TFrauenforscherin: „An Männer wird erinnert und an Frauen nicht“

Rita Bake, Frauenforscherin und Historikerin. Foto: Ertel
Der Schreibtisch von Rita Bake ist überladen mit Büchern und Nachschlagewerken. Das aktuelle Forschungsprojekt der Historikerin zu Straßennamen soll noch in diesem Jahr fertig werden. Mit einem anderen, einmaligen Projekt gedenkt sie verstorbener Frauen.
Hamburg. TAGEBLATT: Sind Sie als Kind von der Küste eigentlich ein richtiger Fischkopp, der am liebsten an Bord eines Schiffes und am Wasser ist?
Rita Bake: Ja, tatsächlich. Mein Vater war ja Fischgroßhändler in Bremerhaven und meine Mutter Binnenschifferin. Ich bin schon als Kind in der dritten, vierten Klasse nach der Schule mit dem Fahrrad in den Fischereihafen gefahren, wo meine Mutter im Geschäft mitgeholfen hat und wurde eingespannt. Dafür bin ich bis heute dankbar, weil ich da lernte, was Arbeit bedeutet.
Wie kommt die Tochter einer Binnenschifferin und eines Fischgroßhändlers zur Frauenforschung?
Das hat tatsächlich auch was mit dem Fischereihafen zu tun, der eine absolute Männerwelt ist. Ich fand den spannend und bin in den Ferien frühmorgens häufig mit zu den Fischauktionen gegangen. Die beiden nicht verheirateten Schwestern meiner Mutter, meine Tanten, wollten gerne auch einen Fischgroßhandel aufmachen und waren auf den Auktionen, um sich einen tüchtigen Geschäftsführer auszugucken. Aber keiner der Männer wollte unter zwei Frauen arbeiten. Das ging damals gegen die Ehre des Mannes. Darüber wurde zu Hause natürlich viel geredet und ich bekam mit, dass Frauen immer in bestimmte Rollen gedrängt wurden. Die drei Frauen kannten so etwas gar nicht, denn sie kamen alle aus der Binnenschifffahrt, sie waren immer die Macherinnen.
Braucht das Land eine feministische Geschichtswissenschaft und -forschung?
Leider ja, weil die sogenannte offizielle Geschichtsschreibung immer noch in einem patriarchalischen System stattfindet, das in der Hauptsache nur über die eine Hälfte der Menschheit berichtet und andere Komponenten, die der Frauen, ausblendet. Das zeigt sich in den Archiven und in Nachlässen, wo über Frauen wenig vorhanden ist. Zum Teil liegt das auch an den Frauen selbst, weil sie aufgrund ihrer Erziehung meinen, sie seien nicht so wichtig.
Wie kam es zur Idee, einen Garten der Frauen auf dem Friedhof Hamburg-Ohlsdorf zu gründen?
Der Anfang war mein Buch „Die Stadt der toten Frauen“, die in Ohlsdorf bestattet sind. Dabei stellte ich fest, dass die Nutzungsdauer ihrer Grabstätten teilweise schon abgelaufen war. Damit drohte, dass als letztes Zeugnis von ihnen auch ihre Grabsteine zerschreddert worden wären. Wir wollten nicht auch das noch verlieren und dass die letzten Quellen verschwinden, wenn schon in den Archiven so wenig an schriftlichen Zeugnissen vorhanden ist.
Ereilt Männer nicht oft das gleiche Schicksal?
Auf der Prominentenliste des Ohlsdorfer Friedhofes findet man massenhaft Namen von Männern und weitaus weniger Frauen. An ganz viele Männer wird also erinnert und an Frauen, die genauso Wichtiges oder Bedeutendes geleistet haben, eben nicht. Denn die Definition davon, was berühmt oder bedeutend ist, war für Frauen lange und ist bis heute eine andere als für Männer. Wir möchten an Frauen erinnern, die etwas geleistet haben, auch wenn sie nicht in der „Bunten“ standen.
Bedauern Sie trotzdem manchmal, dass prominente Hamburgerinnen wie Heidi Kabel oder Eva Rühmkorf nicht im Garten der Frauen liegen?
Klar, (lacht) ich hätte Eva Rühmkorf gern bei uns, weil unser Garten ein Konzentrat von Frauen ist, die in Hamburg Bedeutendes geleistet haben. Aber sie ist nun leider woanders bestattet.
Warum ist der Garten weltweit einmalig? Ist Feministinnen anderer Länder so eine Gedenkstätte nicht so wichtig?
Ohlsdorf ist der größte Parkfriedhof der Welt, es gibt also einen großen Fundus, aus dem wir schöpfen können. Das haben andere Städte so nicht. Dazu müssen wir in Vorleistung gehen. Die Forschung muss bereits stattgefunden haben, dann können wir beim Friedhof nachfragen. Um den historischen Aspekt zu bedienen, braucht es langer Forschungen. Das ist bei Frauen, über die wenig geschrieben wurde, viel schwieriger.
Aktuell erstellen Sie eine Datenbank über die Personen, nach denen Straßen in Hamburg benannt wurden, die im September fertiggestellt sein soll – nur über Frauen?
Nein, über alle Straßennamen, die nach Personen benannt sind. Aber der Ursprung der Idee waren tatsächlich die Frauen. Wir haben in Hamburg 483 Straßen, die nach Frauen benannt sind, und über 2800, die Männern gewidmet wurden. Diese Zahlen hatte ich vor mir und fragte mich, wie kann das sein? Der Senat fordert seit über zehn Jahren, dass mehr Straßen nach Frauen benannt werden sollen und es ist auch besser geworden. Aber wir werden nie eine Parität hinbekommen. Das geht einfach nicht. Wo sollen wir in einem Stadtstaat so viele neue Straßen herbekommen? Und wir können alte auch nicht einfach umbenennen.
