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Fußball

TExperten aus der Region zur Frauen-EM: „Ich traue dem Team alles zu“

Deutschlands Torhüterin Ann-Katrin Berger hält den entscheidenden Elfmeter gegen Frankreich.

Deutschlands Torhüterin Ann-Katrin Berger hält den entscheidenden Elfmeter gegen Frankreich. Foto: Sebastian Christoph Gollnow/dpa

Die Euphorie nach dem Elfmeterkrimi ist groß - auch bei Spielerinnen und Trainern aus der Region. Einige sehen Deutschland schon im Finale, andere sind pessimistisch.

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Von Tim Scholz
Mittwoch, 23.07.2025, 05:50 Uhr

Ex-HSV-Kapitänin glaubt an die Titelchance

Sarah Stöckmann: „Ich bin total positiv überrascht von der deutschen Mannschaft. Besonders gegen Frankreich hat das Team eine unfassbare kämpferische und läuferische Leistung gezeigt. Wie sie hinten gemeinsam gegen den Ball gearbeitet haben, war richtig überzeugend. Nach dieser Leistung traue ich dem Team alles zu.

Ich glaube nicht, dass sich die Ausfälle bemerkbar machen werden, weil deutlich geworden ist, dass man sie gut kompensieren kann - das haben zum Beispiel die Außenverteidigerinnen Carlotta Wamser und Franziska Kett gezeigt. Da muss sich die Mannschaft keine Sorgen machen. Ich kann mir gut vorstellen, dass sie auch gegen Spanien als Sieger vom Platz geht.

Wer den Titel holt? Schwer zu sagen. Vor der EM hätte ich Deutschland nicht zwangsläufig als Titelfavorit gesehen. Aber nach dem Spiel gegen Frankreich muss ich sagen: Wer so eine überzeugende Teamleistung zeigt, ist auch bereit, den Titel zu gewinnen.

Sarah Stöckmann spielte bis zur vergangenen Saison beim HSV.

Sarah Stöckmann spielte bis zur vergangenen Saison beim HSV. Foto: Schlikis

Was mich bei diesem Turnier am meisten beeindruckt: Dass die Mädels auf allerhöchstem Niveau alle paar Tage eine Riesenleistung abrufen - und jedes Mal nahezu bei 100 Prozent sind. Als Abwehrspielerin schaue ich vor allem beim Eins-gegen-Eins genau hin - das ist etwas, was ich mir abgucken kann.“

Sarah Stöckmann spielte unter anderem für Eintracht Immenbeck und war Kapitänin des Hamburger SV. Im Sommer wechselte sie zum Zweitliga-Neuling Viktoria Berlin.

VSV-Trainerin sieht gegen Spanien schwarz

Alina Schuldt: „Nach mehr als 100 Minuten in Unterzahl gegen Frankreich zu gewinnen, ist eine enorme Leistung. Insgesamt aber war der Turnierverlauf der deutschen Mannschaft ein bisschen wild, mit den ganzen Verletzten und Gesperrten. Gegen Spanien sehe ich daher eher schwarz.

Die spielen auf einem anderen Level und haben bisher die konstanteste Leistung gezeigt. Ich denke, dass Spanien den Titel holt. Aber vielleicht schaffen es die Deutschen ja, wieder ein bisschen mehr aus sich herauszuholen.

Alina Schuldt von den VSV Hedendorf/Neukloster.

Alina Schuldt von den VSV Hedendorf/Neukloster. Foto: FuPa/Schmietow

Ob das Turnier dem Mädchen- und Frauenfußball einen Schub geben kann, ist schwer zu sagen. Viele haben eingeschaltet, aber entscheidend sind Spiele wie in der vergangenen Saison das Nordduell im Pokal-Halbfinale zwischen dem HSV und Werder Bremen. Da haben viele gesehen: Frauenfußball kann ein Job sein.“

Alina Schuldt ist Trainerin des Frauen-Landesligisten VSV Hedendorf/Neukloster.

Torwarttrainer von Bergers Glanztat beeindruckt

Hendrik Lemke: „Was für ein Timing! Was für ein Abdruck! Was für eine Streckung! Ich habe in den letzten Jahren noch nie so eine Parade gesehen. Ann-Katrin Berger hat damit ein großes Ausrufezeichen gesetzt und gezeigt, was für eine Qualität sie hat.

Dabei wurde nach dem Spiel gegen Dänemark bereits ihr Spielstil infrage gestellt. Gegen Schweden wirkte sie dann verunsichert, spielte nicht mit 100 Prozent. Doch im Viertelfinale gegen Frankreich hat sie es allen gezeigt. Vor allem mit ihrer Ruhe und ihrer Mentalität hat sie der Mannschaft enorm geholfen.

Hendrik Lemke.

