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Fußball-Literatur

TDer Abgesang auf das Fußballgeschäft - demaskierend und hoffnungslos

Während der Amateurfußball zu Corona-Hochzeiten ruhte, wurde der Bundesliga-Alltag in leeren Stadien fortgesetzt.

Während der Amateurfußball zu Corona-Hochzeiten ruhte, wurde der Bundesliga-Alltag in leeren Stadien fortgesetzt. Foto: Bernd Thissen/dpa

Er liebt den Fußball und kritisiert ihn umso stärker. Der Journalist Christoph Ruf rechnet in seinem neuen Buch gnadenlos mit dem kaputten System ab. Lesenswert. Hoffnungslos.

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Von Jan Bröhan
Samstag, 02.11.2024, 08:00 Uhr

Stade. „Genug geredet - Die Irrwege der Bundesliga und die Inkonsequenz der Fans“ heißt das neue Buch von Christoph Ruf. Es ist ein pessimistischer Abgesang auf den verloren Kampf um das Kulturgut Fußball.

Je professioneller und größer das Fußballgeschäft wurde, desto größer wurde auch die Distanz von Ruf. Seine „Maximaldistanz“, wie er es nennt, erreichte er während und nach der Corona-Pandemie.

Kitas waren geschlossen. Der Breitensport ruhte. Die Bundesliga aber machte losgelöst weiter. Musste sie auch im Kontext der Champions League und den anderen großen Ligen. Genauso wie andere sportliche Geldmaschinerien wie die NBA oder NFL.

Nicht das System - sondern die Heuchelei macht wütend

Im TAGEBLATT-Gespräch sagt Ruf, dass man der Deutschen Fußball-Liga (DFL) aufgrund des bestehenden Systems gar keinen Vorwurf machen kann. Die kapitalistischen Mechanismen, in denen es „keine Guten und Bösen“ gebe, beschreibt er in seinem Buch schonungslos.

Der Autor Christoph Ruf kritisiert vor allem die Heuchelei der Deutschen Fußball-Liga (DFL).

Der Autor Christoph Ruf kritisiert vor allem die Heuchelei der Deutschen Fußball-Liga (DFL). Foto: privat

„Was ich vor allem kritisiere, ist die Heuchelei während der Corona-Pandemie“, sagt Ruf gegenüber den TAGEBLATT.

Die Vereine hätten aus seiner Sicht einfach zugeben müssen, dass sie den Spielbetrieb schlicht aus finanzieller Abhängigkeit aufrechterhalten mussten. Ohne ausbleibende Fernsehgelder wären viele Vereine schon nach wenigen Wochen so gut wie bankrott gewesen.

Und dies in „einer Branche, die Millionen scheffelt und sich vom Steuerzahler ihre Stadien, Anfahrtswege und Polizeieinsätze finanzieren lässt“, wie Ruf schon in seinem Vorwort einwirft.

Nur leere Phrasen für die eigene Rechtfertigung

Doch die Vereine, die DFL, der DFB, alle hätten sich geläutert gezeigt. Sie hätten sich reformfähig gegeben. Sprachen von Nachhaltigkeit und Ökologie. In einem Kapitel wird dieser Unsinn an einem sehr klaren Beispiel veranschaulicht. So bangte die Gesellschaft im Zuge des Ukraine-Kriegs um volle oder nicht volle Gasspeicher, während bei den Bundesligisten die Rasenheizungen durchbollerten.

Nach der Krise, in der sich die Bundesliga so gesellschaftsnah gezeigt hatte, ist die Branche weiter gewachsen und hat sich noch mehr mit Millionengehältern und -transfers entfernt. „Die Machtverhältnisse bleiben wie sie sind, alle bleiben erpressbar und das ist das System, wie es die meisten gut finden“, sagt Ruf.

