TDie Polizei sucht einen Doppelmörder mit sexuellen Gewaltfantasien

Die beiden Frauen Vanessa Wardelmann (links) und Anja Witt wurden 1992 bzw. 1993 ermordet. Beide gingen in Bremerhaven auf den Straßenstrich. Foto: Polizei
Gesucht wird: ein „Freier“ mit sexuellen Gewaltfantasien. Er müsste heute 60 bis 75 Jahre alt sein und soll zwei Frauen ermordet haben. Die Polizei sieht durchaus gute Chancen, den Täter auch nach Jahrzehnten doch noch zu ermitteln - aus zwei Gründen.
Bremerhaven. Vanessa Wardelmann und Anja Witt kannten sich. Beide waren drogenabhängig, beide finanzierten ihre Sucht damit, dass sie in Bremerhaven auf den Straßenstrich gingen und zu Männern in die Autos stiegen. Einer hat beide Frauen umgebracht - im Abstand von sieben Monaten. Auf die gleiche Weise. Ein „schräger Vogel“ soll er gewesen sein, damals vor mehr als 30 Jahren.
95 Prozent der Mordfälle werden in Deutschland aufgeklärt. In wenigen Fällen stoßen Ermittler an ihre Grenzen, Täter können nicht gefasst werden. Akten werden geschlossen. Fälle werden zu so genannten Cold Cases. In Bremerhaven sind es 14 Cold-Case-Fälle, im Landkreis Cuxhaven 12, bei denen es laut der Ermittler immer noch neue Ansätze geben könnte.
Im Fall der beiden getöteten Prostituierten hat die Cuxhavener Kripo ihre Arbeit schon mehrfach wieder aufgenommen, Spuren neu untersucht und bewertet. Stephan Hartmann leitet das Fachkommissariat 1 der Polizeiinspektion Cuxhaven, das auch die sogenannten Rohheitsdelikte bearbeitet, und er sagt: „Die Chance, den Täter zu ergreifen, ist durchaus noch positiv.“ Der Mann hat an beiden Leichen seine DNA hinterlassen - Sperma und Partikel seiner Haut. Deutsche, europäische, ja sogar Datenbanken in den USA führen die DNA des Mörders aber nicht. „Sonst hätten wir ihn.“
Polizeidirektion lässt Akten wieder öffnen
Im Juli 2019 hat die Polizeidirektion Oldenburg zuletzt beschlossen, in dem so genannten Cold Case neu zu ermitteln. Mehr als drei Jahre lang arbeitete eine Ermittlungsgruppe in Cuxhaven noch einmal daran, herauszufinden, wer Vanessa Wardelmann 1992 und Anja Witt 1993 erwürgt hat.

Vanessa Wardelmann stieg 1992 mutmaßlich zu einem Freier ins Auto. Das linke Phantombild zeigt, wie Zeugen den Täter beschrieben. Die rechte Zeichnung entstand nach dem Mord an Anja Witt. Sie könnte den Täter zeigen, aber auch Zeugen. Foto: Polizei
Beide Frauen wurden unweit der Autobahn A 27 gefunden, geknebelt, eine Plastiktüte über den Kopf gezogen, getötet mit Nylonschnüren, die auffällige Schlaufen an den Enden aufweisen. Auch der bekannte Bremer Profiler Axel Petermann hat beide Taten analysiert und er sagt, dass es ihn bis heute beschäftigt, sie nicht aufgeklärt zu haben. „Die Spuren am Fundort der Leichen waren nicht mehr die besten“, sagte er einmal, „und die Aussagen der Zeuginnen vom Straßenstrich nicht ergiebig genug.“ Petermann ist sich sicher: Der Mörder hat seine Opfer zufällig ausgewählt. Es habe keine Beziehung zwischen ihm und den Frauen gegeben, außer, dass sie seine Lust befriedigen sollten.
Zeugen beschreiben den letzten Freier
Vanessa Wardelmann steigt an der Bremerhavener Van-Heukelum-Straße am 24. September 1992 gegen 20 Uhr in seinen Wagen. Es soll ein älterer dunkelblauer VW Polo gewesen sein. Zeugen können den Fahrer später sogar so gut beschreiben, dass eine Phantomzeichnung gefertigt wird. Zwei Tage später entdeckt ein Fahrradfahrer ihren Leichnam bei Loxstedt nahe der Lune und der Autobahn-Anschlussstelle Bremerhaven-Süd/Nesse.
Der Kriminalpolizei ergibt sich nach Jahren durch immer bessere Analyse-Möglichkeiten der Spuren von Erbgut ein Bild von einem Mann mit sehr wahrscheinlich braunen Augen, hellbraunem bis braunem Haar und einer blassen bis mittleren Hautfarbe. Weil seine Herkunft jedoch nicht auf einen genaueren Ort festzulegen ist, wird kein Massengentest gemacht.

