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TDr. Necla Kelek: „Der Senat benötigt Strategien gegen Tiktok-Islamisten“

Vor allem ihr Engagement gegen Zwangsehen in der islamischen Welt machte Necla Kelek bekannt: Sie ist Autorin des Buches „Fremde Braut“.  Foto: WWW.IMAGO-IMAGES.DE

Vor allem ihr Engagement gegen Zwangsehen in der islamischen Welt machte Necla Kelek bekannt: Sie ist Autorin des Buches „Fremde Braut“. Foto: WWW.IMAGO-IMAGES.DE Foto: WWW.IMAGO-IMAGES.DE

Wie gefährlich sind Bewegungen, die aus Deutschland ein Kalifat machen wollen, wirklich? Was für Gegenrezepte, auch für eine erfolgreiche Integration, könnte es geben?

Sonntag, 29.09.2024, 05:50 Uhr

TAGEBLATT: Frau Kelek, die Blaue Moschee an der Alster wurde als wichtiger Außenposten des Teheraner Mullah-Regimes in Europa identifiziert und geschlossen, der ehemalige Leiter des Islamischen Zentrums Hamburg ausgewiesen. Wie gefährlich ist die islamistische Szene in der Hansestadt?

Necla Kelek: Auch wenn ich die konsequenten Maßnahmen vom Bundesinnenministerium und von Hamburgs Innensenator Grote sehr begrüße: Hamburg bleibt die islamistische Hochburg in Deutschland. Laut Verfassungsschutz gibt es 1840 Radikale – doppelt so viele wie noch 2014. 80 Prozent von ihnen gelten als gewaltbereit.

Wie soll es mit der Blauen Moschee weitergehen?

Man könnte sie zum Beispiel als Gedenkstätte für die Opfer des islamistischen Terrors, als Kultur- und Gebetshaus für die vielen Volksgruppen, die demokratischen und weltlichen Kräfte aus dem Iran nutzen. Außerdem als einen Ort, wo die Geschichte von Exil-Iranerinnen und iranischen Kaufleuten in Hamburg dokumentiert wird. Als neuen Namen können wir uns „Jinsa-Mahsa-Amini-Zentrum“ vorstellen, im Gedenken an eine von der iranischen Sittenpolizei ermordeten Kurdin.

Sehr aktiv bei der Anwerbung von islamistischem Nachwuchs in Hamburg ist die Organisation „Muslim Interaktiv“. Sie ist vermutlich ein Ableger der verbotenen Hizb-ut Tharir-Bewegung, die Israel vernichten will. Wie geht die Gruppe vor?

Die etwa 1000 Männer meist jüngeren Alters geben sich elitär, erfolgreich, modern, sprechen eloquentes Deutsch und sehen sich als Opfer eines korrupten säkular-kapitalistischen Systems. Das verfängt gerade bei Jugendlichen, die sich oft selbst diskriminiert fühlen – von den Deutschen, aber auch in den eigenen Moscheen. Dort haben immer noch die Älteren das Sagen, es wird immer noch fast nur Arabisch und Türkisch gesprochen.

Und es wird nach wie vor „Dienen und Gehorchen“ verlangt, was viele der heutigen jungen Generation nicht mehr akzeptieren. Muslim Interaktiv hat sich dagegen in der digitalen islamischen Welt die Deutungshoheit durch sehr professionelle Videobotschaften und starke Präsenz in den sozialen Medien erobert.

Was ist zu tun?

Wir brauchen eine digitale Präventionsstrategie gegen den wachsenden Islamismus, mehr Aufklärung von Teenagern und Elternberatung. Hier sind vor allem die islamischen Gemeinden gefragt.

Warum erheben diese keinen Vertretungsanspruch für die gesamte Community?

Was wir als Verein den Vertretern der Moscheen und Gemeinden vorwerfen: Sie distanzieren sich nicht eindeutig von Gewalt und den Rufen nach einer Diktatur des Kalifats in Deutschland. Manchen muss man unterstellen, dass sie immer noch die Scharia, die islamischen Rechtsgrundsätze, über den deutschen Rechtsstaat stellen. In vielen Moscheen herrschen noch sehr patriarchalische und reaktionäre Strukturen. Die Agitation radikaler Gruppen vertieft die Spaltung zwischen Traditionalisten und Modernisierern. Dabei ist die Unterschiedlichkeit auch im Vergleich mit uns säkular Gläubigen doch eine echte Bereicherung und ein wertvoller Schatz, um eine multikulturelle Gemeinschaft der Muslime zu schaffen.

In Hamburg leben 130.000 Muslime, sie stellen rund acht Prozent der Bevölkerung. Die große Mehrheit wird gar nicht von den Islamverbänden vertreten. Auch deshalb haben Sie 2020 Ihren Verein „Säkularer Islam“ gegründet. Warum sind die Mitgliedsanträge bis jetzt überschaubar geblieben?

Der Islam ist keine Kirche und kennt keine Mitgliedschaft. Die nicht organisierten Bürgerinnen muslimischer Herkunft oder Glaubens schätzen die Religionsfreiheit. Sie organisieren sich nicht, sondern leben ihre individuelle Freiheit. Selbst konfessionslose Christen – inzwischen 50 Prozent der Bevölkerung – organisieren sich nicht neu. Unser Verein versteht sich als die Stimme der schweigenden säkularen Mehrheit.

