn und gute Verkehrspolitik.
Sie sind wegen der Bahnpolitik aus der SPD ausgetreten. Warum genau?
Ich war 30 Jahre lang SPD-Mitglied und bin 2004 unter anderem wegen der anstehenden Bahnprivatisierung ausgetreten. Andere Gründe waren die Auslandseinsätze der Bundeswehr, die Mogelpackung der Rentenformel mit Demografiefaktor und die Zusatzbeiträge in der Krankenversicherung zulasten der Arbeitnehmer. Das war die Zeit der Agenda 2010 unter Kanzler Gerhard Schröder und Generalsekretär Olaf Scholz.
Hand aufs Herz: Haben sich neun Jahre Engagement für eine bessere Bahn gelohnt?
Ja und nein. Man lernt viel, wir haben eine wunderbare Mischung an Leuten, die bei uns mitmachen. Das Engagement ist wichtig. Wir hoffen ja immer noch, dass gewisse unserer Argumente doch überzeugen.
Sie denken, die Bahn ist lernfähig?
Ich glaube schon. Die Bahn hat jedenfalls gelernt, dass sie für den Ersatz der Norderelbbrücken einen Planungswettbewerb ausschreibt, anders als bei der Sternbrücke. Auch die Eisenbahnbrücke Holstenstraße hat sie plötzlich saniert und lässt sie, anders als die Sternbrücke, nicht bewusst vergammeln. Das heißt, unser Druck wirkt indirekt.
Zur Person: Michael Jung ist ein Kind des Ruhrgebiets, das Studium verschlug ihn nach Hamburg. Der Volkswirt und Raumplaner arbeitete zunächst für eine US-Mineralölgesellschaft, wechselte dann zur Kreditanstalt für Wiederaufbau. Dort kümmerte er sich um Entwicklungshilfeprojekte, später lange Jahre um die Finanzierung von Eisenbahn-, Nahverkehrs- und Straßenprojekten sowie Energievorhaben im In- und Ausland. 2015 gehörte Jung zu den Gründern der Bürgerinitiative Prellbock, die um den Erhalt des Fernbahnhofs kämpft. Der 74-Jährige, der mit seiner Frau in Altona in Bahnhofsnähe lebt, engagiert sich auch im bundesweiten Netzwerk Bürgerbahn – Denkfabrik für eine starke Schiene.
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Hamburg ist meine Wahlheimat, weil … es eine lebenswerte Stadt ist, die aber Verbesserungspotenzial hat.
Wenn ich entspannen will, … mache ich Sport, fahre Fahrrad, rudere und betätige mich im Garten.
Die meiste Freude macht mir,… wenn ich anderen eine Freude machen kann.
Wenn ich einen Tag Bundesverkehrsminister wäre, … dann würde ich das Bahnmanagement entlassen.
Bahnfahren macht in Deutschland am meisten Spaß … auf einer Strecke, die die meisten nicht kennen: von Göttingen nach Glauchau in Sachsen. Wunderschön.
Mein Vorbild für gutes Bahnfahren ist … die Schweiz.
Mein Lebensmotto lautet … vorwärts gucken und optimistisch bleiben.