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Interview

TEx-HSV-Profi Soner Uysal: „Beim Karriere-Ende war ich auch erleichtert“

Co-Trainer Soner Uysal beim Training des HSV U21.

Co-Trainer Soner Uysal beim Training des HSV U21. Foto: ABS Michael Schwarz

Verletzungsbedingt musste er seine Karriere beenden: Soner Uysal hadert trotzdem nicht mit seiner Vergangenheit. Ein Leidensgenosse beim HSV half ihm auf die Beine, heute sitzt er als Co-Trainer des HSV-Nachwuchses auf der Bank.

Von Guido Behsen Samstag, 22.06.2024, 20:00 Uhr

Hamburg. TAGEBLATT: Deutschland arbeitet am Sommermärchen 2.0. Hat die EM-Euphorie Sie auch gepackt?

Soner Uysal: Ja, schon. Vor allem versuche ich, so gut wie alle Spiele zu gucken. Das ist eine gute Möglichkeit, sich einen Überblick zu verschaffen.

Gucken Sie eher im kleinen Kreis oder in großer Runde?

Mit der Familie. Ich habe zwei fußballbegeisterte Söhne und wir gucken die Spiele meistens zu Hause.

Ist es noch etwas Besonderes für Sie, wenn die türkische Mannschaft spielt?

Klar, das ist das Heimatland meiner Eltern, da bin ich immer interessiert. Mein Vater verbringt die Wintermonate heute noch dort.

Sie sind in Deutschland geboren und aufgewachsen.

Ja, anfangs hatte ich noch beide Pässe, weil ich für die türkische U21 gespielt habe, aber heute nicht mehr.

Wie und wo begann Ihre Fußballerkarriere?

Ich der Nähe von Ludwigshafen, in der Pfalz. In der Sackgasse, wo wir wohnten, hatten bestimmt 85 Prozent der Leute türkische Wurzeln oder waren Türken. Wir Kinder haben, wenn es ging, von morgens bis abends Fußball gespielt.

Ein richtiges Bolzplatz-Kind also?

Ich bin tatsächlich erst verhältnismäßig spät in einen Verein eingetreten. Man musste sich erst mal auf der Straße durchsetzen und irgendwann kam der Verein automatisch dazu. Das war dann die FG 08 Mutterstadt.

Sie wurden dann recht schnell entdeckt.

Über Ludwigshafen kam ich zu Waldhof Mannheim in die 2. Bundesliga...

...und 1997 stand plötzlich der HSV auf der Matte.

Ich war noch keine 20 Jahre alt, als ich meine ersten Spiele für Waldhof gemacht habe, darauf sind viele größere Clubs aufmerksam geworden. Mit dem HSV hat es dann geklappt.

Sie hatten damals noch keinen Bezug zu Hamburg?

Nein. Trotzdem fühle ich mich schon lange als Hamburger. Ich glaube, Hamburg ist die Stadt im deutschen Profifußball, in der die meisten Spieler nach dem Ende ihrer Karriere heimisch werden, wenn sie einmal hier gespielt haben.

Zum Beispiel?

Zum Beispiel Manni Kaltz, der kommt ursprünglich auch aus meiner Gegend. Oder Thomas von Heesen. Oder Sergej Barbarez. Die wohnen alle in Hamburg.

Große Namen. Ich war ja großer Barbarez-Fan...

Wir verstehen uns sehr gut. Jeden Donnerstag sind wir zu unserer gemeinsamen Zeit beim HSV losgezogen. Das konnte schon mal später werden (lacht). Am Wochenende hat er trotzdem wieder sein Tor gemacht.

Damals war Social Media noch nicht überall dabei.

Genau. Und der Teamgedanke stand vielleicht noch mehr im Vordergrund. Ich weiß nicht, ob es das heute in dieser Form noch gibt.

Wir sprechen auch über eine Zeit, in der der HSV international gespielt hat. Jetzt geht es ins siebte Zweitliga-Jahr. Woran liegt das?

Ich denke, dass es für einen kleineren Verein leichter ist, sich nach einem Abstieg neu aufzustellen und zurückzukommen. Der Druck ist in Hamburg nun einmal ungleich größer.

Wie durchschlägt der HSV diesen Knoten?

Es wird darum gehen, sich weniger mit dem Druck zu beschäftigen als mit dem Fußballspielen. Der Druck ist sowieso immer da, das wird sich auch nicht ändern.

Die Fans rennen dem HSV trotzdem, salopp gesprochen, die Bude ein.

Die Fans hier sind der Wahnsinn, Punkt.

Sieht man Sie regelmäßig im Volksparkstadion?

Wenn wir zeitgleich keine Termine mit der U21 haben, bin ich vor Ort.

Treffen Sie dann auch alte Weggefährten?

Man sieht sich immer wieder mal. Engen Kontakt habe ich zu Rodolfo Cardoso, der auch im Nachwuchs arbeitet. Mehdi Mahdavikia ist als Individualtrainer bei uns.

Noch zwei Legenden. Ihnen blieb die große Karriere dagegen verwehrt, das Knie...

Ich hatte früh einen Kreuzbandriss. Normalerweise reißt in dem Fall auch der Synovialschlauch, das ist eine Art Haut, die das Kreuzband umhüllt. Das war bei mir aber nicht der Fall, was die Diagnose sehr erschwert hat. Ich habe das Gelenk vermutlich zu früh wieder belastet. Dadurch habe ich es nur schlimmer und am Ende schlicht kaputt gemacht. Ich mache niemandem einen Vorwurf, es war halt Pech.

