T„Der Wal“: So verwandelt sich Torsten Münchow in den fetten Charlie

Mit einem feinen Pinsel trägt die Maskenbildnerin den Spezialkleber für den Bart auf. Foto: Buchmann
Die Aufführung in Buxtehude war nur mäßig besucht - zu unrecht. Ein Höhepunkt war Torsten Münchows pfundige Darbietung. Das TAGEBLATT durfte hinter die Kulissen schauen.
Buxtehude. Es ist 22.40 Uhr. Charlie will nur eins: Sich die Haut abziehen. Mit schlurfendem Schritt steuert der 300 Kilo-Mann auf seine Garderobe zu. Der Bühnenvorhang ist zugezogen, der Applaus der Zuschauer verklungen. Charlies Pullover riecht nach Schweiß, eine Haarsträhne klebt an seiner Schläfe. Schnell posiert der Koloss noch für ein paar Selfies mit Besuchern, dann reicht es ihm. „Ich will schnell hier raus“, sagt Charlie erschöpft und deutet auf seine fette Brust - doch dafür braucht er Hilfe.
19.05 Uhr, 55 Minuten vor dem Beginn des Stückes „Der Wal“: An der Halepaghen-Bühne in Buxtehude trudeln die ersten Theaterbesucher ein. Während sie an kleinen Stehtischen auf Einlass warten, sitzt Torsten Münchow auf einem Holzstuhl in seiner Garderobe und konzentriert sich auf sein Spiegelbild. Graue Haarstoppeln glänzen auf Oberlippe und Wangen, nachdem der Schauspieler den surrenden Rasierer ausschaltet und aus der Hand legt. Die Waschmaschine neben Münchows Garderobentisch schleudert die Kostüme vom Vorabend schäumend gegen die gläserne Trommeltür.
Perfektion bis ins kleinste Haar
Torsten Münchow lacht und plaudert mit Besuchern, während er auf seine Maskenbildnerin wartet: Über die Tonaufnahmen am Vormittag in Hamburg, als er Professor Choi der Kinderbuchreihe „KiBu Jumper“ seine leicht kratzige Stimme geliehen hat. Über Hochglanzfotos aus beliebten Anime-Serien, die er später noch signieren soll. Das Lachen soll ihm gleich vergehen, denn Beata Rolkowska breitet auf dem Tisch vor ihm schon ihr Werkzeug aus.

Mit Kamm und Glätteisen verpasst die Maskenbildnerin Charlies Frisur den letzten Schliff. Foto: Buchmann
Die Maskenbildnerin und der Schauspieler wirken wie ein eingespieltes Team. Während Rolkowska in einem Plastikschälchen dunkelbraune Farbe mit einer Holzbürste anrührt, versteift Münchow seine Gesichtszüge. Akribisch fährt sie mit den ausgefransten Borsten über jede einzelne Augenbraue des 59-Jährigen und übertüncht sein natürliches Grau. „Wir müssen ihn jeden Abend jünger machen“, scherzt die polnische Künstlerin auf Englisch.
Zwölf Kilogramm Gummifleisch auf den Rippen
Münchows kurzes Haar wächst innerhalb von Minuten auf Schulterlänge, ein halbes Dutzend Haarklammern halten die Mähne auf Position. Den fettigen Strähnen verleiht Rolkowska ihren Glanz mithilfe eines Pinsels und eines Glätteisens. Die Frisur sitzt, jetzt bekommt Charlie sein dreifaches Kinn. Die schulterbreite Silikonprothese mit Pusteln und Pickeln schmiegt sich perfekt an Münchows Kopf. Verantwortlich dafür ist der Oscar-prämierte Maskenbildner Waldemar Pokromski, der Charlies Fettpolster mithilfe eines Styropor-Gusses von Münchows Kopf gestaltete.

Schwämmchen, Pinsel, Bürsten, Klammern: Für die Verwandlung in den 300 Kilo-Mann setzt Beata Rolkowska auf viele kleine Helferlein. Foto: Buchmann
Torsten Münchow entscheidet sich nach einer kurzen Anprobe für den zweiten Hals. „Da bewegt sich das Kinn besser mit“, begründet er seine Wahl. Neun identische Prothesen hatte Pokromski ihm von Hand gefertigt. Schulterbreit sitzt das Gummifleisch auf der saugfähigen Unterwäsche, während die Maskenbildnerin die Halsmanschette mit Klettband verschließt. Zwölf Kilogramm Zusatzgewicht muss Münchow später auf der Bühne mit sich herumtragen. Der Preis: 12.000 Euro und zwei Liter Schweiß jeden Abend.
Doppelseitiges Klebeband hält die Koteletten
Mit einem Schmink-Schwämmchen gleicht Rolkowska die falsche und echte Haut einander an. Beim Bart braucht sie Münchows Unterstützung. Mit je einem Zeigefinger fixiert Münchow seine zukünftigen Koteletten, während seine Maskenbildnerin die Halshaut noch einmal zurecht zieht. Dann tunkt sie einen Pinsel in ein kleines Gläschen mit Spezialkleber, den sie vorsichtig auf Münchows Wangen streicht und den Bart andrückt. Die Koteletten klebt sie mit doppelseitigem Klebeband an der Haut fest.

Vier zusätzliche Hände sind notwendig, um Torsten Münchow „in Form“ zu bringen. Foto: Buchmann
Immer wieder wechselt Rolkowska die Seiten, zupft und pinselt mit scharfem Blick an Münchow herum. Stellt sich ein Barthaar quer, greift sie zur Schere. Ein letzter Kontrollblick der Künstlerin, der Kamm fährt noch einmal durch das fettige Haar - dann ist es Zeit für Münchow, in Charlies Körper zu kriechen.
Charlie betritt die Bühne
19.40 Uhr: Torsten Münchow sitzt auf einer Metallbox mitten im Zimmer. Er muss mit den Füßen voran in den fleischfarbenen Klumpen steigen, der vor ihm auf dem Boden liegt. Den Fettanzug aus Stoff nennt die Crew liebevoll „The Chicken“, da er beim abendlichen Trocknen über zwei Heizlüftern einem aufgeklappten Brathuhn ähnelt.

Auf der Bühne muss Torsten Münchow viel Trinken, da er durch das Kostüm bis zu zwei Liter Schweiß verliert. Foto: Buchmann
Beata Rolkowska und ein Bühnenhelfer zerren an Münchows Hautfalten und stopfen den dicken Hals in den Anzugskragen. Der Schauspieler ist hilflos bei der Prozedur. Hose, Hemd und Schuhe müssen die Helfer ihm anziehen. Nach 45 Minuten ist es geschafft: Torsten Münchow ist verschwunden - und Charlie gehört jetzt die Bühne.