T„Dinner im Dunkeln“: Das etwas andere Abendessen in Bremen

Das Universum in Bremen bietet regelmäßig das Dinner im Dunkeln an. (Symbolbild) Foto: Adobe Stock/Mari Mur
Wenn der Weg vom Teller zum Mund zur Abenteuerreise wird: Das „Dinner im Dunkeln“ im Universum Bremen stellt das gewohnte Abendessen komplett auf den Kopf.
Bremen. Wo ist meine Gabel? Wie weit ist es vom Teller zu meinem Mund? Wie weit kann ich in mein Glas noch einschenken? Das sind Fragen, die ich mir beim Essen für gewöhnlich nie stelle. An meinem Abend beim „Dinner im Dunkeln“ im Universum Bremen waren diese Aspekte jedoch sehr relevant für ein erfolgreiches Abendessen.
Dinner im Dunkeln - Einfach unvergesslich
Der Himmel ist bereits dunkel und das moderne Gebäude des Universums beleuchtet. Die Dunkelheit wird für diesen Abend unser Begleiter sein. Meine Kollegin Solveig Haas und ich begeben uns in eine komplett ungewohnte Situation. Für andere ist es der ganz normale Alltag.
„Dinner im Dunkeln“ bedeutet Dunkelheit für mindestens zwei Stunden, mit fremden Menschen an einem Tisch zu sitzen, ohne sie im Gespräch einmal zu sehen und dabei Vorspeise, Hauptgang und Dessert unbeholfen auf Gabel und Löffel zu schieben. Ein Abend, den ich so schnell nicht vergessen werde.
Blinde Expertinnen führen durch den Abend
Im Foyer des Museums bekommen wir und die anderen Gäste eine Einführung in den Abend. Nach den netten Worten des Universum-Teams hieß es dann: „Wir teilen Sie in Gruppen auf“. Solveig und ich werden zu Gruppe eins der Achtergruppen gerufen. Wir stolpern allerdings nicht einfach in den dunklen Raum drauflos. Jede Gruppe bekommt eine „Dunkelheitsexpertin“ an die Hand. Die Expertinnen sind alle blind und kommen in der für uns ungewohnten Situation perfekt zurecht.
Mit einer Polonaise in die Dunkelheit
Für den Weg zu unserem Tisch heißt es dann: Polonaise! Die Hände werden auf die Schultern der anderen gelegt und los geht es durch zwei massive schwarze Vorhänge in den stockfinsteren Raum. Unsere Expertin Yvonne geht voran und leitet uns zu unserem Tisch. Ich kann nur erahnen, wie unbeholfen wir alle aussehen müssen.
Die unsichere Polonaise endet an unserem Tisch und Yvonne hilft uns nach und nach dabei, Platz zu nehmen. Sehr bedacht setze ich mich auf meinen Stuhl. Während ich da so im Dunkeln sitze, merke ich, wie sich ein beklemmendes Gefühl in mir breit macht. In den ersten Minuten frage ich mich ernsthaft, ob ich den Abend durchhalte. Die Dunkelheit macht mir doch mehr zu schaffen, als ich dachte.
Sprechen wir lauter, wenn es dunkel ist?
Ich lege meine Hände auf den Tisch und taste mich vorsichtig voran, um mein Besteck und mein Glas zu suchen. Die Menschen um mich herum werden immer lauter und ich frage mich, warum wir dazu neigen, lauter zu sprechen, wenn es dunkel ist. Immer wieder drehe ich mich aus dem Affekt heraus um. Wer lacht da so laut, wer sitzt neben mir, wie fühlen sich die anderen? Mein Blick führt aber natürlich immer wieder ins Nichts.
Die vier Personen links von mir bekomme ich auch den ganzen Abend nicht richtig mit, als wären sie abgeschirmt, obwohl sich die Ellenbogen von meiner Sitznachbarin und mir berühren könnten. Ich konzentriere mich auf Solveig, unsere Sitznachbarinnen gegenüber und auf Yvonne. Und das ist schon eine Herausforderung bei der Lautstärke um mich herum.
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Yvonne stellt sich vor. Ihre angenehme Art zu reden nimmt mir die Anspannung, langsam komme ich in der Dunkelheit an. Nach ihrer herzlichen Begrüßung sind wir dran. Sie tippt jeden nacheinander an, damit wir wissen, wer dran ist. „Hallo, ich bin Anni“, sage ich laut und deutlich in die Dunkelheit. Bei jeder Person lächele ich und nicke zustimmend. Dann fällt mir wieder ein, dass das heute gar nichts bringt. Heute müssen wir aus der Stimme lesen.