Mit solch einem VW Polo soll der Täter am Straßenstrich unterwegs gewesen sein. Foto: Polizei
Aber 30 bis 45 Jahre soll der Mörder alt gewesen und als „Freier“ auf dem Straßenstrich durch sexuelle Gewaltfantasien aufgefallen sein, zum Beispiel durch Würgen, Fesseln oder Knebeln. Er könnte in Bremerhaven gelebt oder sich regelmäßig dort aufgehalten haben, aber auch Rotenburg und Verden müssen Bezugspunkte des Täters gewesen sein haben.
Männer geben Speichelprobe ab
Anja Witt arbeitet auch nach dem Tod der Freundin weiter als Prostituierte. Sieben Monate später steigt sie am Sonnabend, 8. Mai 1993, am Leher Straßenrand zum Mörder ins Auto und fährt mit ihm davon. Einen roten 3er-BMW soll er da gefahren haben. Am nächsten Tag wird die Leiche der 26-Jährigen in einem Waldstück an der B 215 gefunden - in der Nähe der A27 an der Ausfahrt Verden-Nord. Gut 95 Kilometer von dem Ort entfernt, an dem die Fahrt begonnen hat.

Kordel, Plastiktüte, Leukoplast - Werkzeuge eines zweifachen Prostituierten-Mörders. Foto: PI Cuxhaven
Die Polizei Cuxhaven ist wegen der Fundorte der Leichname für die Ermittlungen zuständig, arbeitet aber in all den Jahren mit den Ermittlern in Bremerhaven zusammen. Hunderte Hinweise von Zeugen haben sie verfolgt - zum Drogenmilieu, zum Prostituiertenmilieu, zu bestimmten Männern. 800 werden überprüft, und auch ohne Massentest geben 500 Männer ihre Speichelprobe ab. Der Mörder ist nicht darunter. Wer zu jener Zeit einen Polo oder einen BMW gefahren hat, wird angeschrieben.
Er muss sich hier auskennen
„Wir suchen nur noch das fehlende Puzzleteil, um den Täter zu identifizieren“, war Kriminalhauptkommissar Rainer Brenner, der die Cold-Case-Gruppe leitete, überzeugt. „Er muss Ortskenntnisse haben“, sagt Hartmann heute über den Täter. Das könne ein Grund sein, ihm doch noch auf die Schliche zu kommen, vielleicht auch nach mehr als 30 Jahren noch durch einen Zeugenhinweis.
Die Fälle weisen außer den DNA-Spuren erstaunliche Parallelen auf: den Straßenstrich in der Van-Heukelum-Straße, dass beide Frauen von hinten erdrosselt wurden, ihre Leichen nahe der A 27 gefunden wurden und dass beiden der Mund mit einem fünf Zentimeter breiten Leukoplast zugeklebt wurde, das es im freien Handel kaum gab.

Ermittler am Ablegeort von Vanessa Wardelmann nahe der Lune. Foto: Screenshot ZDF
„Wir werden den Täter identifizieren, ob er jetzt noch lebt oder schon gestorben ist“, war Brenner 2021 entschlossen. Sexualstraftäter seien häufig Wiederholungstäter. Sollte der unbekannte Mörder auch nur ein einziges weiteres Mal mit einer sexuell motivierten Straftat in Verbindung gebracht werden - dann könnten die Morde an Vanessa Wardelmann und Anja Witt noch aufgeklärt werden, sagt Hartmann. Die vorhandene Täter-DNA ist für den Polizisten ein guter Grund, daran zu glauben. Er sagt allerdings auch: „Wir müssen so ehrlich sein, dass er die letzten 30 Jahre nicht aktiv war. Es gibt über unsere beiden Fälle hinaus keine einzige Spur von ihm.“
Die beiden Frauen Vanessa Wardelmann (links) und Anja Witt wurden 1992 bzw. 1993 ermordet. Beide gingen in Bremerhaven auf den Straßenstrich.