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Interview

TChirurg Hermann Reichenspurner: „Ich berühre das Herz direkt“

Prof. Hermann Reichenspurner.

Prof. Hermann Reichenspurner. Foto: Dagmar Gehm

Der Spezialist vom Uniklinikum Hamburg-Eppendorf über Herz-Gesundheit, schwierige OPs und Arbeitsbedingungen von Pflegekräften in Kliniken.

Von Dagmar Gehm Sonntag, 25.02.2024, 08:00 Uhr

Hamburg. Prof. Hermann Reichenspurner ist Direktor der Klinik für Herz- und Gefäßchirurgie und stellvertretender Ärztlicher Leiter des Universitären Herz- und Gefäßzentrums (UHZ) des Uniklinikums Hamburg-Eppendorf (UKE). Jährlich werden dort etwa 10.200 Patienten stationär und 19.500 ambulant behandelt. Mehr als 450 Herzen hat der „deutsche Christiaan Barnard“ mit seinem Team bereits verpflanzt.

TAGEBLATT: Sie verpflanzen Herzen in Hamburg. Ihr erstes Herz aber haben Sie – wie Professor Christiaan Barnard – in Südafrika transplantiert. Haben Sie ihn damals kennengelernt?

Hermann Reichenspurner: Die erste Verpflanzung von Christiaan Barnard war am 3. Dezember 1967. Tatsächlich habe ich meine erste Transplantation am 8. Dezember 1987 durchgeführt. Also ziemlich genau 20 Jahre später. Ich habe ihn kennengelernt, als er zwar nicht mehr als Klinikdirektor am Groote Schuur Hospital in Kapstadt, aber noch im herzchirurgischen Labor tätig war. Bei einigen Eingriffen im Labor hat er mir sogar geholfen.

Bei der ersten Transplantation in Südafrika überlebte der Patient Louis Washkansky nur 18 Tage. Welche Prognose haben die Herzempfänger heute?

Heute liegt die Überlebensrate nach einem Jahr bei ungefähr 90 Prozent, nach fünf Jahren bei 75 Prozent und nach zehn Jahren bei 60 Prozent. Das ist im Verhältnis zu früher natürlich viel besser geworden und mit einer guten Lebensqualität.

Neben Herzen transplantieren Sie Lungen, auch in Kombination. Was ist schwieriger zu verpflanzen?

Bei Patienten und Patientinnen, die nicht voroperiert sind und bei denen es sich um den ersten Eingriff handelt, ist die Organtransplantation meist etwas einfacher. Schwieriger wird es oft, wenn die Patienten an ein Kunstherzunterstützungssystem angeschlossen sind, wenn sie an der Lunge voroperiert sind oder starke Verwachsungen haben. Beide Organtransplantationen können durchaus anspruchsvoll sein.

Bekannt sind Sie vor allem für die zahlreichen Transplantationen, während über Tausende „normale“ Herz-Operationen kaum berichtet wird...

Im Jahr nehmen wir hier in Hamburg über 2000 große Herzoperationen vor, über 30 in der Woche. Herzverpflanzungen führt unser Team rund 30 im Jahr durch. Sie spielen daher in unserem breiten Operationsspektrum nur eine untergeordnete Rolle.

Kann ein Männerherz in eine Frau verpflanzt werden und umgekehrt?

Absolut! Da spielt das Geschlecht sozusagen keine Rolle (lacht). Entscheidend sind Größe und Gewicht. Man kann natürlich nicht das Herz einer 40 Kilogramm leichten Frau in einen 80 Kilogramm schweren Mann transplantieren. Das würde es nicht schaffen.

Hat ein alter Mensch mit einem leistungsschwachen Herzen geringere Aussichten auf ein Spenderorgan als ein junger?

Wir transplantieren ungefähr bis zu einem Alter von 65 Jahren, weil die Langzeitprognose bei älteren Patienten häufig nicht so gut ist wie bei jüngeren. Da wir viel zu wenige Spenderorgane in Deutschland haben, werden die Patienten sorgfältig nach festgelegten Kriterien ausgewählt. Voraussetzung ist, dass die Herzschwäche (Herzinsuffizienz) weder medikamentös noch mit medizinischen Eingriffen behandelt werden kann.

Es gibt zu wenige Spenderorgane. Woran krankt es da in der Politik?

Die Politik sollte sich dafür starkmachen, dass sich Menschen mit dem Thema Organspende auseinandersetzen. Denn die Mehrheit der Bevölkerung ist für die Organspende. Gerade jüngere Menschen machen sich häufig keine Gedanken über den Tod. Wenn man sie aber aktiv fragt, sagen die meisten: „Wenn ich tot bin, bin ich tot und habe kein Problem damit, meine Organe zu spenden.“

Wo sehen Sie einen Lösungsansatz?

In vielen Fällen wissen die Angehörigen nicht, ob die Verstorbenen ihre Organe spenden wollten und sind im Moment des Todes mit der Entscheidung oft überfordert. In Österreich ist das besser geregelt – dort ist automatisch jeder Organspender und jede Organspenderin, außer er oder sie widerspricht zu Lebzeiten. Deutschland ist im EU-Verbund das einzige Land ohne Widerspruchslösung. Beide letzten Gesundheitsminister machten sich schon seit Jahren für die Widerspruchslösung stark, die im Bundestag aber bislang keine Mehrheit gefunden hat.

Wie alt darf man sein, um Organe zu spenden?

Beim Herz ist 65 die obere Grenze, eine Niere altert nicht, sofern sie nicht erkrankt, Hornhaut kann man bis ins hohe Alter spenden. Für die Organspende gibt es generell keine Altersgrenze.

