TEnak Ferlemann: „Hoffe, dass die Politik aus den Wahlergebnissen lernt“

Enak Ferlemann (Zweiter von rechts) und Daniel Schneider (Dritter von rechts) waren kürzlich zu Gast bei einer Podiumsdiskussion am Hemmoorer Gymnasium Warstade und gaben den „Cuxhavener Nachrichten“ ein Interview. Foto: Rutzen
Erstarken der AfD, Zukunftssorgen, Heimat: Dazu bezogen die Bundestagsabgeordneten Enak Ferlemann und Daniel Schneider Stellung.
Hemmoor.
Überall auf der Welt herrschen aktuell Kriege und gerade junge Leute blicken mit viel Sorge und Angst in die Zukunft. Was schenkt Hoffnung?
Schneider: Zum einen teilen wir ja erst einmal alle die Sorgen und Ängste im Hinblick auf die Zukunft, denn sie sind ja wirklich berechtigt. Es ist schrecklich, was wir tagtäglich sehen und es ist jetzt drei Jahre Ukraine-Krieg und es ist das passiert, was wir am Anfang des Krieges befürchtet haben: So langsam gewöhnen wir uns daran. Es ist dramatisch.
Auch Gaza hat sich nun gejährt und aktuell gab es gerade einen Raketenangriff auf den Libanon. Das ist jetzt etwas Persönliches, gar nichts Politisches, aber was Hoffnung macht, ist, dass keine von den beteiligten Kriegsparteien wirklich profitiert. Wir teilen den kollektiven Wunsch nach Frieden. Nur wie wir da hinkommen, ist die spannende Frage. Klar ist aber, dass sich unsere Friedensbemühungen intensivieren müssen, auch wenn sie bereits auf Hochdruck laufen.
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Was mir aber Hoffnung macht - und da ist die Bundesrepublik Deutschland ganz vorn mit dabei - der Weg zur Klimaneutralität. Es kommt zwar Jahrzehnte zu spät, aber wir haben den Pfad eingeschlagen und wir gehen den Weg jetzt ziemlich erfolgreich und mit Sieben-Meilen-Stiefeln.
Gleichwohl erleben wir aber auch die Klimafolgen und die Extremwetter-Ereignisse. Das heißt, wir sind mitten in der Klimakrise. Aber trotzdem bin ich da hoffnungsvoll, dass wir hier die wichtigsten Maßnahmen unternehmen.
Ferlemann: Ja, die Welt ist unruhig, wir haben viele Krisen an vielen verschiedenen Standorten auf der Welt. Ich glaube aber, man kann hier in Deutschland glücklich sein. Denn wir sind eine stabile Demokratie, ein Rechtsstaat und wir haben einen Sozialstaat. Ich glaube, da können wir uns hier wirklich sehr wohlfühlen. Eine gewisse Sicherheit gibt auch die Europäische Union. Wir sind ja nicht alleine auf der Welt, sondern gut gelegen, uns mit den anderen Europäern gut zu verständigen. So können wir eine gemeinsame Politik formulieren, die uns hilft und schützt, aber auch ganz Europa.
Und ich glaube, dass auch die Einbindung in die NATO, das westliche Verteidigungsbündnis, schon eine große Sicherheit ausstrahlt. Insofern fühle ich mich da nicht bedroht und würde auch jedem zur Zuversicht raten. Trotzdem müssen wir unsere Interessen gemeinsam formulieren und versuchen, in der Welt Einfluss zu nehmen, um die Krisen einzudämmen.
Schneider: Einflussnahme ist hier vielleicht noch einmal ein gutes Stichwort. Zuversicht entsteht ja dort, wo man sich aktiv einbringt, und das ist vielleicht auch im Hinblick auf die jungen Menschen eine gute Idee, sich noch aktiver zu beteiligen.
Was denken Sie, sollte gegen die Zunahme der Wähler der AfD, vor allem bei den jungen Erwachsenen, getan werden?
