TKrieg und knappe Ressourcen: Wie das Handwerk im Kreis Stade Krisen trotzt

Ein Markenzeichen von Mittelstädt: wohngesundes Bauen. Damit setzt sich das Unternehmen von anderen ab. Foto: Mittelstädt
Die Baubranche war und ist eine der großen Stützen der Wirtschaft im Landkreis Stade. Tausende Mitarbeiter und Hunderte Handwerksbetriebe sind für die Baubranche tätig.
Landkreis. Es begann mit Corona. Die Pandemie brachte das Leben und die Wirtschaft durcheinander. Kaum war Licht am Horizont, da kam der mittlerweile mehr als drei Jahre anhaltende Ukraine-Krieg.
Danach kam es ganz dicke: Vor allem Bau-Material wurde knapp, die internationalen Warenflüsse kamen komplett durcheinander und Material verteuerte sich unfassbar. „Wir hatten zum Teil 100 Prozent Preissteigerungen bei Holz“, erinnert sich Olaf Guthahn, Obermeister der Bauhandwerksinnung und Inhaber eines Zimmerei-Betriebes mit 20 Mitarbeitern in Großenwörden.
Hinzu kamen die deutlich gestiegenen Zinsen, die vor der Krise bei teils unter 1 Prozent lagen und sich heute wieder bei 3,5 bis 4 Prozent eingependelt haben. Diese ganzen Turbulenzen führten vor allem zu Einbrüchen bei den Einfamilienhausbauern, von denen es einige größere im Landkreis Stade gibt.
„Betriebe im Kreis Stade innovativ und proaktiv“
Angefangen bei Wiebusch aus Mulsum über Mittelstädt aus Himmelpforten bis hin zu Lemke aus Drochtersen. Auch den Branchenriesen Viebrock aus Harsefeld, der bundesweit mit seinen Typenhäusern unterwegs ist, traf es.
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Aber all die genannten Unternehmen und auch die vielen kleineren ungenannten Handwerksbetriebe meisterten die Krise, sagt Obermeister Guthahn. Das liege zum einen daran, dass „unsere Betriebe gut gewirtschaftet haben“, wie der Hauptgeschäftsführer der Kreishandwerkerschaft in Stade, Detlef Böckmann, feststellt. Zum anderen seien viele Unternehmen innovativ und seien proaktiv mit den Problemen umgegangen. Böckmann: „Ein großer Vorteil vieler Betriebe ist, dass sie auch in guten Zeiten die vielen kleineren Aufträge ausgeführt haben und auch deshalb gut die Krise gut abgefedert haben.“
Zu diesen Innovationen gehört die Grundeinstellung, dass man sich den Herausforderungen des Marktes stellen müsse, ergänzt der Bauinnungs-Obermeister. Viele Bauunternehmen haben sich ein bestimmtes Markenzeichen gegeben.
„Wohngesundes Bauen“ als Alleinstellungsmerkmal
So wie Mittelstädt. Den familiengeführten Betrieb gibt es seit 50 Jahren - er wurde stetig weiterentwickelt. Ganz neu war der Schritt zum wohngesunden Bauen. Schon 2010 setzte sich Meik Mittelstädt als Vorreiter mit dem Thema auseinander, 2011 baute Mittelstädt das erste wohngesunde Musterhaus. Mit diesen Häusern spricht das Unternehmen vor allem die Bauherren an, die besonderen Wert auf Baubiologie und Bauökologie legen. Das sind nicht selten Besserverdienende, die auch höhere Zinsen und Baukosten wuppen können. Und diese wiederum finden Unternehmer wie Mittelstädt in der nahen Metropole Hamburg.
Bauwirtschaft kooperiert mit Kommunen
Wiebusch dagegen hat seinen anhaltenden Erfolg seinen moderaten Preisen und einem Team von Partnerbetrieben zu verdanken. Sein Konzept: Die Gewerke, mit denen er seine Häuser errichtet, rechnen mit dem Privatkunden selbst ab und sie geben auch eine entsprechende Gewährleistung. Außerdem hat der Mulsumer ein gut aufgestelltes Mitarbeiterteam.
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Und Viebrock setzt nun vermehrt auf Mehrfamilienhausbau, besondere Siedlungsstrukturen wie die Smart-City in Harsefeld oder auch besondere Konzepte wie die Townhouses, mit denen er erschwinglich Reihenhäuser zum Kaufen oder Mieten umsetzt und dabei mit den Kommunen kooperiert. Denn diese stehen zunehmend unter dem Druck, preiswerten Wohnraum zu schaffen, um für bestimmte Bevölkerungsgruppen attraktiv zu bleiben. Sogar die damalige Bundesbauministerin kam seinerzeit zum Baustart der ersten Powertown-Häuser im Nachbarkreis.