Haben Sie es schon mal versucht?
Im vergangenen Jahr habe ich im Bezirk Mitte eine Eingabe gemacht, die Mönckebergstraße in Hamburgs Innenstadt nicht mehr nur dem ehemaligen Ersten Bürgermeister Johann Georg Mönckeberg zuzuschreiben, sondern auch seiner Schwiegertochter Vilma Mönckeberg-Kollmar, die Großartiges geleistet hat. Nicht nur für die Stadt.
Woran ist das gescheitert?
Es ist nicht gescheitert. Der Name ist zwar noch der gleiche, die Straße ist nun aber auch der Schwiegertochter gewidmet. Das ist immer dann möglich, wenn Straßen eigentlich nach Männern heißen, aber weibliche Angehörige mit demselben Nachnamen ebenso Bedeutendes geleistet haben. Dann bleibt der Straßenname, aber offiziell ist er nun auch ihr gewidmet. Das wird auf dem kleinen Zusatzschild vermerkt und im Amtlichen Anzeiger bestätigt. Typisch ist aber, dass die Literaturwissenschaftlerin dort nur als Rezitatorin gewürdigt wird. Aber sie war in Deutschland auch Vorsitzende der „Weltorganisation der Mütter Aller Nationen W.O.M.E.N“, die nach dem Zweiten Weltkrieg dafür gekämpft hat einen dritten Weltkrieg zu verhindern.
Warum ist eine Umbenennung von Straßen in neuem historischen Licht so schwierig?
Viele Straße wurden noch nach dem Krieg nach Personen mit NS-Vergangenheit benannt. Daran kann man viel über das gesellschaftliche Bewusstsein der Nachkriegsgeneration ablesen. Inzwischen gibt eine Empfehlung einer Senatskommission, wann umbenannt werden kann und wann Kontextualisierung reicht, also über die Person und ihr Tun aufgeklärt wird. Das fehlt zum Beispiel für Fälle aus der Kolonialgeschichte oder andere belastete Historien. Für Theodor Storm etwa gibt es in der Datenbank nun zum Beispiel ein Schlagwort Pädophilie. Stefan Zweig ist eine Zeit lang als Exhibitionist aufgefallen. Darauf wird hingewiesen. Man kann nicht immer nur sagen, jemand war halt ein Kind seiner Zeit. Die Datenbank enthält sich jeder Wertung, gibt aber entsprechende seriöse Quellen zum Beispiel von Literaturwissenschaftlern an.
Wie wirkt sich die Arbeit mit Tod und Vergänglichkeit eigentlich auf Ihre persönliche Auseinandersetzung mit dem Alter aus?
Sehr positiv. Ich will nicht sagen, dass ich keine Angst vor dem Sterben habe, weil man ja nicht weiß, wie man stirbt. Das kann ja auch sehr schmerzhaft sein. Aber vor dem Tod habe ich keine Angst. Seit meiner Kindheit beschäftige ich mich durch die Familie damit ja zwangsläufig. Aber meine Arbeit hilft mir, immer mehr zu begreifen, dass der Tod ein Teil des Lebens ist. Wie der französische Schriftsteller und Regisseur Jean Cocteau mal sagte: Wenn du in den Spiegel schaust, siehst du den Tod an dir arbeiten. Das innerlich zu begreifen und zu spüren, bedarf einer langen Zeit. Und es ist gut, wenn es dann so weit ist.
Werden Sie irgendwann Ihre letzte Ruhe auch im Garten der Frauen finden?
Nicht im, sondern am Garten der Frauen (lacht). Weil ich einen Mann und einen Sohn habe und gerne möchte, dass die mal dazukommen. Deswegen haben wir eine Grabstelle außen an der Hecke des Gartens. Der Grabstein steht schon, selbst konzipiert, von einem Steinmetz aus Abfallziegeln gefertigt.
Zur Person
Die Hamburger Wissenschaftlerin (72) hat Diplom-Bibliothekarin studiert und danach Sozial- und Wirtschaftsgeschichte mit Promotion. 1990 wechselte sie zur Landeszentrale für Politische Bildung, von 2004 bis 2017 als Vize-Direktorin. Bake veröffentlichte zahlreiche Bücher zur Sozial- und Regionalgeschichte und baute gemeinsam mit Beate Meyer vom Institut für die Geschichte der deutschen Juden eine Buchreihe über „Stolpersteine in Hamburg“ auf - eine „biografische Spurensuche“ zu Opfern des Nationalsozialismus in 23 Bänden. Wenn man sich als Historikern mit Feminismus auseinandersetze, gebe es besonders wichtige Zeitepochen, sagt sie. „Wenn gleichzeitig die Biografien der Opfer erforscht werden, tut man auch etwas für ihre Nachkommen. Es war ein Muss für mich, ihnen etwas zurückzugeben.“ Im Jahr 2000 gründete sie mit zwei Mitstreiterinnen den Garten der Frauen, bis heute ist sie Vorsitzende des Trägervereins.
Persönliches
Abschalten von Forschung und Wissenschaft kann ich … beim Spazierengehen mit meinem Hund.
Lachen kann ich besonders über … meinen Hund.
Feministische Außenpolitik ist wichtig … weil die politischen Gegebenheiten so sind, dass viele Errungenschaften von Frauen oder Frauenbewegungen wieder zurückgedrängt werden.
Soziale Medien bedeuten mir ... nichts, bin ich nicht drin.
Freizeit am Wasser … mag ich sehr, aber immer Nordsee. Zum Beispiel am Deich sitzen in Bremerhaven oder am Strand von Duhnen bei Cuxhaven.