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Interview

TGefährlich? Ein Hamburger lebte jahrelang in Brasilien

Das Titelbild der neuen Ausstellung von Jan Siebert.

Das Titelbild der neuen Ausstellung von Jan Siebert. Foto: Jan Siebert

Vor fast 30 Jahren hat Jan Siebert Hamburg Richtung Mittel- und Südamerika verlassen. Mit seiner bisher größten Ausstellung ist der Maler nun in seine Geburtsstadt zurückgekehrt.

Von Guido Behsen Sonntag, 09.02.2025, 14:00 Uhr

Hamburg. TAGEBLATT: Herr Siebert, aus der brasilianischen Sonne in den Hamburger Winter – wie halten Sie das aus?

Jan Siebert: Ach, das kann ich schon noch ab. Aber der Kontrast ist tatsächlich groß. Ich bin im schönsten Sommer in Brasilien gestartet...

...und im kalten, zugigen Hamburger Industriegebiet gelandet.

Das bringt den Kontrast noch einmal besonders gut zur Geltung (lacht).

Was haben Sie mitgebracht?

Zum einen eine neue Serie. Die Bilder sind innerhalb von zwei Jahren im historischen Stadtkern von Salvador entstanden, ganz in der Nähe meines Wohnorts, und hingen zuletzt in einem Restaurant in Salvador. Der Besitzer war etwas traurig, als ich sie alle wieder mitgenommen habe (lacht). Aber so hatten wir es abgemacht. Jetzt hängen sie in der unteren Etage der Ausstellung in der Fabrik der Künste.

Jan Siebert lebt seit 2005 in Brasilien.

Jan Siebert lebt seit 2005 in Brasilien. Foto: Lorenc Berisha

Und was gibt es in der oberen Etage zu sehen?

Bilder aus verschiedenen Schaffensphasen. Und das großformatige Titelbild der Ausstellung „After the Moment“.

Was steckt hinter dem Titel?

Die Bilder, das hoffe ich zumindest, erzeugen eine gewisse Spannung. Sie suggerieren, dass eine Geschichte hinter dem Motiv steckt. Etwas, das gerade passiert ist oder im nächsten Moment passieren könnte.

Diesem Moment hat sich zuletzt ein Filmteam genähert. Erklären Sie uns das Projekt.

Das Team um den jungen Filmemacher Lorenc Berisha hat mich und damit den Entstehungsprozess mehrerer Bilder begleitet. Wir sind auch an Orte gefahren, an denen ich gemalt habe, etwa im Amazonas. Im Film sieht man zunächst ein fertiges Bild, doch dann kommt die Szenerie in Bewegung, der Blick auf den Ort weitet sich, die Protagonisten bekommen eine Stimme. Das Projekt heißt, in Anlehnung an meine Werkschau, „Behind the Moment“. Es zeigt, dass es die Geschichten hinter meinen Bildern wirklich gibt.

Wann war Ihr Moment, zu sagen, ich will weg aus Hamburg und dem Norden, hinaus in die weite Welt?

Den Wunsch trug ich wohl schon als Kind in mir. Es war mir immer die größte Freude, wegzulaufen und mich zu verstecken. Der Entscheidung fiel aber erst während des Studiums, als ich eine längere Reise durch Mittelamerika machte. Da reifte der Gedanke bis zum Entschluss.

Entschlossen Sie sich damals auch, freier Maler zu werden?

Ja, ich hatte schon vorher gemalt und war von meinem Studium der Illustration und dem Unileben an sich nicht restlos überzeugt. Nicht lange nach meiner Reise habe ich mich also 1996 an einer Kunstschule in Mexiko City eingeschrieben. Drei Jahre bin ich dort geblieben, habe studiert, gearbeitet und gehofft, irgendwann auch mal ein Bild verscheuern zu können (lacht).

Und wann hat es geklappt mit dem Verscheuern, wie Sie sagen?

Ich war in Mexiko hauptsächlich produktiv. Die Sachen habe ich dann mit nach Deutschland gebracht, um sie auszustellen und zu verkaufen. Einen Schub gab es vor allem durch mehrere Ausstellungen im Levantehaus an der Mönckebergstraße. Ich habe immer genug verkauft, um zurück in Mexiko weitermachen zu können. Es hat sich gut entwickelt.

Ein weiteres Bild aus der Ausstellung von Jan Siebert.

Ein weiteres Bild aus der Ausstellung von Jan Siebert. Foto: Jan Siebert

Wie sind Sie schließlich in Brasilien gelandet?

Über gute Freunde, die ich aus Hamburg kannte und die inzwischen in Santos lebten. Das war die erste Station. Von da ging es über São Paulo weiter nach Rio.

Sie haben in der Nachbarschaft von „Richter Gnadenlos“ Ronald Schill gewohnt, richtig?

Ja, in der Nachbar-Favela an der Copacabana. Wir sind uns tatsächlich hin und wieder über den Weg gelaufen, hatten aber weiter keinen Kontakt.

Favela – das klingt nach Armut und Kriminalität...

So klang das für mich anfangs auch. Ich steckte zu dem Zeitpunkt in einer Krise, die Unterkunft in der Favela Vidigal war eigentlich nur als Übergangslösung gedacht. Ich bin dann fünf Jahre geblieben. Ich hatte einen fantastischen Ausblick aufs Meer, es war lebendig, es war entspannt. Und es war gar nicht gefährlich.

Ach!