Bedarf an Einfamilienhäusern steigt
Unterm Strich, sagt Detlef Böckmann von der Handwerkerschaft, sei die Talsohle am Bau durchschritten. Auch im Einfamilienhausbereich steige die Nachfrage wieder. Wegen der höheren Zinsen werde wieder kleiner gebaut, es müssten nicht 180 Quadratmeter und mehr für ein Einfamilienhaus sein, sondern 140 Quadratmeter reichten heute auch, sagt Bauobermeister Olaf Guthahn.
Handwerk kein „Knochenjob“ mehr
Dass das örtliche Handwerk so erfolgreich sei, liege auch an den vielen guten Mitarbeitern, die es gerade auf dem Lande noch gebe, so Guthahn weiter. Hier gebe es noch motivierte Handwerker, die die Abwechslung auf der Baustelle schätzten. „Sie freuen sich, wenn sie Feierabend machen, dass sie sehen können, was sie an dem Tag geschafft haben.“ Auch Nachwuchs sei auf dem Lande noch besser für eine Ausbildung in einem Baugewerk zu begeistern, „zumal wir heute nicht den Knochenjob haben wie früher, sondern viele Maschinen und Geräte haben, die unsere Arbeit erleichtern“, sagt der Zimmerermeister. Zudem sei das duale Ausbildungssystem einmalig und gelte weltweit als einmalig und nachahmenswert.
Ein großes Thema sei der Fachkräftemangel dennoch, wissen Böckmann und Guthahn. Natürlich leide auch das Bauhandwerk unter dem Mangel an Arbeitskräften und Auszubildenden. Zudem - aber das sei ein altes Thema - locke die Industrie in der Region in den beiden Städten mit attraktiven Einkommenschancen, mit denen das Handwerk nicht mithalten könne. So würden nicht wenige Mitarbeiter den Handwerksbetrieben entzogen. Andererseits sorge die Industrie auch für eine prosperierende Zuzugs- und Wachstumsregion und für gute Einkommen im Landkreis Stade. Zudem seien die Industriebetriebe auch Auftraggeber des Handwerks.
Was den Handwerkern im Kreis Stade Sorge bereitet
Wegen des angespannten Arbeitsmarktes für die Arbeitgeber rechnen die beiden Handwerksfunktionäre mit einem erheblichen Strukturwandel im Handwerk in den kommenden zehn Jahren. Kleine Betriebe könnten keinen Nachfolger generieren, Wachstum sei wegen der begrenzten Zahl an Fachkräften nur schwierig zu realisieren. Obermeister Guthahn ist sich sicher, dass angesichts dieses Strukturwandels die Kunden immer längere Wartezeiten auf Handwerker in Kauf nehmen müssten.
Dabei habe das Handwerk den sprichwörtlichen goldenen Boden. Ein Handwerker finde immer Arbeit. Wer bereit sei, einen Betrieb zu übernehmen und sich selbstständig zu machen, habe dazu beste Chancen, ermuntert Hausgeschäftsführer Detlef Böckmann. Denn schon jetzt seien etwa 25 Prozent der Betriebsinhaber über 60 Jahre alt.
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Nicht jeder dieser älteren Handwerker hat das Glück wie Obermeister Olaf Guthahn, dessen beiden Töchter den Betrieb einmal übernehmen wollen - die eine arbeitet als Kauffrau schon jetzt im Büro mit, die andere bereitet sich gerade auf ihre Meisterprüfung vor.
Bei allen Fragen von Ausbildung, Betriebsnachfolge oder anderen Themen des Handwerks begleiten die Handwerkerschaft und die ihr angehörenden Innungen die Mitgliedsbetriebe. Auch große Unternehmen gehören den Innungen an und unterstützen damit die berufsständische Vertretung. Olaf Guthahn: „Es ist ganz wichtig, einer Innung anzugehören, weil wir sonst keine Lobby hätten.“ Zum Glück sei der Organisationsgrad im Landkreis Stade sehr hoch, aber er könnte noch höher sein.

Der Obermeister der Bauhandwerksinnung, Olaf Guthahn (li.), mit dem Hauptgeschäftsführer der Bauhandwerksinnung, Detlef Böckmann. Foto: von Allwörden