TEhemann und Sohn sind tot: So bewältigt Nadja Schriefer ihre Trauer

Nadja Schriefer musste in ihrem Leben viel Schmerz aushalten. Mit ihren Erfahrungen hilft sie anderen Menschen, mit ihrem Verlust umzugehen. Foto: Meis
Sechs Wochen nach der Hochzeit stirbt ihr Ehemann, drei Jahre später ihr Sohn. Nadja Schriefer hat Abgründe durchschritten. Heute näht sie mit Trauernden Vermissenkissen aus der Kleidung geliebter Menschen.
Ringstedt. Wenn ein Mensch das Leben verlässt, bleibt etwas zurück. Freunde, Familie, Erinnerungen und ganz viel Traurigkeit. Gefühle der Trauer können lähmen, sind finster. Oft sind sie zu stark für einen Menschen allein.
Nadja Schriefer ist den Weg durch die Dunkelheit gegangen. 2007 heiratet die Ringstedterin mit Anfang 20 ihren Freund Alex. Nur sechs Wochen nach der Hochzeit wird ihr Ehemann völlig überraschend aus dem Leben gerissen. Wo er war, bleibt nichts. Bevor Nadja Schriefer 25 wird, muss sie ihren Mann beerdigen.
Es wird nicht der letzte Schock sein. Schriefer kämpft sich zurück und verliebt sich 2009 in ihren heutigen Mann Hendrik. „Dann bin ich schwanger geworden und habe einen Sohn bekommen“, erzählt die 40-Jährige. Der kleine Jan infiziert sich ein Jahr später mit einem Virus und stirbt. Noch eine Lücke im Leben von Nadja Schriefer, die sich nicht schließen lässt.
Sterbebegleiterin
T Hospizdienst: Erna Klindworth begleitet Menschen aus der Region in den Tod
Feuerbestattung
T Geschäft mit dem Tod: Wie bleibt ein Krematorium trotzdem würdevoll?
Tod und Trauer
T Diamant, Urne, Rakete: Das sind die Trends bei Bestattungen
Trauerbegleitung fehlt, als Nadja Schriefer sie braucht
„Bis heute denke ich täglich an meinen Sohn und an meinen Mann“, sagt sie sichtlich bewegt. Nadja Schriefer spricht heute über diese dunklen Stunden als „mein Weg“. Die schwere Zeit spricht durch ihre blau-grauen Augen, während sie erzählt. „Trauer dauert so lange, wie man liebt“, sagt Schriefer. „Sie bekommt neue Gesichter. Trauer bekommt einen anderen Stellenwert, einen anderen Platz im Leben.“ Besonders das erste Jahr der Trauer ist hart. „Es beginnt mit dem ersten Atemzug am Morgen. Man macht die Augen auf und der nächste Gedanke ist, ‚Du bist tot, Du fehlst‘“, erzählt Schriefer.
In dieser schweren Zeit ist das Angebot für Trauernde wie Nadja Schriefer im Kreis Cuxhaven noch spärlich. „Ich habe niemanden gefunden, der eine Eins-zu-eins-Begleitung mit mir gemacht hätte“, sagt sie. Sie versucht eine Therapie und bricht sie wieder ab.
Nadja Schriefer geht durch die finstere Zeit der Trauer. Mit ihren Erfahrungen will sie heute helfen und weist anderen Trauernden den Weg durch dunkle Tage. „Ich bin von Haus aus ein feinfühliger Mensch“, sagt sie – und das fühlt man, sobald Nadja Schriefer beginnt zu sprechen. Sie kann Sorgen auffangen. Voller Empathie spricht sie offen über Gefühle, die andere in seelischen Kellern verbannen. In ihren Augen liegt Ernsthaftigkeit und Verständnis, wenn sie über Tod und Schmerz spricht.
Familiendramen
T Sie sind da, wenn Kinder und Jugendliche trauern
Die Idee, anderen in ihrer Trauer zu helfen, reift
In den Jahren nach dem doppelten Schicksalsschlag reift in ihr die Idee, andere in ihrer Trauer zu begleiten und zu unterstützen. Das Leben hat ihr die Werkzeuge für diese Aufgabe in die Hand gegeben. Sie erzählt einer befreundeten Bestatterin von ihrer Idee. „Sie hat mich angeguckt und hat gesagt, mach es doch einfach“, sagt Schriefer. Und sie macht es. Neben ihrer Arbeit mit schwerbehinderten Kindern beginnt sie Kissen zu nähen. Erst arbeitet sie in einem Bauwagen, bis sie im Juni 2023 in das Obergeschoss des Ringstedter Bauernhauses zieht, in dem sie mit ihrem Mann Hendrik und ihrem 13-jährigen Sohn Jonas lebt.