Dann geht es los. Unsere Expertin bringt uns als Erstes unsere Getränke. Natürlich sollen wir diese selbst einschenken. Ziemlich schwierig. Ich lege meine Zeigefinger von oben in das Glas und schenke ein, bis die Flüssigkeit meinen Finger berührt. Geschafft! Ohne etwas zu verschütten. Auch die Vorspeise wird von Yvonne serviert. „Achtung, ich komme von rechts“, sagt sie bei jeder Person an unserem Tisch. Geschick ist bei diesem Dinner besonders wichtig.
Ich kann es mir nicht verkneifen und ertaste mein Essen vorsichtig mit den Fingern. Um mich herum höre ich schon wilde Spekulationen, was wir da auf dem Teller haben. Denn das erfahren wir davor nicht. Ich kann durch das Tasten nicht erraten, was es ist und wage mich an Messer und Gabel. Sehr behutsam schiebe ich die krümelige Masse auf meine Gabel und schaffe die erste Zufuhr zu meinem Mund einwandfrei. Es ist Couscous, mit Bohnen, Granatapfelkernen und einem Falafelbällchen.
Alles selbstverständlich für Yvonne
Zwischen dem Bugsieren des Essens in Richtung Mund und der ständigen Suche nach meinem Glas sprechen wir mit Yvonne. Sie findet unsere Unterhaltungen über unsere Unsicherheiten beim Essen und der generellen Situation amüsant. Für sie ist das schon seit vielen Jahren ihr Leben. Ihre Erzählungen führen bei mir zu Gänsehautmomenten. Mir wird bewusst, wie selbstverständlich ich so vieles im Alltag nehme und wie viele dieser Selbstverständlichkeiten den Alltag der jungen blinden Frau erschweren.
Kleine Alltagshelfer für das Leben im Dunkeln
Yvonne hat für unsere Tischgruppe ein paar Dinge aus ihrem Alltag mitgebracht. Kleine Helfer, die sie sicher durch den Tag bringen. Zwischen den Gängen gibt sie diese herum und am Ende versuchen wir zu erraten, was es ist. Das macht das Dinner noch spannender und gibt uns einen tiefen Einblick in ihre Welt. Ich kann keinen einzigen Gegenstand erraten. Darunter eine Hilfskarte für Unterschriften und ein Milchwächter, der warnt, wenn die Milch im Kopf überzukochen droht.
Auch bei Hauptgang und Nachtisch ertappe ich mich dabei, wie ich meinen Tastsinn zu Hilfe nehme. Ist mein Teller schon leer? Oder schiebe ich mir gleich alles in den Schoß? Und „patsch“, fasse ich in die Soße meiner Spätzle. Ehrlicherweise führe ich die Gabel das eine oder andere Mal leer zu meinem Mund. Da bin ich aber nicht die Einzige. Das passiert auch Solveig und unseren lieben Sitznachbarinnen von gegenüber. Mit denen kommen wir in ein nettes Gespräch über den Abend.
Zwischen den netten Gesprächen und dem guten Essen merke ich, wie mich die Dunkelheit doch das eine oder andere Mal wieder einholt. Ich würde gerne sehen, wer mir gegenübersitzt. Und gleichzeitig ist es spannend, sich ein Bild von dem Menschen gegenüber zusammen zu puzzeln.
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Den Nachtisch können wir alle nicht identifizieren. Die Konsistenz ist mir ein Rätsel, der Geschmack auf jeden Fall zitronig. Das Essen ist heute Abend ein buntes Rätselspiel. Fest steht: Ich werde viel schneller satt, weil ich so viel langsamer esse als sonst.
Endlich bin ich in der Dunkelheit angekommen, da wird uns eine gedimmte Lampe auf den Tisch gestellt. Ich fühle mich aber so stark geblendet, als wäre das ein Scheinwerfer, der direkt in mein Gesicht leuchtet. Nur schemenhaft nehme ich die Umgebung wahr und kann endlich den Raum einschätzen. Da sitzen die anderen, dieser Mann könnte so laut gelacht haben und meine Sitznachbarin gegenüber sieht doch ganz anders aus, als ich gedacht habe.
Wir alle kommen nur langsam mit der Helligkeit klar und schauen uns mit zusammengekniffenen Augen an. Eine gefühlte Ewigkeit vergeht, bis ich mich wieder an das Licht gewöhne.
Das „Dinner im Dunkeln“ hat mir eine neue Welt gezeigt. Eine Welt, in der ich mich nur unbeholfen fortbewege, während Menschen wie Yvonne gar nichts anderes kennen. Ich gehe beeindruckt und demütig aus dem nun komplett erleuchteten Raum. Das Essen ist gut, aber im Vordergrund des Abends steht definitiv, sich auf die Situation einzulassen, dazuzulernen und vor allem zuzuhören.