Schneider: Also zunächst mal bin ich der Meinung, dass das auch eine gesamtgesellschaftliche Frage ist und nicht nur eine rein politische. Alle haben die Aufgabe, etwas dagegen zu unternehmen und nicht nur die Politik. Dennoch haben wir aktuell eine überproportionale Wahl der AfD gerade bei den jungen Menschen, die ihre Nachrichten überwiegend aus den sozialen Medien bekommen.
Mehr als 90 Prozent der Nachrichten holen sich die jungen Menschen aus den sozialen Medien, gerade auch von Tiktok. Dabei ist es sicherlich interessant, zu erwähnen, dass Tiktok eine chinesische App ist. Dann kommen auch noch die künstliche Intelligenz (KI) und die Algorithmen ins Spiel. Negative Nachrichten, Wut und Empörung werden durch die Algorithmen natürlich noch begünstigt.
Tatsächlich ist bei der Nachrichtenlage aktuell ein ungleicher Kampf. Da haben wir noch gar nicht so richtig die Gegenwaffe. Ich möchte dazu noch einmal sagen, dass es ein gesamtpolitischer Aspekt ist. Wir müssen alle gemeinsam in allen Bereichen viel mehr über Politik reden.
Und anstatt immer direkt eine Meinung zu haben, sollten wir viel mehr den politischen Diskurs in den Alltag bringen und auch im Idealfall den Prozess der Meinungsbildung mehr wertschätzen. Lange Rede, kurzer Sinn, wir müssen alle viel mehr über Politik reden.
Ferlemann: Ich glaube, dass die jungen Menschen damit einen gewissen Protest zum Ausdruck bringen. Das ist einmal ihr Erleben mit der Migrationskrise, die wir haben, das muss die Politik lösen.
Das zeigen uns diese Wahlergebnisse. Genauso die Unzulänglichkeiten im Schulwesen bekommen die jungen Leute sehr direkt mit und auch da gibt es vielfältige Unzufriedenheiten. Auch das muss die Politik lösen.
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Die Ampelkoalition hat in den vergangenen Jahren viel Vertrauen verspielt. Vor allem durch ihre Art, Politik zu machen, aber auch wir haben das Vertrauen bisher nicht wieder erhalten. Das heißt, die Menschen suchen jetzt nach einem Ventil, um ihre Unzufriedenheit zum Ausdruck zu bringen. Und das ist eben im Wesentlichen die Wahl der AfD.
Das ist besonders bei jungen Menschen so und deswegen muss die Politik die Probleme lösen, die die jungen Leute beschäftigen. Und da ist es auch egal, ob Regierung oder Opposition, die Parteien der Mitte müssen die Themen lösen. Das ist das A und O, sonst wird es noch schwieriger werden. Ich hoffe, dass die Politik aus den Wahlergebnissen lernt.
Was würden Sie Jugendlichen raten, die sich für Politik interessieren? Sollte man noch in die Politik gehen?
Ferlemann: Auf jeden Fall. Jedes Engagement wird gebraucht, Politik lebt vom Mitmachen, nicht vom Miesmachen. Egal an welcher Stelle. In der evangelischen oder katholischen Kirche, im Schützenverein, im Sportverein. Junge Menschen sollten sich engagieren und etwas zur Gesellschaft beitragen.
Und wenn sie gerne ein politisches Engagement wollen, haben die Parteien alle Jugendorganisationen, die dem sehr offen gegenüberstehen. Wir freuen uns über jeden jungen Menschen, der mitmacht. Weil sie die Politik der Zukunft gestalten. Deshalb kann man nur alle motivieren.
Schneider: Genau so ist es. Wir fragen uns auch in den Parteien, wie wir zu jungen Menschen kommen. Wir suchen sie schon händeringend. Wir müssen aber auch daran arbeiten, dass die Politik, egal auf welcher Ebene, attraktiver wird. Es muss attraktiv werden, sich politisch zu involvieren.
