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TEntscheidung über Leben und Tod: Ärzte gewinnen Klage gegen Triage-Gesetz

Thema: Behandlungssituation von Corona-Patienten im Klinikum Reinkenheide. Im Bild: Dr. Oliver C. Radke, Chefarzt der Anästhesiologie in Operationskleidung auf der Intensivstation. Foto: Hartmann

Thema: Behandlungssituation von Corona-Patienten im Klinikum Reinkenheide. Im Bild: Dr. Oliver C. Radke, Chefarzt der Anästhesiologie in Operationskleidung auf der Intensivstation. Foto: Hartmann Foto: Arnd Hartmann

Die Entscheidung über Leben und Tod ist die schwierigste für einen Arzt: Zwei Bremerhavener Mediziner haben jetzt die Klage gegen das Triage-Gesetz gewonnen.

Von Denise von der Ahé Donnerstag, 06.11.2025, 17:50 Uhr

Bremerhaven. Die Bremerhavener Notfallmediziner Jörg Fierlings und Dr. Oliver Radke müssen täglich schwierige Entscheidungen treffen. Dabei kann es wie in Zeiten der Corona-Pandemie um eine Entscheidung über Leben und Tod gehen, wenn nicht mehr alle schwer kranken Patienten gleichzeitig versorgt werden können. Das Triage-Gesetz regelt genau solche Fälle. Am Dienstag hat das Bundesverfassungsgericht die Regelung gekippt. Damit haben auch die beiden Bremerhavener Ärzte ihre Klage gewonnen, die sie gemeinsam mit 12 weiteren Not- und Intensivmedizinern und dem Ärzteverband Marburger Bund eingereicht hatten.

Bremerhavener Notarzt: Für jeden Arzt ist Triage die schlimmste Entscheidung

Zwar kam es in Bremerhaven während der Pandemie zu keinem Fall, in dem die beiden Mediziner entscheiden mussten, wen sie mangels Ressourcen noch an ein Beatmungsgerät anschließen können und wen nicht. Aber es hätte so weit kommen können, und das ist auch für die Zukunft nicht ausgeschlossen.

Für solche Fälle gibt das nun gekippte Triage-Gesetz Regelungen vor. Welcher Patient im Zweifel zuerst behandelt werden muss, je nach Schwere der Erkrankung, nennt man Triage. Dabei kann es in Zeiten von Pandemien auch um die Frage gehen, ob bei mangelnden Kapazitäten ein jüngerer Mensch mit besserer Prognose einem älteren Menschen mit Vorerkrankungen vorgezogen wird. „Für jeden Arzt die schlimmste Entscheidung überhaupt“, sagt Fierlings.

Triage-Gesetz: Darum haben die beiden Bremerhavener Notärzte geklagt

Das Gesetz sei aber vor allem in einer Extremsituation für Ärzte nicht umsetzbar gewesen, kritisiert Fierlings, der im Klinikum Reinkenheide die Notaufnahme leitet. Denn laut Gesetz müssten zwei Ärzte einvernehmlich entscheiden, wer die noch verbleibenden medizinischen Ressourcen erhält. Wenn sich beide Ärzte uneinig sind, muss ein weiterer Mediziner hinzugezogen werden. Dieser wiederum darf die betroffenen Patienten nicht behandeln. Sollte ein Patient mit einer Behinderung oder Zusatzerkrankungen betroffen sein, muss sogar noch eine vierte Person beraten.

Gerade in einer Akutsituation wie einer Pandemie, wenn das Gesundheitssystem kurz vor dem Kollaps stehe, sei das Gesetz völlig untauglich, sagt Fierlings. Außerdem sei es unlogisch, weil es nur gegolten hätte, wenn Kliniken aufgrund von Infektionskrankheiten überlastet sind. „Sollten Ärzte aufgrund einer Katastrophe oder eines Terroranschlags triagieren müssen, wären sie nicht an das Gesetz gebunden gewesen“, sagt Fierlings.

Unabhängig von dem jetzt für nichtig erklärten Gesetz aus dem Jahr 2022 komme es heute im ärztlichen Alltag oft zur Triage: „Ein Notarzt auf dem Land muss an einer Unfallstelle mitunter entscheiden, welchen von zwei Schwerstverletzten er als Ersten behandelt“, sagt Fierlings, der auch Vorsitzender des Marburger Bundes im Land Bremen ist. „Das ist die schlimmste Situation, in die man als Arzt kommen kann. Denn wir wollen allen Menschen gleichermaßen helfen. Trotzdem muss ich in einer solchen Situation innerhalb von Sekunden entscheiden.“ Fierlings und Radke sind in Bremerhaven und der Region regelmäßig als Notärzte im Einsatz.

Bremerhavener Notarzt: Triage-Gesetz für Akutsituationen viel zu bürokratisch

„Das Bundesverfassungsgericht hat klargestellt, dass die Ausübung ärztlicher Tätigkeit nicht durch unzulässige staatliche Vorgaben eingeengt werden darf“, sagt Fierlings. „Zur Berufsfreiheit gehört gerade auch die Freiheit und Verantwortung, selbst in medizinischen Extremsituationen, ärztliche Entscheidungen nach fachlicher Kenntnis und eigenem Gewissen in kollegialer Übereinstimmung zu treffen. Zum anderen unterstreicht der Beschluss die hohe Bedeutung der ärztlichen Therapiefreiheit und Gewissensverantwortung in Extremsituationen. In medizinischen Extremlagen brauchen die Ärztinnen und Ärzte die Rechtssicherheit, um zeitkritische Entscheidungen treffen zu können.“

Auch Radke ist froh über die Entscheidung des Gerichts: „Das Triage-Gesetz enthält derart bürokratische Vorgaben, die in einer Akutsituation nicht machbar sind.“ Gerade in Notfällen sei es nicht möglich, noch einen weiteren unbeteiligten Arzt oder gar Gutachter zu konsultieren. „Wir brauchen in Notlagen jede Hand am Patienten“, betont der Chefarzt, der die Intensivstation in Reinkenheide leitet. „Ärztinnen und Ärzte müssen darüber entscheiden können, wie die Medizin laufen muss, das können nicht Politiker vom Schreibtisch aus“, betont der Intensivmediziner.

Wenn die Regeln jetzt neu aufgestellt würden, müssten diese aus der Ärzteschaft kommen. Sein Kollege Fierlings hätte sich gewünscht, dass das Gericht das Gesetz nicht nur aus formalen Gründen kippt, weil die Länder und nicht der Bund zuständig sind: „Ich hätte mir ein paar inhaltliche Hinweise erhofft, wie das Verfassungsgericht eine mögliche zukünftige Triage-Regelung sieht.“

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