TFahrradfreundliches Stade? Ein Experte hat da so seine Zweifel
Der neue Radweg an der Harsefelder Straße ist auf Höhe Sachsenstraße bereits fertig. Foto: Strüning
Christian Ückert aus Stade ist ein kritischer Geist. Sein Spezialgebiet: Radwege. Die Auszeichnung Stades als fahrradfreundliche Kommune wundert ihn.
Stade. Christian Ückert, Mitglied des Vereins „Stade fährt Rad“ geht mit der Stadt und der jetzt erfolgten Auszeichnung als „Fahrradfreundliche Kommune“ sehr kritisch um. Das TAGEBLATT stellt im Folgenden seinen Beitrag im Wortlaut zur Diskussion.
Reicht die Absicht für eine Zertifizierung?
„Ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, wie Stade mit wahrheitsgemäßen Angaben im Fragebogen zur Zertifizierung die erforderliche Punktzahl erreicht haben könnte. In ihrem Facebook-Beitrag schreibt die Stadt Stade, dass die Jury unter anderem ‚die langfristige und strategische Planung der Hansestadt Stade zur Stärkung des Radverkehrs‘ gewürdigt habe. Reicht für eine Zertifizierung bereits eine Absichtserklärung? Nicht umgesetzte Konzepte gibt es in Stade wahrlich genug.

Christian Ückert hat einen kritischen Blick auf den Radverkehr in Stade. Foto: Stehr
Verstehen Sie mich nicht falsch: Stade hat zuletzt einige Maßnahmen ergriffen, die in die richtige Richtung gehen. Der Umbau der Harsefelder Straße, der im vergangenen Jahr begonnen hat, ist sicherlich das größte Projekt, welches sich über mehrere Jahre hinzieht.
Es ist klar, dass große Umbaumaßnahmen Zeit brauchen und viel Geld kosten, sodass nicht alle Defizite der Vergangenheit in kurzer Zeit aufgeholt werden können. Auch die Neubourgstraße als einzige Fahrradstraße mit der neu gebauten Verlängerung zum Schiffertor ist ein Vorzeigeprojekt, auf das die Stadt Stade stolz sein darf. Aber sonst?
In Stade werden nicht einmal geltende Vorschriften konsequent umgesetzt, oder einfache Maßnahmen, die ohne großen Aufwand schnell machbar wären. Radverkehr wird vor allem dort gefördert, wo es den Autoverkehr nicht stört, denn ein ernsthafter Wille, Radfahrer als gleichberechtigte Verkehrsteilnehmer zu behandeln, ist nicht erkennbar.
Radwege erfüllen nicht Mindestvoraussetzungen
Außer an den neu gebauten Abschnitten der Harsefelder Straße erfüllen die Radwege in Stade nicht einmal die Mindestvoraussetzungen der VwV-StVO und sind weiterhin trotzdem benutzungspflichtig, auch wenn das der seit 28 Jahren geltenden Rechtslage widerspricht. Dort, wo die Stadt Stade in den letzten Jahren regelkonforme Verkehrsführungen umgesetzt hat, erfolgte das oftmals erst auf Druck der Fachaufsichtsbehörde oder nach Klage vor dem Verwaltungsgericht (Sachsenstraße).
Unfallschwerpunkte bestehen seit Jahren, ohne dass Maßnahmen ergriffen werden, die Sicherheit zu erhöhen, z.B. in der Hansestraße oder am ovalen Kreisverkehr Bremervörder Straße/Schiffertorsstraße mit dem Bypass, an dem es in jedem Jahr wieder Unfälle mit Radfahrern gibt.

Zwischen den Kreisverkehren am Bildungscampus Riensförde und am Stadtweg wurden der Geh- und Radweg ausgebaut sowie die Straßendeckschicht erneuert. Foto: Stadt Stade
An zahlreichen Kreuzungen fehlen die im Zuge von Vorfahrtstraßen vorgeschriebenen Radwegfurten vollständig. Erschwerend kommen an vielen Kreuzungen Sichthindernisse hinzu, sowie die Stader Eigenart, entgegen der Empfehlungen für Radverkehrsanlagen Radwege an Kreuzungen nicht fahrbahnnah zu führen, sondern in Richtung der einmündenden Nebenstraße zu verschwenken, wodurch sich die Sichtbeziehungen weiter verschlechtern.
Ampelschaltungen für Radler ein Ärgernis
Die Verbesserung der Ampelschaltungen für Fußgänger und Radfahrer wird seit Jahren angekündigt, aber nicht umgesetzt. Die Dunkelampel an der Glückstädter Straße ist die erste und immer noch einzige Ampel dieser Art. An anderen Stellen stehen Sie auch nachts am Wochenende an einer leeren Straße vor einer roten Ampel, die mit der Schulwegsicherung zu einer Grundschule begründet wird. Oder Sie warten einen ganzen Umlauf auf einer Verkehrsinsel, weil die zweite Ampel, die Sie bei der umständlichen Wegführung an der Hansebrücke queren müssen, nur auf Knopfdruck grün wird.
Winterdienst auf Radwegen und wichtigen Routen des Radverkehrs wird allenfalls nachrangig durchgeführt. Dasselbe gilt für die Reinigung der Wege im Herbst, wenn glattes Laub zur Falle wird. An Baustellen wird Radverkehr nicht berücksichtigt, sondern komplett verboten, oder man löst das Problem einfach durch das Schild ‚Radfahrer absteigen‘.
Wenn in der Altstadt Veranstaltungen stattfinden (Altstadtfest, Winzerfest, Weihnachtsmarkt) werden Fahrradbügel ersatzlos abgebaut, um Platz für Buden oder den Toilettenwagen zu schaffen. An Schulen findet man immer noch überwiegend die alten Vorderradhalter („Felgenbrecher“), obwohl seit Jahren angekündigt war, Anlehnbügel aufzustellen, an denen man Fahrräder fest anschließen kann.
Warum Fahrradboxen nur für Dauernutzer?
Am Bahnhof gibt es abgeschlossene Fahrradstellplätze nur für Dauernutzer. Obwohl die Fahrradboxen insbesondere auf der Südseite des Bahnhofs meistens noch viele freie Plätze bieten, gibt es keine Möglichkeit für Gelegenheitsnutzer, ein Fahrrad sicher unterzustellen.
Zahlreiche Einbahnstraßen sind nicht einmal dort für den Radverkehr in Gegenrichtung freigegeben, wo damit direkte und attraktive Verbindungen geschaffen werden könnten (z.B. Eisenbahnstraße).