Hamburg hat 2012 als erstes Bundesland einen Staatsvertrag mit der Schura, dem Rat der islamischen Gemeinschaften, mit der türkischen DITIB, der größten sunnitisch-islamischen Organisation in Deutschland, und der alevitischen Gemeinde abgeschlossen. Er soll das gedeihliche Miteinander regeln und wurde jetzt vom Verfassungsausschuss der Bürgerschaft evaluiert. Sind Sie mit den Ergebnissen zufrieden?

Keineswegs. Nicht organisierte Muslime und „Reform-Muslime“ wie wir wurden nicht eingebunden. Unser Vorschlag eines Runden Tisches blieb ungehört. Außerdem hätte eine unabhängige wissenschaftliche Kommission überprüfen müssen.

Die SPD sprach von „konkreten Erfolgen“ …

Unter dem Strich bleibt an greifbaren Fortschritten nur der integrative „Religionsunterricht für alle“. Stattdessen hätte man feststellen müssen, dass Vertragspartner zum Teil von ausländischen Regierungen finanziert werden, bei uns deren Politik betreiben und ihnen gegenüber rechenschaftspflichtig sind. Viele unterstützen aktiv die Hamas und Hisbollah. Loyalität zum deutschen Staat sieht anders aus.

Also den Staatsvertrag aussetzen, wie die Hamburger CDU verlangt?

Ja, weil immer noch wichtige Bestandteile wie klare Bekenntnisse gegen Antisemitismus und Extremismus fehlen. Aber ich befürchte, die Regierungskoalition wird den Vertrag im Oktober endgültig durchwinken.

Was stört Sie an der Haltung der Hamburger Regierungskoalition?

Sie beobachten schon lange den Rechtsradikalismus, schließen aber vor einer Bedrohung durch den Islamismus die Augen. Die Rechte galt immer als viel gefährlicher, während viele den Islamverbänden ihre Klagen glaubten, ihre Werte und religiösen Grundsätze würden von der deutschen Mehrheitsgesellschaft unterdrückt. Selbst die Behauptung, dies habe bei einigen zum Abdriften in den Terrorismus beigetragen, stieß auf ein gewisses Verständnis.

Aber der deutsche Rechtsstaat kommt beim juristischen Vorgehen gegen den Islamismus auch an seine Grenzen?

Lange hatte die Bundespolitik kein Interesse an diesem Thema. Der Arbeitskreis „Politischer Islam“ wurde von der Innenministerin aufgelöst. Die Vertreter des politischen Islam befolgen nach außen hin die gesetzlichen Vorgaben, agieren aber daneben konspirativ und passen ihre Organisationsformen geschickt an. Beim Islamischen Zentrum Hamburg brauchte es eine Razzia, um an gerichtsfeste Beweise zu kommen. Und wenn in Anträgen von „Vielfalt“ und „Integration“ die Rede ist, bekommen auch schon mal dubiose Moscheevereine Geld vom Staat.

Wie kann Integration besser gelingen?

Wir haben bei der Gründung unseres Vereins klare Grundsätze und Integrationsregeln formuliert. Dazu gehören die Gleichberechtigung von Mann und Frau, die sexuelle Selbstbestimmung und das Verbot der Kinderehe und Zwangsheirat. Kopftücher für Heranwachsende sollten bis zum 14. Lebensjahr an Hamburger Bildungseinrichtungen verboten werden, und es muss Pflicht sein, an allen schulischen Veranstaltungen teilzunehmen. Religiöse Diktatur und Bevormundung von Eltern, die ihren Kindern das Fasten in der Schule oder das wiederholte tägliche Beten vorschreiben, darf der deutsche Staat nicht mehr zulassen.

Der Senat plant jetzt Maßnahmen gegen „antimuslimischen Rassismus“. Was halten Sie davon?

Besser als der „Opfer-Erzählung“ der Vertreter des politischen Islam in den Moscheen zu folgen, sollte der Senat sich Strategien gegen die Radikalisierung der Moscheegänger und Tiktok-Islamisten überlegen. Ein Konzept muss her, was gegen die Propaganda der Islamisten im Internet und in den Moscheen erfolgreich dagegenhält.

Zur Person

Necla Kelek wurde 1957 in Istanbul geboren und wuchs dort ohne die rigiden religiösen Normen und Vorschriften von heute auf. Einen westlich-säkularen Lebensstil pflegte ihre Familie auch, nachdem sie 1966 nach Deutschland übergesiedelt war. Kelek promovierte 2001 an der Universität Hamburg in Sozialwissenschaften zum Thema „Alltag im Islam“. Bekannt wurde die heute 66-jährige Soziologin und Publizistin mit dem Sachbuch „Fremde Braut“ über Zwangsehen in der muslimischen Welt. Für ihre zahlreichen Bücher über Integration und Islam in Deutschland und ihr großes Engagement für Reformen erhielt sie mehrere Auszeichnungen. Neben vielen anderen ehrenamtlichen Tätigkeiten ist sie seit 14 Jahren im Vorstand des Frauen-Vereins Terre des Femmes aktiv.

Am Islam gefällt mir, dass …

...auch diese Religion spirituell im Privaten mit ganz viel Liebe und Respekt gelebt werden kann.

Die Rechte der Frauen sind ein Gradmesser für …

...Demokratie und Menschenrechte.

Wenn der politische Islam an die Macht kommt, …

...stirbt die Demokratie.

Das größte Hindernis für Integration der Muslime in Deutschland ist …

...die politische und traditionelle Abhängigkeit von den Herkunftsländern.

Hamburg könnte Vorreiter für eine vorbildliche Integrationspolitik werden, wenn …

...es in den Schulen klare Regeln auf der Grundlage europäischer Werte gäbe, die eine Bevormundung muslimischer Kinder durch ihre Eltern verhinderten.

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