TDas Volksparkstadion bebt: Mit Buxtehuder Fans beim Türkei-Spiel

Furkan Dursun, Bural Deniz und Emre-Can Özkan (von links) hatten beste Sicht auf das Spielfeld. Foto: Scholz
Für viele türkische Fußballfans ist die EM kein Turnier wie jedes andere. Das spürten auch Emre-Can Özkan aus Buxtehude und seine Freunde, die am Mittwoch im Volksparkstadion die Türken anfeuerten und jubelten, bis ihnen schwindelig wurde.
Hamburg. Emre-Can Özkans Stimme hat gelitten. „Aber es hat sich gelohnt“, sagt er und lacht. Özkan und seine Freunde haben auf der Tribüne des Hamburger Volksparkstadions gesungen, gepfiffen, gegrölt, geschrien und am Ende gejubelt. „Wir hatten eine Menge Spaß“, sagt er am Donnerstagmittag mit etwas brüchiger Stimme.
Fußball-EM
Türkei müht sich ins Achtelfinale
Dass es bei einem Spiel der türkischen Mannschaft emotional und laut zugeht, ist nichts Neues. Özkan und seine Freunde kennen die jüngsten Bilder von der roten Wand in Dortmund und sie haben gelesen, dass sich dieses Turnier für einige Spieler wie eine Heim-EM anfühlt. „Wir sind der zweite Gastgeber“, sagt der Gelsenkirchener Kaan Ayhan.
Beste Sicht von der Haupttribüne
Und jetzt sind Emre-Can Özkan, Furkan Dursun und Bural Deniz mittendrin. Haupttribüne, Block 7A, Reihe 18, beste Sicht auf das Spielfeld. Deniz trägt ein weiß-rotes Türkei-Trikot. Özkan und Dursun haben sich die rote Fahne mit dem Mondstern wie einen Umhang umgebunden und fügen sich in das Gesamtbild ein.

„Türkiye! Türkiye! Türkiye!“ schallt es von den Rängen. Foto: Jens Büttner/dpa
Die drei sind Anfang bis Mitte 20 und haben wieder engeren Kontakt, seit sie beim Buxtehuder SV in einer Mannschaft kicken. Und noch etwas verbindet sie: „Unsere Familien stammen aus der Türkei und kennen sich schon sehr lange“, sagt Özkan, der Großvater Gastarbeiter, die Eltern aus Ankara und er selbst in Buxtehude geboren.
Deutschland oder Türkei? Özkan gibt sich diplomatisch
Viele Fans im Stadion dürften eine ähnliche Biografie haben. In Deutschland leben rund 2,9 Millionen Menschen mit türkischem Migrationshintergrund. Und zu wem steht Özkan? „Deutschland und die Türkei sind meine Heimat. Ich wünsche beiden ein erfolgreiches Turnier“, sagt er diplomatisch.
Es ist laut im Volkspark, sehr laut. Der Anstoß, die Fouls, die Ballstaffetten - jede Aktion der Tschechen wird von Pfiffen begleitet. So wie im vergangenen Jahr, als die Türken im Berliner Olympiastadion gegen Deutschland 3:2 gewannen und sozusagen Hausmacht erlangten. Pfeifkonzerte gehören scheinbar zur türkischen Fankultur.
Große Bewunderung für den Wunderjungen
Emre-Can Özkan kennt dieses Geräusch nur zu gut. Er selbst ist Fenerbahce-Fan, „durch meinen Papa“, sagt er. „In meiner Kindheit haben wir die Spiele mit der Familie und Freunden geschaut und da hat es mich erwischt.“ Wenn „Fener“ verliert, ist der Tag für ihn manchmal gelaufen. Seine Freunde halten zu Besiktas.

Das türkische Toptalent Arda Güler (links) spielt bei Real Madrid. Foto: Sina Schuldt/dpa
Die Sonne geht unter, der Himmel über dem Volkspark färbt sich golden. „Türkiye! Türkiye! Türkiye!“ schallt es von den Rängen. Wenn Wunderjunge Arda Güler den Ball durchs Mittelfeld treibt, wird es mit jedem Meter lauter, als hätte jemand an einem Regler gedreht. Jaaaaaaaaaaaaa! Der Ball verspringt. Ohhhhhhhh!
Tschechen feuern ihre Mannschaft nach Platzverweis an
Dagegen wirkt das rhythmische Klatschen und Hüpfen der tschechischen Fans fast schon brav. Doch trotz der akustischen Dominanz der Türken lassen sie ihre Mannschaft nicht im Stich. Vor allem nach dem frühen Platzverweis mobilisieren die Tschechen ihre Stimmgewalt. Einige ziehen ihre Trikots aus. Kaum einer sitzt.
Schöner Fußball wird nicht geboten, dafür aber aufopferungsvoller Kampf. Und tatsächlich sind es die Tschechen, die kurz vor der Pause fast in Führung gehen. Die türkischen Journalisten auf der Pressetribüne blicken ungläubig auf den Rasen, dann wieder auf ihre Laptops. 0:0, Pause. Zeit zum Durchatmen.
Auf dem Rasen und den Rängen wird es hitziger
Die türkischen Medien können gnadenlos sein, wie nach dem 0:3 gegen die schwachen Portugiesen. Doch kurz nach Wiederanpfiff lässt Hakan Calhanoglu die Kritiker erst mal verstummen. Mit einem präzisen Schuss ins rechte Eck. Die Energie von den Rängen scheint unten angekommen zu sein. Das Stadion explodiert.

Jubel im Volksparkstadion: Die Türkei steht im Achtelfinale. Foto: Marcus Brandt/dpa
Die Stimmung heizt sich auf. Oben auf den Rängen, unten auf dem Platz, daneben auf den Bänken. Der Schiedsrichter wirft mit Karten nur so um sich. Auf beiden Seiten häufen sich die Gelben, Roten und Gelb-Roten Karten. „Gut, dass ich meinen Gelbstift mitgebracht habe“, scherzt ein deutscher Boulevardreporter, der in seinem Notizbuch jeden verwarnten Spieler knallgelb markiert.
Gefühlsausbruch in der Nachspielzeit
Özkan und seine Freunde lassen sich von der Stimmung anstecken. „Wir sind Fußballfans durch und durch und in solchen Momenten werden wir emotional“, sagt er. „Aber ich glaube, es ist nicht einfach, so ein Spiel zu pfeifen.“

Der Schiedsrichter verteilte unzählige Gelbe, Rote und Gelb-Rote Karten. Foto: Marcus Brandt/dpa
Und dann passiert das Unglaubliche, weshalb Özkans Stimme auch am Tag danach noch kratzig klingt. Tschechien hat zwischenzeitlich ausgeglichen, doch in der vierten Minute der Nachspielzeit trifft die Türkei zum 2:1. „Irgendwann habe ich nur noch Sterne gesehen und musste mich hinsetzen“, sagt Özkan über den Gefühlsausbruch.
Die türkischen Fußballer feiern den Einzug ins Achtelfinale und versammeln sich im Mittelkreis. Im Treppenhaus des Stadions kniet ein Mann auf seiner roten Fahne und betet.