So sah der Radweg an der Harsefelder Straße vor der Sanierung aus. Foto: Strüning
Wegweisungen für den Radverkehr sind oft nicht durchgängig. Zum Teil zeigen Wegweiser in Richtungen, wo man gar nicht Fahrrad fahren darf oder kann. Die ausgewiesenen Ziele wirken willkürlich und nicht bedarfsgerecht. Auf Wunsch von Stade Tourismus (100% Tochtergesellschaft der Hansestadt Stade) verläuft der Elberadweg entlang einer Straße mit der größten Häufung von Fahrradunfällen, nur damit er an der Tourist-Info vorbei führt.
Eigene Aktionen, die für das Radfahren werben, gibt es nicht. Selbst das Stadtradeln wird - eher lieblos - vom Landkreis Stade organisiert und verzeichnete im Jahr 2025 in Stade entgegen dem allgemeinen Trend rückläufige Teilnehmerzahlen.
Viele Radfahrer auf der falschen Seite
Sicherheitskampagnen werden seitens der Hansestadt Stade nicht durchgeführt. Ich kenne kaum eine andere Stadt, in der so viele Radfahrer auf der falschen Straßenseite oder auf Gehwegen unterwegs sind. Auch die Stader Polizei scheint das nicht weiter zu interessieren.
Die einzige Servicestation steht nicht nur an einem ungünstigen Platz, sondern ist auch seit langem defekt und niemand kümmert sich darum. Die „Arbeitsgespräche Radverkehr“ sind ein Feigenblatt. Konstruktive Kritik und Hinweise werden seitens der Stadt Stade regelmäßig abgewehrt oder ignoriert.

Hier hat sich was getan: Der Burgwiesen-Radweg kurt vor der Fertigstellung. Foto: Richter
Es ist zu befürchten, dass sich Stade auf den unverdienten Lorbeeren ausruhen und nun erst recht nicht mehr auf konstruktive Kritik eingehen wird. Schließlich hat die Stadt nun die Urkunde der AGFK, fahrradfreundlich zu sein. Dabei ist fast alles, was Sie in Stade an positiven Entwicklungen gesehen haben, von engagierten Bürgerinnen und Bürgern gegen die Beharrungskräfte in Politik und Verwaltung hart erkämpft worden.“
Stade fällt beim „Fahrradklimatest“ durch
Ückert ist mit seiner Kritik nicht allein. Beim Fahrradklima-Test 2024, der im Sommer 2025 vom Bundesverkehrsministerium vorgestellt worden war, fand sich Stade erneut im letzten Viertel der Bewertungen.
Im Bundesvergleich erreichte die Hansestadt nur Platz 346 von 429 Städten der Kategorie 20.000 bis 50.000 Einwohner, im Landesvergleich Platz 49 von 59. Insgesamt haben 161 Stader an der bundesweiten Befragung teilgenommen und ihrer Stadt im Durchschnitt die Schulnote 4,2 - also etwas schlechter als „ausreichend“ gegeben.
ADFC-Umfrage
Radfahren: Schlechte Noten für Stade und Buxtehude
Unzufrieden sind Stades Radfahrer vor allem mit dem Zustand, insbesondere der Breite und Beschaffenheit der Wege sowie der Reinigung und dem Winterdienst, sodass das Fahren auf Radwegen nur mit 4,7 bewertet wurde. Die Ampelschaltungen für Radfahrer bekamen eine glatte 5.
Es gibt auch positive Bewertungen zum Radverkehr
Vergleichsweise positive Bewertungen gab es für die Erreichbarkeit des Stadtzentrums (2,8), die Öffnung von Einbahnstraßen in Gegenrichtung (3,4), die Wegweisung (3,6) und die Fahrradförderung in jüngster Zeit (3,8).
Der ADFC Stade fordert, die Radverkehrsförderung konsequent fortzusetzen, die Radwege entlang der viel befahrenen Hauptstraßen in einen regelkonformen Zustand zu bringen und bei den Ampelschaltungen die ständige Benachteiligung des Radverkehrs zu beenden.
Stade habe deutliches Potenzial, fahrradfreundlicher zu werden, so der Vorsitzende des ADFC Stade, Stefan Heiland. Einfache Maßnahmen, wie konsequente Falschparkerkontrolle gegen zugeparkte Radwege, mehr Tempo 30 und radgerechte Ampelschaltungen könnten dazu beitragen, den Radverkehrsanteil am Verkehrsaufkommen zu erhöhen. Heiland im Sommer: „„Der Umstieg auf das Fahrrad darf kein Abstieg sein, bei dem man sich zu einem Verkehrsteilnehmer zweiter Klasse degradiert fühlt.“

Gestellte Szene: Martin Schwanitz, Verkehrssicherheitsberater bei der Polizei, weist eine Fahrradfahrerin in Lüneburg darauf hin, dass sie die falsche Straßenseite nutzt. Foto: Philipp Schulze/dpa
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