Hendrik Lemke. Foto: Manfred Krause (Archiv)

Man sieht insgesamt, wie stark sich das Torwartspiel im Frauenfußball entwickelt hat - besonders in der Bundesliga, wo es inzwischen einen hohen Stellenwert hat. Durch die Vorgaben des DFB arbeitet heute jedes Team mit einem Torwarttrainer.

Früher hatte Deutschland immer wieder herausragende Einzelspielerinnen auf dieser Position, doch mittlerweile gibt es in der Breite deutlich mehr Qualität. In der Bundesliga bringt jede Torhüterin ein hohes Niveau mit. Der große Unterschied liegt oft in der Konstanz. Und das ist die Herausforderung: diese Leistungen dauerhaft abzurufen.“

Hendrik Lemke ist Torwarttrainer der Bundesliga-Frauen von Werder Bremen. Er spielte unter anderem für A/O, D/A und den VfL Stade.

Fußball-Talent lobt den Teamgeist

Hanna Ernst:Ich bin derzeit in den USA und konnte wegen der Zeitverschiebung leider nicht alle deutschen Spiele live verfolgen. Was ich gesehen habe, stimmt mich aber sehr positiv - vor allem wie die Mannschaft den Ausfall von Giulia Gwinn kompensiert hat; Carlotta Wamser hat ihre Sache echt gut gemacht.

Hanna Ernst im Trikot der SV Ahlerstedt/Ottendorf.

Hanna Ernst im Trikot der SV Ahlerstedt/Ottendorf. Foto: Struwe

Nach dem 1:4 gegen Schweden habe ich allerdings nicht mehr damit gerechnet, dass Deutschland das Halbfinale erreicht. Gegner Spanien ist für mich eine krassere Nummer als Frankreich - spielerisch und individuell extrem stark, gerade wenn man an Spielerinnen wie Alexia Putellas und Aitana Bonmatí denkt. Trotzdem bin ich zuversichtlich: Deutschland hat einen tollen Teamgeist und ist kämpferisch stark.“

Hanna Ernst ist College-Spielerin an der Oral Roberts University in Oklahoma. Zuvor spielte sie beim Oberligisten SV Ahlerstedt/Ottendorf.

A/O-Urgestein glaubt an positive Entwicklung

Bernd Stelling: „Vor der EM wurde mir die deutsche Mannschaft zu hoch gepusht. Nationen wie England, Frankreich und Spanien sind an Deutschland vorbeigezogen, die Ligen dort sind viel professioneller.

Ich habe auch nicht geglaubt, dass Deutschland gegen Frankreich gewinnt. Auch jetzt gegen Spanien sind sie Außenseiter. Aber man hat gesehen, was möglich sein kann, wenn man läuferisch und kämpferisch alles reinwirft und das nötige Glück hat. Von der Psyche her, ist Deutschland vorbereitet, mehr Selbstvertrauen kann man ja nicht haben.

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Was das nun ausgelöste mediale Interesse betrifft, glaube ich schon, dass das auch an der Basis ankommt. Junge Mädchen werden so aufmerksam und bekommen Interesse. Da wird es Zuwachs geben. Nach einem Vorrunden-Aus hätte diese Präsenz gefehlt.“

Bernd Stelling (58) ist seit 40 Jahren bei der SV A/O im Frauenfußball tätig, ob als Obmann oder Trainer verschiedenster Mannschaften. Beim NFV-Kreis Stade ist er Staffelleiter Frauen 1. KK und Pokal.

O/O-Trainer: Das ist sein Traumfinale

Maik Ratje: „Nach dem 1:4 gegen Schweden hat es mich überrascht, wie mental stark die deutsche Mannschaft im Viertelfinale gegen Frankreich aufgetreten ist - und das trotz der frühen Roten Karte. Man merkt, dass Deutschland eine zusammengeschweißte Truppe ist. Einzelne Spielerinnen möchte ich ungern hervorheben, auch wenn man die herausragende Leistung von Torhüterin Ann-Katrin Berger ruhig würdigen kann.

O/O-Trainer Maik Ratje.

O/O-Trainer Maik Ratje. Foto: Berlin

Natürlich würde ich mir Wünschen, dass Deutschland Europameister wird. Mein Tipp vor dem Turnier war allerdings England - dabei bleibe ich. Ob so ein Erfolg einen Hype im Mädchen- und Frauenfußball auslöst, wäre schön. In meinen Vereinen habe ich das bisher jedoch nicht erlebt. Der Frauenfußball bräuchte generell mehr Aufmerksamkeit in den Medien.“

Maik Ratje ist Trainer des Frauen-Landesligisten FC Oste/Oldendorf, und war davor jahrelang bei der SV A/O im Frauenfußball tätig.

Bernd Stelling ist seit 40 Jahren bei der SV A/O im Frauenfußball aktiv, zudem seit einem Jahr im NFV-Kreis Stade.

Bernd Stelling ist seit 40 Jahren bei der SV A/O im Frauenfußball aktiv, zudem seit einem Jahr im NFV-Kreis Stade. Foto: FuPa

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