Die Politik müsste „unbedingt“ mehr Einfluss nehmen, allem voran bei der Fifa. Seine Hoffnung tendiert da gen „Nullkommanull“. Gehaltsobergrenzen? Financial Fairplay? „Der Fußball will keine Reformen“, sagt Ruf, „und das System ‚schneller, höher, weiter‘ funktioniert ja auch im Großen und Ganzen.“

Ruf hat akzeptiert und betrachtet sachlich-nüchtern

Natürlich widmet sich Ruf auch dem Red Bull-Projekt und hat im Gespräch eine Anekdote parat. Als die Nachricht, dass Jürgen Klopp bei RB anheuert, einschlug, war er gerade mit einem Kollegen am Nürnberger Bahnhof. Der Kollege sei BVB-Anhänger und polterte genauso wie die vermeintlichen Fußball-Romantiker. „Er war völlig fertig mit der Welt, mich hat es überhaupt nicht schockiert“, erzählt Ruf.

In seinem neuen Buch rechnet Christoph Ruf mit dem Fußball-System ab.

In seinem neuen Buch rechnet Christoph Ruf mit dem Fußball-System ab. Foto: Verlag

Fernseh-Fußball, wie Ruf es nennt, interessiert ihn nicht. Die Öffentlich-Rechtlichen veröffentlichten gesunkene Einschaltquoten während der Pandemie. 50 Prozent der Gesellschaft gaben an, dass sie die Fortsetzung der Bundesliga ablehnen. „Sie kamen alle zurück“, so Ruf zu der Entwicklung.

Ein Umdenken in der Branche gäbe es nur, „wenn die Fans ihre Macht erkennen würden“, so Ruf. Wenn die Stadien leer blieben und die Einschaltquoten einbrächen. Das pessimistische Fazit, auch von Fansprechern in dem Buch angesprochen: Sie können es nicht, sie können nicht ohne ihren Verein, ohne den Fußball.

„Was der Fußball dabei aber nicht erkennt“, so Ruf, „dass es für die Fans ein Ritual ist.“ Und so bleibt das Fußballsystem kritikunfähig, es läuft ja.

Zum D/A-Spiel schafft Ruf es vorerst nicht

Er selbst gehe privat nur noch in die Regionalligen und abwärts. In der Regionalliga Nord habe er noch seine größten Lücken, so Ruf. Er hat sich das D/A-Stadion schon bei Google-Maps angeschaut. Den Spielplan hat er sich im Zuge seines anstehenden Stade-Besuchs natürlich auch angeschaut. D/A spielt zeitgleich zu seiner Lesung.

Und wie sähe seine Fußball-Wunsch-Utopie aus?

„Rückwärtsgewand“, sagt Ruf, „und dass sich der Fußball seiner gesellschaftlichen Power bewusst wäre, welche Kraft er hat.“ Stattdessen gehe es immer mehr in die Richtung Unnahbarkeit mit Hotlines statt echter Menschen, mit E-Tickets und E-Sport.

Ruf hat akzeptiert und macht dem Kulturgut Fußball keine Hoffnung.

Der Autor

Christoph Ruf, Jahrgang 1971, arbeitet als Buchautor und freier Journalist (u. a. für die Süddeutsche Zeitung, taz und die GEW). Zudem hält er Vorträge und Referate über fanpolitische und politische Themen. Sein Buch „Ist doch ein geiler Verein“ über Reisen in die Fußballprovinz wurde 2008 von der Deutschen Akademie für Fußballkultur zum Fußballbuch des Jahres gewählt. 2013 erschien von ihm „Kurvenrebellen – die Ultras“, 2017 „Fieberwahn. Wie der Fußball seine Basis verkauft“, das ebenfalls zum Fußballbuch des Jahres nominiert wurde.

  • Die Lesung: Am Freitag, 15. November, liest der Autor ab 19.30 Uhr im Museum Schwedenspeicher Stade aus seinem Buch. Einlass ist ab 19 Uhr. Der Vorverkauf endet am 15. November um 12 Uhr. Restkarten sind an der Abendkasse zum Preis von 16 Euro erhältlich.
  • Tickets: Bei Stade Marketing und Tourismus GmbH, Tourist-Information am Hafen, 21682 Stade, Telefon: 04141/ 77698 0, Mail: info@stade-tourismus.de
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