TFreie Plätze beim Kinderarzt: Eltern stehen wie im Schlussverkauf Schlange

Es kann losgehen: Die wartenden Eltern werden nach und nach an den Empfangstresen der Kinder- und Jugendarztpraxis Cuxland gebeten. Foto: Ralf Masorat
Der Run auf die Erlebnispraxis in Nordholz nimmt immer skurrilere Züge an. Nach dem Aufnahmestopp können wieder 300 kleine Patienten aufgenommen werden. Doch es gibt auch enttäuschte Gesichter.
Nordholz/Landkreis Cuxhaven. Für Heike Reichelt und all die anderen, die mit dem ersten Sonnenlicht des Tages in den Feuerweg nach Nordholz geeilt sind, ist es wie ein Sechser im Lotto: Endlich ein Kinderarzt, der wieder Patienten aufnimmt. Etliche Kollegen in der Region sind in Rente gegangen. Die wenigen Kinder- und Jugendärzte, die es im Landkreis Cuxhaven noch gibt - aktuell sind es nur sechs - haben keine Kapazitäten mehr.
Michael Scheel bildet eine Ausnahme. Der Betreiber der Kinder- und Jugendarztpraxis Cuxland hat nach dem Aufnahmestopp im Dezember wieder Luft für Neuanmeldungen. Denn mit Thomas Lunden ist ein zweiter Kinderarzt ins Team gekommen. Bis zu 300 chronisch kranke Kinder und ihre Geschwister können deshalb zusätzlich aufgenommen werden. Jeweils 150 an zwei Terminen im April.
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„Mein Junge hat chronisches Asthma“, sagt Heike Reichelt, die als eine der Ersten gegen 7.30 Uhr da ist - anderthalb Stunden vor der Öffnungszeit. „Eine schnelle Tasse Kaffee, ein Brot, dann sind wir gleich los“, erzählt sie. Reichelt ist mit Sohn Max aus Loxstedt angereist. Dort gibt es seit Oktober keinen Kinderarzt mehr. „Seither bin ich auf der Suche nach jemandem, der meinen Jungen behandeln kann“, sagt Reichelt. Ob in Beverstedt, Geestland, Otterndorf oder anderswo - überall nur Absagen.
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Luca hat ADS und Yvette einen angeborenen Herzfehler
Auch Jasmin Wöbber steht in der Warteschlange, die nach und nach länger wird. Von Otterndorf nach Bremerhaven gezogen, ist die Mutter eines achtjährigen Sohnes seit Längerem verzweifelt unterwegs. Ihr Luca leide an ADS, dem „Aufmerksamkeitsdefizit-Syndrom“ - eine im Kindesalter beginnende psychische Störung. „Er braucht dringend Hilfe.“ Luca passt ins Raster. Scheel nimmt zunächst nur chronisch kranke Patienten mit höherem Betreuungsbedarf auf: Diabetes, Asthma, ADHS oder ADS, Epilepsie, Neurodermitis oder Herzkrankheiten. Auch Kinder mit gesicherten Diagnosen zu Entwicklungsstörungen sind dabei.

Dann lassen Sie mal sehen: Auszubildende Ida Heuer nimmt die Unterlagen von Heike Reichelt aus Loxstedt entgegen. Foto: Ralf Masorat
Bernice Appiarius - zur frühen Stunde die einzige in der Reihe, die in der Gemeinde Wurster Nordseeküste wohnt - setzt große Hoffnungen auf diesen ersten Termin. Yvette, acht Lenze jung, hat einen angeborenen Herzfehler. Und ihr Arzt ist in Rente. Seitdem sei sie immer wieder nach Bremen gefahren. Oder nach Köln, wo ihre Tochter in einer Spezialklinik behandelt worden sei, wenn es nicht gut um sie gestanden habe.
„Diese Situation ist für uns eine Katastrophe“, sagt Appiarus. Die Nordholzerin trägt einen dicken Stapel mit Papieren unterm Arm: Untersuchungsergebnisse, Operationsberichte, Versicherungsnachweise, Geburtsurkunde, Vorsorgeheft und vieles mehr. „Das muss heute einfach klappen“, sagt sie und blickt erwartungsvoll zum Eingang der Praxis. Sekunden später schlägt die Kirchturmuhr der Gemeinde „Zum guten Hirten“ zur vollen Stunde: 9 Uhr. Es geht los.

Gute Nachrichten aus Nordholz: Kinderarzt Michael Scheel hat wieder Kapazitäten in seiner Praxis. Foto: Leuschner
Ruhige und freundliche Gespräche am Empfangstresen
Doch der erwartete Ansturm bleibt aus. Kein Gedränge, keine Hektik. Dafür sorgen Praxismanagerin Marie-Sophie Ahrens, Auszubildende Ida Heuer und Fachkraft Nicole Strafehl. Ruhig und freundlich begrüßen sie die knapp 20 Eltern, die hereinwollen, lassen sich die Papiere zeigen.
Erst einmal nicht auf der Patientenliste ist eine Mutter, deren Kind einen Logopäden benötigt. Auch eine Frau, die nach Imsum gezogen ist und keinen Kinderarzt findet, muss wiederkommen. Ebenso eine Mutter, deren Kind an chronischer Verstopfung leidet. „Wir wissen, dass Eltern jede Erkrankung ihres Kindes als schlimm empfinden“, sagt Marie-Sophie Ahrens, „doch für den ersten Termin haben wir Kriterien festgelegt - chronisch kranke Kinder mit höherem Betreuungsbedarf sind zuerst dran.“ Eine spätere Aufnahme der Abgewiesenen sei nicht ausgeschlossen. Anfang August werde Verstärkung erwartet: ein Kinderkardiologie und eine angehende Kinderärztin.
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Grünes Licht auch für die Mutter aus Loxstedt
Um 10.30 Uhr ist alles vorbei. Viel mehr Eltern sind nicht gekommen. Insgesamt werden am Samstag 24 Kinder aufgenommen. „Seit dem Aufnahmestopp ist einige Zeit ins Land gegangen“, sucht Michael Scheel nach Erklärungen für die vergleichsweise geringe Resonanz. „Eventuell hat der eine oder andere zwischenzeitlich doch einen Kinderarzt gefunden.“ Am 27. April um 9 Uhr gibt‘s den zweiten Termin. Dann werde man sehen.
Heike Reichelt und Max haben es hinter sich. „Die Anfahrt aus Loxstedt hat sich gelohnt“, freut sie sich. Jasmin Wöbber ist ebenfalls zufrieden: Luca kann bei Michael Schell behandelt werden. Auch für Yvette, mit einem angeborenen Herzfehler zur Welt gekommen, ist die Nordholzer Praxis künftig Anlaufstelle. „Ich bin glücklich“, sagt Bernice Appiarius und lächelt erleichtert. „Zuhause wird erst mal in Ruhe gefrühstückt“, verrät sie und zieht mit ihrem Papierstapel fröhlich von dannen.