TBuxtehuder Familie erzählt: Wenn der Tod einem den kleinen Sohn nimmt

Johann war ein Superheld, kämpfte gegen den Tumor, ertrug alles mit einem „Na gut“ und lebte den Tag trotz des nahenden Todes. Foto: Privat
Ein Kind ist krank und muss sterben. Das ist und bleibt unfassbar. Für alle, die es auf dem letzten Weg begleitet haben. Eine Familie aus Buxtehude hat genau das erlebt und erzählt, wofür es eigentlich keine Worte gibt.
Buxtehude. Ein Hirntumor - seit dieser Diagnose ist nichts mehr wie es war. Es passiert im September 2021. Gerade haben Katharina* und Paul G. noch im Kreis von Verwandten die Konfirmation eines ihrer vier Söhne gefeiert. Neben den drei großen Teenagern ist da noch ihr dreijähriger Wirbelwind Johann. Der sitzt in der Nacht schreiend vor Schmerzen im Bett. „Ich hatte einfach ein ganz komisches Gefühl“, erinnert sich die Mutter. Die Eltern rasen in die Notaufnahme ins Elbe Klinikum nach Stade. Nach Rückenmarkspunktion und MRT stoßen die Kinderärzte schließlich auf den Tumor. Es geht sofort ins UKE nach Eppendorf.
Für Familie G. ist das der Beginn einer Odyssee zwischen quälender Gewissheit und Hoffnungsschimmer, Festhalten an kleinem Glück und Abschiednehmen. Ein Auf und Ab in schwerer See - immer wieder hinab in tiefe Trauertäler am Rande der Verzweiflung.
Das Monstrum im Kopf lässt sich nur eine Weile zähmen
Diffuses intrinsisches Ponsgliom (DIPG) - so heißt der Tumor, der am Stammhirn gewachsen ist. Von der Ärztin im UKE erfahren die Eltern, dass dieser tödlich ist und Johann nur noch kurze Zeit hat. „Es zog mir den Boden unter den Füßen weg. Das Zimmer versank in einem grauen Nebel, alles überschlug sich und mir wurde schwarz vor Augen“, erzählt der Vater. Mit diesem Moment stürzt für das Buxtehuder Ehepaar die Welt zusammen. Sie funktionieren, irgendwie. „Und unsere Großen sind so lange Zeit hinten runter gefallen, obwohl sie uns gebraucht hätten“, sagen sie in der Rückschau. Aber verständlicherweise dreht sich da alles um Johann. Die Eltern bleiben fortan zu Hause bei ihrem Kleinsten.
In seinem Kopf „wohnt ein Monstrum“, wie Vater Paul es in seiner Rede zur Beerdigung umschreibt. Das kann nicht herausoperiert werden und lässt sich nur eine Weile zähmen - mit Bestrahlung und Chemotherapie. Für die Eltern ist klar, dass sie alles versuchen, um noch so viel Zeit wie möglich mit ihrem Kind zu verbringen. „Wir beide mussten nicht eine Sekunde überlegen.“ Und vielleicht würde sich ja eine neue Therapie ergeben und Johann diesen Tumor als Allererster überleben - so der Funke Hoffnung, an den sich das Elternherz klammert. Die großen Brüder leiden mit, durchforsten das Internet nach einem rettenden Anker.
Spaghetti-Eis und ein extra Weihnachtsmarkt für Johann
Das große Wunder bleibt aus. Aber kleine Wunder und gute Tage, die gibt es trotz des nahenden Todes. Nach Krebsstation und Behandlungsmarathon kehrt in der Familie ein Stück Alltag ein. Johann ist zu Hause, kann Gokart und Rad fahren, in die Kita gehen, mit den Brüdern albern und jede Menge Spaghetti-Eis essen. „Wir haben ihn gefragt, was er machen möchte und ihm einfach gute Momente geschaffen“, erzählt Johanns Mama. Sie kaufen einen kleinen Wohnwagen für Ausflüge, feiern Johanns Taufe und fahren noch mal in den Urlaub. Im Dezember zaubern die Nachbarn ihm einen eigenen Weihnachtsmarkt vor die Tür - mit Karussell, Reiten, Kinderschminken, Clown und Puppentheater.
„Papa, wann bin ich wieder gesund?“, fragt Johann. Dass er sterben wird, sagen sie nicht. „Ich habe ihm erzählt, dass er bald auf eine lange Reise geht. Aber er wusste es doch“, ist sich der Vater sicher. „Sonst wollte er immer wissen, wann er in die Schule kommt. Danach hat er nie mehr gefragt.“ Johann ist ein Superheld, mit einem „Na gut“ erträgt er alles, lebt den Tag und tröstet Mama und Papa. Für Johann sei es nur schlimm geworden, als der Tumor ihm nach und nach alle Fähigkeiten nahm, er nicht mehr richtig laufen und sprechen konnte. Das sind Erinnerungen, wo im Gespräch die Tränen fließen.

