TFlugakrobaten: Warum Stare bei ihren Manövern nicht zusammenstoßen
Stare sammeln sich zu großen, wogenden Wolken im Abendlicht. Foto: Hajo Schaffhäuser
Jetzt, im Spätherbst, sind wieder Starenschwärme unterwegs. Die Vögel sind wahre Flugakrobaten. Ihre Flugmanöver sind gut erforscht.
Landkreis. Zunächst versammelten sich im Spätsommer Jungstare und Nichtbrüter zu kleinen Schwärmen. Dann gesellten sich immer mehr zu ihnen, bis sich jetzt im Spätherbst große Schwärme gebildet haben. Sie vollziehen am Himmel grandiose Kunststücke: Die Starenmassen bilden in der Luft wellenförmige Gebilde, die sich zu Kugeln vereinen, um dann wieder weit ausladende Bögen oder Ringe zu formen. Die geballte Starenpower scheint unterwegs zu sein.
Es ist erstaunlich, dass es bei diesen wahnsinnig rasanten Flugmanövern keine Unfälle gibt. Das hat verschiedene Gründe: Voraussetzung für solche artistischen Leistungen ist das besonders gebaute Vogelgehirn. Es ist im Vergleich zu unserem Gehirn winzig. Aber die Nervenzellen sind sehr dicht gepackt, Verschaltungen zwischen ihnen sind extrem kurz und ermöglichen extrem schnelle Reaktionen.
Präzise Abstimmungen während des Fluges
Ein Bereich des Vogelgehirns, das Kleinhirn, ist beim Star auffällig groß. Hier befindet sich die Zentrale für die Koordination von Gleichgewicht, Flügelbewegung, Fluggeschwindigkeit und Richtungsänderung. Es ermöglicht auch präzise Abstimmungen während des Fluges. Meistens wird bei 80 Stundenkilometern Fluggeschwindigkeit fast eine Flügellänge Abstand zum Nachbarn eingehalten. Diese Regelung hilft, dass die Vögel im Pulk zusammenbleiben.
Phänomene der Natur
Der Sängerwettstreit der Vögel beginnt schon im Winter
Versuche im Windkanal zeigten, dass während des Fluges auf weitere Situationen feinfühlig geachtet wird: Die Stare beobachten ihre Nachbarn sehr genau. Sie haben immer etwa sechs bis sieben Flugbegleiter im Seiten- und Schulterblick. Ändern sich bei einigen von ihnen Flügelschlag und Flugposition nur geringfügig, dann wird innerhalb von Millisekunden blitzschnell errechnet und abgeschätzt, ob es sinnvoll ist, auch den eigenen Flug umzusteuern. So kann jeder Star entweder nur der Masse folgen oder eine Änderung hervorrufen. Forscher vermuten, dass möglicherweise auch kleine Rufe innerhalb der Gruppe zu Flugvariationen führen.
25 Prozent weniger Energie wird im Flug verbraucht
Der Flug im Schwarm hat für Stare Vorteile. Im Versuch wurden Stare trainiert, eine Maske zu tragen, hinter der im Flug Sauerstoffverbrauch und Abgabe von Kohlenstoffdioxid gemessen wurden. Das Resultat: Während des Fluges in der Gruppe wird im Vergleich zum Alleinflug 25 Prozent weniger Energie verbraucht. Der Flug im Schwarm ist also effektiv, denn jeder Vogel hat die Chance, im Windschatten eines anderen zu fliegen.
Erspähen einige Stare günstige Landeplätze mit viel Nahrung, dann folgen auf die sinnvolle Richtungsänderung sofort die anderen Tiere. In Extremsituationen, zum Beispiel wenn ein Greifvogel in den Schwarm eindringen möchte, werden dichte Kugelwolken gebildet. Das irritiert den Angreifer. Abends suchen Starenschwärme ihre gewohnten Schlafplätze auf.
In Kehdingen wurden Schwärme beobachtet, die aus Hundertausenden von Vögeln bestehen. Besonders beim Einschlafen geht es laut zu. Gibt es hier etwas zu erzählen? Befindet sich hier das Informationszentrum für Stare? Teilen hier erfahrene Stare den Jungstaren Futterplätze mit? Das vielstimmige Gequatsche kann Greifvögel anlocken. Mitunter warten sie schon am Schlafplatz auf einen Star, der vielleicht nicht mehr so fit ist und leicht erbeutet werden könnte.
Die Serie und das Buch
Was kreucht und fleucht in der Region? Wolfgang Kurtze, Vorsitzender der Lions-Naturschutz-Stiftung, schreibt über Phänomene und Kuriositäten in der Natur. Das TAGEBLATT veröffentlicht die Artikel des promovierten Biologen in loser Reihenfolge. Die erfolgreiche TAGEBLATT-Serie „Phänomene der Natur“ rückt kurzweilig Wissenswertes aus der Natur in den Mittelpunkt. Der zweite, reich illustrierte und in Jahreszeiten gegliederte Band von Wolfgang Kurtze ist für 19,90 Euro im Buchhandel erhältlich. Herausgeber ist die Lions Stiftung Stade zur Förderung des Natur- und Umweltschutzes.