Dafür sorgen allerdings nicht die Behörden, sondern die Drogenkartelle. Überfälle, gerade auf Ausländer, sind von den Drogenbossen strikt untersagt. Das schadet dem Geschäft.

Haben Sie manchmal Heimweh?

Schon. Meine Mutter lebt in Lübeck, dort habe ich übrigens auch mein Lager. Und ich habe viele Freunde hier, die ich manchmal vermisse. Aber komplett wieder zurückzuziehen, kann ich mir dann doch nicht vorstellen.

Haben Sie Familie in Brasilien?

Nein, das hat vermutlich mit den vielen Standortwechseln zu tun. Es belastet mich auch nicht weiter. Meine Familie – die ist in Deutschland. Aber ich bin in Brasilien fest liiert.

Verfolgen Sie die gesellschaftliche und politische Diskussion in Deutschland und Hamburg? Gerade ist Wahlkampf, das Thema Migration beherrscht die Debatten.

Das verfolge ich natürlich. Wenn ich in Brasilien fernsehe, dann deutsche Programme. Und über die sozialen Medien bin ich ständig auf dem Laufenden. Es ist mehr als bedenklich, was gerade in Deutschland passiert, regelrecht unheimlich.

Wie empfinden Sie als Pendler zwischen den Kontinenten die Entwicklung hierzulande?

Wenn ich nach Deutschland komme, dann dauert es mittlerweile einen Tag, maximal zwei, bis etwas passiert, das mich so richtig auf den Boden der Tatsachen bringt. Ich habe neulich mit dem Auto kurz auf der Busspur gehalten, um einen Beifahrer aussteigen zu lassen. Ein Motorradfahrer hat sich die Mühe gemacht, mir anschließend hinterherzufahren und neben mir zu halten. Als ich die Scheibe herunterließ, fing der Mann sofort an, mich zu beschimpfen. Als ich endlich zu Wort kam, meinte ich, er solle dann doch wohl besser die Polizei rufen. „Das mache ich auch!“, hat er gebrüllt. Hat er dann aber doch nicht....

Das dürfte in Brasilien eher nicht passieren...

Definitiv (lacht)! Aber im Ernst: Der Unterschied ist, dass man in Deutschland auf der Ebene der Funktionalität zusammenlebt, da gibt es kaum Spielraum. In Brasilien ist nicht nur alles viel entspannter, sondern auch flexibler. Das hat natürlich auch Nachteile.

Welche?

Es ist schwer, etwas verbindlich zu verabreden. Es mangelt an Verlässlichkeit.

Sie suchen als Künstler immer wieder die Nähe zu den Armen, Abgehängten. Warum?

Es ist meine Art, den Menschen etwas Sichtbarkeit und Wertschätzung zu geben. Dass ich dafür in die Kunst abtauchen kann, macht es in gewisser Weise leichter. Es nimmt der Situation das Verstörende. Und es wird honoriert. Ich wurde bei der Arbeit in einer der dunkelsten Ecken von einem furchterregenden Typen angesprochen: „Hey, was du tust, ist wichtig für uns. Mach weiter damit. Und mach dir keine Sorgen, dass dir was passiert.“

Haben denn diese Menschen eine Perspektive?

Eine eher düstere. Das Viertel, in dem ich zuletzt gearbeitet habe, liegt am Hang zwischen dem Meer und einer reichen Gegend. Jetzt kaufen Investoren nach und nach alles auf. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis die Menschen, die hier jetzt schon in Armut leben, auch noch ihr bescheidendes Heim verlieren. Das ist Gentrifizierung auf Brasilianisch...

Auf Ihren neuen Bildern sitzen oft Menschen in Flip-Flops auf klapprigen Stühlen und in Hauseingängen. Sie machen auf mich vielleicht einen armen, aber nicht unbedingt unglücklichen Eindruck...

Dem Eindruck würde ich mich anschließen. Natürlich gibt es die Süchtigen und Kranken, für die es kaum Hoffnung gibt. Aber im Großen und Ganzen stimmt das. Diese Menschen sind lebendig.

Zur Person

Jan Siebert wurde 1971 in Hamburg geboren und wuchs mit seinem jüngeren Bruder im Kreis Stormarn auf. Er studierte Gestaltung an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg, ehe er 1996 nach Mexiko-City und später nach Veracruz in Mexiko zog. Seit 2005 lebt er in Brasilien, zunächst in Santos und São Paulo und von 2009 bis 2016 in den Favelas von Rio de Janeiro. Dann zog Siebert nach Salvador im Nordosten des Landes, wo er heute mit seiner Partnerin lebt und wo auch die meisten Bilder seiner neuen Schau „After The Moment“ entstanden sind. Sie sind aktuell in der Hamburger Fabrik der Künste zu sehen. Dort findet am 15. Februar und 1. März jeweils um 19 Uhr eine exklusive Preview des Films „Behind the Moment“ statt, der einen Einblick in die Entstehung der Bilder und die Geschichten dahinter gibt.

Persönliches

Mein Lieblingsort in Hamburg... war früher das Schulterblatt, heute ist es eher das Falkensteiner Ufer.

Wenn ich in Brasilien bin, vermisse ich... tatsächlich Schwarzbrot.

Und wenn ich in Deutschland bin, vermisse ich... reife Mangos.

Meine künstlerischen Vorbilder... sind unter anderem der französische Maler Édouard Vuillard und natürlich Edward Hopper.

Der Karneval... ist in Salvador da Bahia noch größer als in Rio.

Wenn ich noch einmal weiterziehen würde, ... dann vielleicht nach Fernost, Nepal.

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