Was hat es mit dem Mythos auf sich, dass man mit den Organen auch Teile des Wesens eines Spenders übernimmt?

Um Christiaan Barnard zu zitieren: „Das Herz ist nur eine Pumpe.“ Es gibt keine Wesensübertragungen vom Spender auf den Empfänger. Trotzdem brauchen Organempfänger eine psychologische Betreuung. Zu sagen: „Mein Herz hat aufgegeben, ich habe das Herz eines anderen“ – damit muss man psychologisch erst mal klarkommen. Wir haben sehr engagierte Mitarbeitende von der medizinischen Psychologie, die unsere Patienten vor und nach der Transplantation betreuen.

Sie kämpfen für bessere Arbeitsbedingungen und höhere Entlohnung der Pflegekräfte. Was konnten Sie bisher schon erreichen?

Damit sich eine Pflegekraft am Berufsanfang in Städten wie Hamburg oder München eine Wohnung leisten kann, müsste sie ungefähr 30 Prozent mehr verdienen. Bei den letzten Tarifverhandlungen sind wir immerhin schon bei 14 Prozent gelandet. Ich selbst habe während des Studiums fünf Jahre lang im Klinikum rechts der Isar als Krankenpfleger auf der Intensivstation gearbeitet, das ist ein toller Beruf. Wir Ärzte arbeiten eng mit den Pflegekräften zusammen und sind auf sie angewiesen. Daher ist es mir auch so wichtig, mich für sie einzusetzen.

Was raten Sie, wie wir unsere Herzen auf Trab halten können?

Bewegung, Bewegung, Bewegung ist die wichtigste Prophylaxe, die es gibt. Mit Radfahren, Walken, Joggen oder zu Hause mit Geräten wie Cross- oder Hometrainer. Das Herz will trainiert werden. Dann natürlich sollte man auch versuchen, auf bestimmte Dinge zu verzichten. Schädlich sind rauchen und Übergewicht, bei Bauchfett gibt es einen direkten Zusammenhang mit dem Auftreten eines Herzinfarkts. Gegen Alkohol in geringen Maßen – ein Glas Rotwein am Abend – ist aber nichts einzuwenden.

Hand aufs Herz: Wie konsequent sind Sie mit Ihrem persönlichen Training?

Wichtig ist das sogenannte Kardio-Training. Ich versuche, drei- bis viermal pro Woche über einen Zeitraum von 45 Minuten das Herz zu trainieren. Das kann bei schönem Wetter die Umrundung der Alster sein oder bei Regen der Crosstrainer zu Hause. Dabei schaue ich zum Beispiel die Tagesthemen. Nach meiner Erfahrung muss man es immer gleich machen. Am Wochenende stehe ich auf, putze mir die Zähne und steige in die Jogging-Klamotten. Und unter der Woche fange ich nach der Arbeit sofort an zu trainieren. Wenn man einmal auf dem Sofa sitzt, ist es meist zu spät (lacht).

Apropos Einblick in Ihr Privatleben: Seit 2018 sind Sie mit John Neumeier verheiratet...

Zusammen sind wir schon seit 2004. Wir haben bloß so lange gebraucht, einen Termin zu finden. Kennengelernt haben wir uns auf einer Benefizveranstaltung seiner Hamburger Ballettschule, da bin ich ihm vorgestellt worden. Uns verbindet, dass wir beide das Herz berühren – ich direkt, er indirekt.

Seit fast einem Vierteljahrhundert leben Sie in Hamburg. Sie tragen gern bayerische Janker und haben auch den Dialekt nie ganz abgelegt. Wie viel Bayer steckt noch in Ihnen?

Schon noch ein kräftiger Bayer. Zwischen Hanseaten und Bayern gibt es keine Feindseligkeit. Ich fühle mich hier extrem wohl, habe aber ein bayerisches Standbein am Chiemsee. Sowohl John als auch ich genießen es, ab und zu auch mal in Bayern zu sein.

Zur Person:

Hermann Christoph Konrad Reichenspurner wurde am 20. April 1959 in München geboren. Nach dem Studium der Humanmedizin und verschiedenen beruflichen Stationen, darunter in Stanford/USA und in Südafrika, kam er nach Hamburg, wo er seit 2005 als Ärztlicher Leiter „Universitäres Herzzentrum Hamburg“ und seit 2020 als stellvertretender Ärztlicher Leiter „Universitäres Herz- und Gefäßzentrum“ des UKE tätig ist. Außerdem war er 2015 Präsident der Internationalen Gesellschaft für Herz- und Lungentransplantation und ist seit 2022 ehrenamtlicher Chancellor der World Society for Cardiothoracic Surgery. Prof. Dr. Dr. Hermann Reichenspurner – wie sein Titel offiziell lautet – ist mit Prof. John Neumeier verheiratet, Ballettdirektor und Chefchoreograf des Hamburg Ballett und Ballettintendant an der Staatsoper.

Bitte ergänzen Sie...

Mein Herz schlägt höher, wenn... ich ein tolles Ballett sehe oder einen herausragenden Opernsänger höre.

Ballett bedeutet für mich..., dass ich wirklich von meinem Job abschalten und mich auf etwas sehr Schönes konzentrieren kann.

Am meisten vermisse ich in Hamburg... die Berge.

Am besten gefällt mir an Hamburg... die Weltoffenheit, die Toleranz und die Bescheidenheit.

Am besten abschalten kann ich... an der Alster – sie wirkt auf mich sehr inspirierend.

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