Das heißt, die ganzen Prozesse müssen sich besser entwickeln. Vielleicht muss man auch projektorientierter neue Formate der politischen Beteiligung, die attraktiv sind, finden. Da sind wir alle gefragt. So etwas ist aber natürlich auch immer leichter, wenn junge Menschen da sind.
Sind Sie noch oft in dem Wahlkreis oder verbringen Sie die meiste Zeit in Berlin?
Schneider: Gott sei Dank verbringen wir noch viel Zeit hier, trotzdem noch zu wenig. Wir sind 22 Wochen im Jahr in Berlin und fahren montags hin und freitags zurück. Freitag können wir, wenn wir Glück haben, auch mal um 11 Uhr oder 14 Uhr raus.
Man kann auch mal Pech haben und bei einer späten Debatte dabei sein. Aber lange Rede, kurzer Sinn: 22 Wochen im Jahr sind wir vier Nächte in Berlin. Ich freue mich aber auch immer, wenn ich mit dem Koffer aus dem Bundestag raus und zum Hauptbahnhof gehe. Dann weiß ich, jetzt geht es nach Hause.
Ferlemann: Wir sind überwiegend im Wahlkreis unterwegs, und das ist auch gut so. Der Reiz ist ja aber der Wechsel zwischen dem Landkreis und der Großstadt. Daran sieht man auch den Unterschied, wie die Politik wirkt. Der Gegensatz ist für uns beide immer noch gut zu sehen, damit wir wissen, warum wir die Interessen des ländlichen Raums vertreten.
Schneider: Wir haben auch genau die richtige Zugfahrtdauer, man kann zwischendurch immer noch etwas vorbereiten oder die Dinge reflektieren.
Was mögen Sie an dieser Region besonders?
Schneider: Ich persönlich mag einfach die Unaufgeregtheit und Bodenständigkeit der Menschen. Es ist sicherlich auch individuell, aber ich finde, hier wohnen noch die ganz normalen Leute. Abgesehen davon ist die Region hier auch wunderschön. Wir sind beide Cuxhavener und da hat ja auch alles mit kilometerlangen Stränden und Natur zu tun.
Unsere Heimat ist wunderschön
Daniel Schneider, Bundestagsabgeordneter (SPD)
Unser Job bringt es ja auch mit sich, dass wir den ganzen Landkreis und auch Stade kennenlernen und dadurch natürlich auch noch einmal anders, wir sehen nicht immer nur die B73 und die A27. Unsere Heimat ist wunderschön und es ist eine Ehre, sich für die Menschen von hier in Berlin starkzumachen.
Ferlemann: Ich persönlich mag die Landschaft und den Menschenschlag hier und es lohnt sich wirklich sehr, sich für die Region hier einzusetzen und das macht immer eine große Freude.
Über die beiden Bundestagsabgeordneten
Daniel Schneider sitzt seit 2021 für die SPD im Deutschen Bundestag. Bei der letzten Bundestagswahl gewann der 47-Jährige mit 36,8 Prozent der Stimmen den Wahlkreis Cuxhaven-Stade II.
Schneider ist Mitglied in den Ausschüssen für Kultur und Medien, für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz sowie im Ausschuss für Tourismus. Im Jahr 2010 war er einer der Gründer des Deichbrand-Festivals.
Enak Ferlemann ist seit 2002 Mitglied im Deutschen Bundestag. Er gewann bereits dreimal per Erststimme den Wahlkreis Cuxhaven-Stade II, im Jahr 2021 zog er über die Landesliste der CDU in den Bundestag ein. Ferlemann hatte jahrelang den Posten des Staatssekretärs beim Bundesverkehrsminister inne. 2025 wird der 61-Jährige nicht erneut kandidieren.
Hinweis der Redaktion: Dieser Artikel erscheint in Kooperation mit den Cuxhavener Nachrichten.