TDrochterser DLRG rettet Leben, wo andere Urlaub machen

Ole Rathjens steuert das neue Rettungsboot. Mit zweimal 225 PS und 45 Knoten (83 km/h) mal schnell nach Glückstadt rüber. Foto: Berlin
Mehr als ein Dutzend Männer und Frauen von der DLRG sitzen mit Erdbeerkuchen am Strand von Krautsand und wachen über die Elbe. Sie wollen helfen, wo sie können. Scharf auf den Ernstfall sind sie nicht. Aber sie sind vorbereitet – beim Elbstrand-Festival.
Drochtersen. Der Jack-Russell-Dackel-Mischling Sunny wuselt an der Schleppleine zwischen den Füßen der Lebensretter herum. Sunny interessiert sich sehr für die Kekse auf dem Tisch und den frischen Erdbeerkuchen. Aber er darf nicht. Sunny gehört zum Drochterser DLRG-Team. „Er ist unser Tröstehund“, sagt Herrchen Thorsten Braack. Zuletzt tröstete Sunny im vergangenen Jahr ein verletztes Kind.

Tröstehund Sunny und Herrchen Thorsten Braack. Der Jack-Russell-Dackel-Mischling kommt zum Einsatz, wenn Kinder sich verletzen. Foto: Berlin
Heute ist ein besonderer Tag auf Krautsand. Drinnen im Container bollert neben dem Funkgerät die Kaffeemaschine. Nur ein paar Schritte entfernt schlüpfen zwei Einsatzkräfte durch einen blickdichten Zaun und erkunden das Gelände des Elbstrand-Festivals.

Jens Hardekopf und Jenny Tiedemann schauen auf dem Festivalgelände nach dem Rechten. Foto: Berlin
Beim Elbstrand-Festival bleibt es ruhig
Es ist Party auf Krautsand. Die DLRG wacht über das Ufer zwischen Ruthenstrom und Krautsander Hundestrand und über alles, was zwischen Barnkrug und Ostemündung auf der Elbe passiert.
Heute gehören die Fans der Ballermannstars Mickie Krause und Tobee zur möglichen Kundschaft. Vor einem Jahr sprangen einige Besucher nachts um zwei noch in den Fluss. Diesmal wird es ruhig bleiben. Es regnet, es ist kalt. Die Leute gehen nach Hause, als die Musik verstummt.
Drei Uhr am Nachmittag: Vom Festivalgelände schallt ein vernehmbares „Ding, Dong“ herüber. Irgendwie passend für den Start der Schicht. Tobee singt „Hab‘ ich saufi gehört?“ DLRG-Bootsführer Ole Rathjens schiebt sich seine Sonnenbrille auf den Kopf und sagt auf einen möglichen Alkoholpegel anspielend: „Da musst du schon zwei bar haben, um das gut zu finden.“ Geschmackssache.
DLRG rettet in Deutschland 1120 Menschen das Leben
Rathjens ist eines von etwa 400 Mitgliedern der DLRG-Ortsgruppe in Drochtersen. Bundesweit waren 2023 mehr als 607.000 Menschen bei der DLRG organisiert. Laut Jahresbericht der Organisation retteten die Ehrenamtlichen im vergangenen Jahr deutschlandweit 1120 Menschen das Leben.
Mindestens 378 Menschen sollen in Deutschlands Gewässern ertrunken sein. „Der Vergleich beider Zahlen macht einmal mehr deutlich, wie wertvoll der ehrenamtliche Einsatz unserer Retterinnen und Retter ist“, sagt Präsidentin Ute Vogt.

Sechs bis acht Leute sind an den Wochenenden im Schnitt am Strand. Wenn schönes Wetter herrscht, kommen noch mehr. Foto: Berlin
Keiner in Drochtersen ist scharf auf solche Ernstfälle. „Hinter den Einsätzen stehen immer Schicksale und miese Situationen“, sagt der Chef der Ortsgruppe, Claus Fastert. Die Drochterser halfen vor zwölf Monaten bei einem medizinischen Notfall an Bord eines Frachters und retteten letzten Herbst eine von Wasser eingeschlossene Frau und ihre fünf Hunde. 20 bis 30 Einsätze zählt die DLRG pro Jahr. „Pflaster zählen wir nicht mit“, sagt Claus Fastert.
Im Sommer jedes Wochenende im Dienst
Keiner ist scharf darauf, sich den mehr als 20 Kilo schweren Notfallrucksack auf den Rücken zu schnallen, die Sauerstoffflasche in die Hand zu nehmen und 200 Meter durch den tiefen Sand bis zu einer Unfallstelle zu sprinten.
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Und keiner muss es haben, die beiden jeweils 225 PS starken Außenbordmotoren des neuen Rettungsbootes „Rück ut“ gern im Ernstfall anzuschmeißen, um auf der Elbe Leben zu retten. Aber die Drochterser DLRG könnte, wenn sie müsste.
Die Retter sind auf alles vorbereitet. Jeder besitzt eine hohe Eigenmotivation, anderen Menschen zu helfen. Jeder genoss eine professionelle Ausbildung. Am liebsten sitzen sie dort am Strand, essen ihren Erdbeerkuchen und schauen den Touristen beim Urlaubmachen zu. In den Sommermonaten sind sie jedes Wochenende da. Aber auf dem Sprung sind sie immer ein bisschen, bei aller Entspanntheit.