Dennoch muss diese Leidensgeschichte wahnsinnig frustrierend gewesen sein.

Stimmt. Es ging halt sehr, sehr lange. Dieser Kampf, gesund zu werden, nur um gleich wieder verletzt zu sein. Das beschäftigt einen. Ich habe es bis zum Schluss versucht, aber irgendwann ging es halt nicht mehr.

Ist da nicht eine Welt für Sie zusammengebrochen?

Ganz ehrlich, als ich es eingesehen habe, war da bei aller Enttäuschung auch eine gewisse Erleichterung. Zwei Jahre lang war ich durchgehend verletzt. Dann wusste ich, okay, das war es jetzt.

Wie ging es nach dem Karriereende weiter?

Ich habe fast ein Jahr lang sozusagen im luftleeren Raum gelebt und so gut wie nichts gemacht. Dann hat ein Leidensgenosse mich motiviert, als Trainer anzufangen, das war Karsten Bäron. Er war zu der Zeit Trainer der B-Jugend, hat sich immer wieder bei mir gemeldet und mich quasi gedrängt, ihm zu assistieren.

Bäron, der seine Karriere aufgrund eines Knieschadens ebenfalls früh beenden musste, ist heute nicht mehr im Fußball aktiv. Sie schon.

Ich bin da regelrecht hängengeblieben. Aber ich habe eine Zeit lang gebraucht, um mich an den Trainer-Job zu gewöhnen. Als Spieler bist du eine Stunde vorm Training vor Ort, trainierst und dann ist der Arbeitstag quasi erledigt. Als Trainer ist es anders. Ich verbringe mehr Zeit mit Planung, Analyse, Vor- und Nachbereitung als mit den Jungs auf dem Platz.

Wie schwer ist für die Jungs der Sprung ins Profiteam?

In den vergangenen Jahren haben viele Spieler die Möglichkeit bekommen, mit der ersten Mannschaft zu trainieren. Manche konnten die Chance nutzen, manche nicht. Da kommen im Fußball viele Faktoren zusammen. Regionalliga-Fußball ist Leistungssport, unser Job ist es, die jungen Spieler an den Profibereich heranzuführen. Aber wenn du dort bist, musst du liefern, dann zählt es nicht mehr, ob du jung oder alt bist.

Hatten Sie es im Vergleich dazu früher leichter?

Es war anders. Ich kann mich erinnern, dass die jungen Spieler nach dem Training in der Kabine Quatsch gemacht haben. Und die älteren, etablierten Spieler wie Niko Kovač oder Tony Yeboah haben uns gewähren lassen, solange wir es nicht übertrieben haben. Heute sind bei uns in der Kabine und mindestens bis eine halbe Stunde nach dem Training Handys verboten. Aber danach, das weiß ich ganz genau, sind die meisten wieder mit sich und den Handys beschäftigt. Aber so ist das nun einmal, nicht nur im Fußball, sondern überall, in praktisch jeder Familie.

Apropos Familie: Sie haben in Hamburg auch ihr privates Glück gefunden.

Am Anfang meiner Zeit als Nachwuchstrainer habe ich nebenbei noch eine Bar betrieben, in der Schanze. Aber irgendwann wurde es zu wild. Dietmar Beiersdorfer, mein Chef beim HSV, hat mich schließlich zur Seite genommen und gesagt, dass ich mich entscheiden müsse. Und ich bin froh, dass ich mich für den Fußball entschieden habe. Die Familie tat ihr Übriges. 2010 bin ich dann auch nach Ellerbek gezogen.

Letzte Frage: Wer wird Europameister?

Das ist ganz schwer zu sagen und ich bin wirklich besonders schlecht im Tippen. Aber Deutschland ist schon stark und für mich bis jetzt die einzige Mannschaft im Turnier, die komplett überzeugt hat. Wenn ich mich also festlegen muss, dann sage ich Deutschland.

Zur Person

Soner Uysal wurde am 24. August 1977 in Ludwigshafen am Rhein als Sohn türkischer Einwanderer geboren. Er hat eine Schwester. Seinen ersten Profi-Vertrag erhielt er 1996 bei Waldhof Mannheim, ein Jahr später wechselte er zum HSV in die Bundesliga. Zahlreiche Verletzungen verhinderten den Durchbruch: Nach einer zwischenzeitlichen Leihe zum FC Gütersloh und einigen Einsätzen gegen Ende der Saison 1999/2000, machte Uysal in der Folgesaison kein einziges Spiel für die Hamburger, die Profi-Karriere endete mit einem irreparablen Knieschaden 2002, wo sie begonnen hatte: bei Waldhof Mannheim. Danach kehrte Uysal, der seit 2005 im HSV-Trainerteam arbeitet, in seine Wahl-Heimat Hamburg zurück. Mit seiner Frau und den beiden Söhnen (11, 7) lebt er heute vor den Toren der Stadt in Ellerbek im Kreis Pinneberg.

Persönliches

An Hamburg liebe ich besonders... die Elbe und den Hafen.

Zwischen Fisch- und Franzbrötchen fällt meine Wahl... auf das Fischbrötchen - da bin ich wirklich ein echter Hamburger.

Wenn es mich mal in die Ferne zieht, ist das schönste Ziel... Korsika.

Lachen kann ich über... meine Kinder.

Und mich nervt... schlechtes Wetter – da bin ich wohl doch kein echter Hamburger.

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