Nadja Schriefers Sohn Jan war noch ein Säugling, als er 2010 an einem Virus stirbt.
Durch mehrere Dachfenster fällt Licht in den holzvertäfelten Raum. Auf einem beigefarbenen Teppich liegen Kissen um eine Kerze. Ein Feuer brennt im Kamin. Hier ist Platz für Traurigkeit, Wut, Verzweiflung, aber auch Raum für Freude. Hier sind alle gleich.
Einen Ausweg aus der Machtlosigkeit finden
„Wenn ein Mensch stirbt, schießen auf einmal Sorgen mit voller Härte in das Leben, ohne jede Vorbereitung, ohne Gnade und Verhandlungsspielraum“, sagt Schriefer. In ihrem Atelier möchte sie Menschen helfen, einen Ausweg aus dieser Machtlosigkeit zu finden.
Die Nähmaschine auf dem lang gezogenen Tisch ist Nadja Schriefers einzige Gehilfin dabei. Hier näht sie mit Trauernden Kissen. Die Vermissenkissen.
Die Idee ist es, aus Kleidungsstücken der Verstorbenen ein Kissen zu gestalten. „Kissen verbindet man mit Wohlfühlen, mit Anfassen. Man kann sie aber auch werfen, wenn man sauer ist“, sagt die Ringstedterin. „Auch wenn man es gar nicht so gut kann, ist ein Kissen ein Projekt, das man fertigstellen kann. Solche Erfolge sind sehr wichtig.“
Mütter, Schwestern, Brüder, Ehefrauen und -männer kommen zu ihr. Gemeinsam suchen sie Stoffe aus und denken über die Gestaltung der Kissen nach. „In der Regel bringen die Leute Lieblingsstücke mit.“ Im Mittelpunkt steht immer die Verarbeitung der Trauer. „Ich habe diese Gefühle selbst gefühlt und weiß, wie sie einen von jetzt auf gleich umhauen können“, sagt Schriefer.

In jeder Sitzung zeigt Nadja Schriefer den Trauernden die Mutig-Karte. Denn es braucht Mut, sich in ihrem Atelier seinen Gefühlen zu stellen.
Wenn ihre Kunden wieder gehen, muss sie deren Schicksal hinter sich lassen. „Ich habe gelernt, mich abzugrenzen. Ich fühle mit den Menschen, aber ich leide nicht mit ihnen. Das ist ein ganz großer Unterschied“, sagt die 40-Jährige. Sie macht das mit einem tiefen Verständnis für ihr Gegenüber und ganz viel Menschlichkeit.
Der alltägliche Umgang mit diesen tiefen Emotionen braucht Pausen. Nadja Schriefer findet Erholung in der Natur. „Und meine Badewanne ist ein großes Thema“, erzählt sie. „Daraus schöpfe ich Kraft.“ Kraft, die andere Menschen in schweren Phasen dringend brauchen.
Die Ringstedterin erfüllt diese Arbeit: „Mein harter Weg war nicht umsonst. Ich weiß heute, wofür ich ihn gegangen bin. Ohne diese Erfahrungen wäre das heute hier nicht denkbar. Darauf bin ich stolz.“