Der Chef der DLRG in Drochtersen, Claus Fastert: „Wir bekommen kein Geld dafür. Das wollen wir auch nicht." Foto: Berlin
Der in die Jahre gekommene Container am Anleger auf Krautsand ist die Schaltzentrale der DLRG. 20 Fuß lang, sechs Meter breit. Der Container stammt aus den 1990er Jahren. 2007 hatte er einen Dachschaden. Die Außenwand ist aus Stahlblech, die Innenwände aus Glaswolle und Holz.
„Die Hauptträger werden langsam dünnhäutig“, sagt Claus Fastert.
Längst hat die DLRG ihre Fühler nach Ersatz ausgestreckt. Vielleicht wird es ein alter Corona-Testcontainer. Die kosten um die 2500 Euro. Aber mit Fensterfront, Markise und Funkmast kostet solch ein Teil locker auch mal 20.000 Euro.
Ausrüstung für „Erstangriff“ im Container
Die DLRG-Leute auf Krautsand leben spartanisch. Über einer kleinen Eckbank hängt ein Aldi-Fernseher mit Mini-PC. Fastert hat ihn so eingestellt, dass er und seine Leute den Schiffsverkehr auf der Elbe verfolgen können. Auf der Küchenzeile steht das Funkgerät direkt neben der Kaffeemaschine. Einen Kühlschrank gibt es auch. In den Regalen lagert griffbereit die Ausrüstung für die Erste Hilfe. Oder wie die Retter sagen, für den „Erstangriff“.

Ganz ungefährlich ist das Baden an der Elbe nicht. Die Schiffe verursachen Sog und Schwell. Foto: Berlin
Defibrillator, Sauerstoff zum Beatmen, Blutdruck- und Pulsmesser, Stethoskop, Verbandsmaterial, Halskrause. Die Helfer von der DLRG könnten direkt am Strand Brüche schienen und die Verletzten oder Kollabierten stabilisieren. Beim Beachvolleyball trat ein Mann im letzten Sommer barfuß in einen Metall-Hering. Das Blut spritzte aus der Wunde. „Das war nichts für Zartbesaitete“, sagt Ole Rathjens.
Retter bringen Kindern die Regeln bei
Eigentlich ist die Elbe zum Baden viel zu gefährlich. „Das Zusammenspiel aus Strömung und Wind treibt dich ab, ohne dass du es merkst“, sagt Claus Fastert. Die Schiffe erzeugen Wellen, Sog und Schwell. Von einer Sekunde auf die nächste kann das Wasser alles wegspülen, was auf dem Strand liegt, steht und geht.
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Weil die DLRG das weiß, tourt sie in Sachen Prävention durch die Kindergärten der Region und bringt den Kleinen spielerisch die Bade- und Eisregeln bei. Christin Köppe machte sich einst für dieses Projekt stark und begleitet es mit ihren Mitstreitern noch heute. Dass die DLRG Schwimmunterricht anbietet und Retter ausbildet, steht sogar im Leitbild der 1913 in Leipzig gegründeten Organisation.
Die Festivalbesucher sind heute brav. Weil es kühl ist und der Himmel wolkenverhangen, herrscht am Strand nicht gerade reges Treiben. Zwei Kinder bewerfen sich mit Matsch und stehen dabei knöcheltief im Wasser. Die Mutter schaut entspannt aus sicherer Entfernung zu und lächelt. Claus Fastert und Ole Rathjens greifen indes zu den dicken Jacken an den Kleiderhaken hinter der Containertür und laden zur Spritztour.

Das alte Boot. Foto: Berlin
Rettungsboot schafft locker 45 Knoten
Die beiden Männer gehen auf dem Steg voraus. Vertäut liegt links die alte Rück ut und rechts die neue. Die großen Rettungsboote bekommen in Drochtersen traditionell diesen Namen. Fastert, Rathjens und ein paar Gäste klettern über das Geländer in die moderne Neuanschaffung.

Das neue Boot. Foto: Berlin
Fastert erklärt das Boot, während Rathjens langsam ablegt. Der Mann genießt den Moment, in dem er den Gashebel nach oben schiebt und die insgesamt 450 PS spielen lässt. Er lächelt, als sich der Bug sachte hebt. Mit 45 Knoten rast die Rück ut über die Elbe nach Glückstadt. Mit mehr als 83 km/h. Komisch. Die rasante Fahrt entschleunigt. Es zählt nur der Moment.
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Kurz nach vier geht die Spritztour zu Ende. Als Ole Rathjens am Anleger die Motoren abstellt, beginnt der heftige Regen. Die DLRG-Retter schaffen es noch gerade so in den Container. Die letzten Touristen flüchten vom Strand. Leere. Schichtende.