Für die Beerdigung haben die Nachbarskinder Steine bemalt. Für jeden, der da ist. Die erinnern jetzt an Johann. Foto: Privat
Nach Johanns viertem Geburtstag im Februar 2022 ist alle Hoffnung auf noch einen gemeinsamen Sommer vorbei. Die Wachphasen werden weniger und die Ostereiersuche auf dem Arm von Papa ist das letzte Wunder. An einem Morgen Ende April ist Johann noch einmal richtig wach, frühstückt mit den Eltern und dann schläft er zu Hause im Wohnzimmer in den Armen von Mama und Papa für immer ein. Er bleibt noch über Nacht, Katharina und Paul salben seine Haut, kleiden ihren kleinen Sohn ein und der älteste Bruder hält noch mal die Hand, bevor der Bestatter kommt. Für die Beerdigung haben Nachbarskinder Steine bemalt. Für jeden, der da ist. Die erinnern jetzt an Johann.
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Im Wohnzimmer stehen noch ein paar von Johanns Spielsachen
Am Esstisch steht heute noch der rote Kinder-Hochstuhl und in der Ecke daneben füllen ein paar von Johanns Spielsachen ein Regal. Wenn Pauls dreijähriger Neffe zu Besuch ist, kann er damit spielen und greift mit der gleichen Begeisterung wie einst der Sohn zum ferngesteuerten Bagger.
In dem Neubaugebiet wohnen überall Familien mit Kindern in Johanns Alter. Paul und Katharina halten die Tür zum Leben offen. „Es tut weh zu sehen, was Johann nicht mehr machen wird, aber ich kann doch keinem Kind übel nehmen, dass es lebt“, sagt der Familienvater. Und der Mutter macht auch ihre Arbeit als Erzieherin weiterhin Spaß. Oft sind Momente Freude und Schmerz zugleich.
Johanns goldene Ballon-Vier vom Geburtstag und der Paw-Patrol-Hund vom Trauergesteck der Kita-Eltern sind auch in dem Regal. Sein Gokart und viele andere Dinge haben die Eltern aber längst weggegeben. Eine von vielen Hilfen, die sie jenseits der engen medizinischen Unterstützung und der Trauerbegleitung vom betreuenden Palliativteam bekommen haben. „Je länger man die Sachen behält, desto schwerer wird es, sie loszulassen. Und das stimmt“, erzählt die Mutter. Im Wohnzimmer hängen Fotos von Johann. In den Alben blättern sie nicht, es schmerzt gerade zu sehr.

Von dem Palliativteam bekam die Familie auch diese liebevoll gestaltete Trauerkiste, die für alle Phasen der Trauer etwas parat hat, das vielleicht hilft, diese zu überstehen. Foto: Weselmann
Die Trauer hört nicht auf. „Das Unbeschwerte ist weg, die Sicherheit für immer genommen“, sagt der Vater. Der Pastorensohn hadert mit Gott. „Ich nehme ihm das nach wie vor übel, aber er ist ein guter Blitzableiter.“ Seine Frau hat ihren Frieden mit Gott: „Ich nehm das Schicksal an und im Gottesdienst hol ich mir, was ich brauche.“
Die Eltern sind stark - für ihre anderen Söhne, die sie ja auch noch brauchen. Sie suchen Ablenkung, haben wie sonst gerne Leute im Haus und treffen sich mit Freunden. Ihre Trauer ist ganz unterschiedlich, sie kommt und geht, wird bewusst verschlossen oder zugelassen. „Der offene Umgang damit hilft, und auf eines kann man sich verlassen: Es gibt auch wieder glückliche Momente.“
*Namen von der Redaktion geändert