TFehlende Plätze in der Kinderpsychiatrie: Kinderarzt erweitert Angebot

Kinder und Jugendliche in Not: Es ist schwer, einen Termin beim Psychiater zu bekommen (Symbolbild). Foto: Annette Riedl/dpa/dpa-tmn
Lange Wartelisten für Kinder und Jugendliche: Die Schließung von kinderpsychiatrischen Praxen verschärft den Versorgungsengpass in der Region. Deshalb stockt jetzt ein Kinderarzt auf.
Landkreis Cuxhaven. Kinderarzt Michael Scheel macht sich Sorgen. Ende März kommenden Jahres schließt die einzige Praxis für Kinder- und Jugendpsychiatrie in Bremerhaven. Das medizinische Versorgungszentrum (MVZ) für Kinder- und Jugendpsychiatrie in Debstedt verabschiedet sich bereits zum Jahresende. Im Umkreis von 50 Kilometern werde es für Patienten immer enger, sagt der Mediziner.
„Im Bereich der Kinder- und Jugendpsychiatrie herrscht schon lange absolute Mangelversorgung“, weiß Scheel auch aus dem Alltag seiner Praxis „Kinderarzt Cuxland“ in Nordholz zu berichten. „Das ist eine Verwaltung von Notstand, wenn wir Kinder haben, die dringend Hilfe benötigen, die depressiv sind und nur latent selbstmordgefährdet sind, aber nicht akut. Für solche Patienten gibt es Wartelisten von einem halben Jahr, bis überhaupt mal jemand mit dem Kind redet. Das ist schrecklich.“
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Wartezeiten von bis zu einem Jahr: Kinderärzte schlagen Alarm
In anderen Fällen, Scheel nennt beispielhaft eine Autismus-Diagnostik, seien die Wartezeiten noch länger. „Teilweise warten Patienten auf ein Erstgespräch bis Dezember nächsten Jahres.“ Auch psychotherapeutische Praxen sind nach Scheels Erfahrungen mehr als ausgelastet.
„Klar, finden wir in unserem Netzwerk noch jemanden; aber dann geht es um wirklich schwere Fälle, nicht um Diagnostik“, sagt der Arzt. Seinen Patienten hat er in der Vergangenheit empfohlen, in einem Kreis bis nach Stade, Hamburg und sogar Hannover nach einem Facharzt der Kinder- und Jugendpsychiatrie zu suchen.
Kinderarzt in Nordholz: Neue Praxis für Kinder- und Jugendpsychiatrie geplant
Als bekannt wurde, dass das medizinische Versorgungszentrum (MVZ) für Kinder- und Jugendpsychiatrie in Debstedt Ende Dezember schließt, überlegte Scheel, ein kinder- und jugendpsychiatrisches Angebot in seine Nordholzer Praxis zu integrieren. Neben Scheel arbeiten dort bislang zwei angestellte Fachärzte für Kinderheilkunde und eine Kinderärztin, die sich in der Endphase ihrer Facharztausbildung befindet.
Da in dem Gebäude, in dem sich Scheels Praxis „Kinderarzt Cuxland“ befindet, Räumlichkeiten frei werden, möchte er dort Räume anmieten. Er plant, eine ganze Etage mit 320 Quadratmetern für die kinder- und jugendpsychiatrische Praxis einzurichten. Die neue Ärztin und einen Teil ihres Teams habe er bereits ab Januar 2025 unter Vertrag genommen. Es handelt sich um Dr. Johanna Katharina Reichel, die bislang noch im MVZ in Debstedt praktiziert.
Versorgungsgrad laut KVN: Statistik vs. Realität im Landkreis Cuxhaven
Nach Auskunft der Kassenärztlichen Vereinigung Niedersachsen (KVN) gehört der Landkreis Cuxhaven zur Raumordnungsregion Bremerhaven mit den Kreisen Cuxhaven und Wesermarsch. Der Begriff Bremerhaven ist aber insoweit irreführend, als die KVN die Stadt Bremerhaven in ihre Berechnung nicht einbezieht. Denn für Bremen ist die KV Bremen zuständig.
In der Region Bremerhaven leben laut KVN-Sprecher Detlef Haffke 48.276 Kinder und Jugendliche. Ein Kinder- und Jugendpsychotherapeut soll lauf Bedarfsplanung 15.158 Menschen versorgen (Theoretische Verhältniszahl). Aktuell gibt es für den niedersächsischen Bereich (Landkreis Cuxhaven und Landkreis Wesermarsch) 3,5 kinder- und jugendpsychiatrische Arztsitze, die zurzeit auch besetzt seien. Für Januar vermag KV-Sprecher Detlef Haffke das nicht zu sagen. „Jede Kassenärztin oder jeder Kassenarzt kann jederzeit seine Kassenzulassung zurückgeben.“
Laut Haffke liegt der Versorgungsgrad in der Region Landkreis Cuxhaven und Kreis Wesermarsch zurzeit bei 109 Prozent. „Dieser wird durch den Ersatz in Nordholz gehalten. Trotzdem könnten sich bis zur Sperrung noch 0,5 Kinder- und Jugendpsychiater niederlassen.“
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Neue kinderpsychiatrische Termine bei „Kinderarzt Cuxland“
Für Praktiker Scheel sind die 109 Prozent nicht mehr als eine rein rechnerische Größe. Denn der Bedarf an einer kinder- und jugendpsychiatrischen Behandlung sei in den zurückliegenden Jahren deutlich angestiegen. „Selbst Frau Dr. Reichel wird die Welle, die auf uns zukommt, nicht decken können“, prognostiziert der Kinderarzt. Er geht davon aus, dass „wir innerhalb von einem Monat wieder lange Wartelisten haben“ werden.
Er kalkuliere auch deshalb mit 320 Quadratmetern für eine Kinder- und Jugendpsychiatrie, um perspektivisch Platz zu schaffen für einen zweiten Facharzt oder eine -ärztin. „Für den Übergang haben wir aber schon mal eine Basis, mit der man das Gröbste abfedern kann.“
Termine für die kinder- und jugendpsychiatrische Praxis bei „Kinderarzt Cuxland“ werde es voraussichtlich ab Mitte Dezember geben. Die Praxis sei für alle offen, betont Scheel.