TGeht‘s auch ohne Erdgas? Wie ein Ort in Niedersachsen sich (fast) ganz umstellte

Rewert Wolbergs ist Landwirt und Geschäftsführer der Naturgas Ardorf GmbH. Foto: Oltmanns
Wärmepumpe oder neue Gasheizung? Oder einen Fernwärmeanschluss? Wie künftig geheizt werden soll, ist vielen noch schleierhaft. Ein Blick in den Ort Ardorf im Landkreis Wittmund zeigt, wie es gehen kann. Ganz ohne Erdgas.
Wittmund. Sieben große Töpfe heben sich etwas südwestlich des Wittmunder Ortsteils in den Himmel, hier wird Energie gewonnen aus Gras, Mais, Triticale, Weizen, Zuckerrüben, Rindergülle. Aus dem organischen Material wird durch mikrobiellen Abbau der erneuerbare Energieträger Biogas gewonnen. Mit Hilfe der Blockheizkraftwerke entsteht dann Strom, der über die EWE vertrieben wird. Und zum anderen Wärme, mit der im näheren Umfeld der Anlage rund 140 Haushalte beliefert werden. Haushalte also, die gar kein Erdgas mehr beziehen, sondern stattdessen mit der Wärme heizen, die bei der Stromerzeugung in der Biogasanlage entsteht. Fernwärme also; obwohl es in diesem Fall eher Nahwärme ist, denn sie legt nur wenige Kilometer zurück zwischen Erzeuger und Verbraucher.
Die Betreiber
Anfang der 2000er haben sich fünf Landwirte aus Ardorf und Umgebung zusammengetan, um am Rand des Ortes eine Biogasanlage zu bauen. Wolbergs ist einer von ihnen. Der groß gewachsene Mann führt in Arbeitsmontur über das Gelände, durch die Steuerungszentrale, die Werkstatt, vorbei an den Fermentern und spuckt in atemberaubendem Tempo Zahlen aus. Die eindrücklichsten bleiben hängen: In einer Stunde, schildert er, wird in der Anlage die Strommenge für einen Vier-Personen-Haushalt im Jahr produziert. Der 54-Jährige ist längst nicht mehr nur Landwirt; er ist Energiefachmann und Energieversorger. Die Anlage läuft seit 2007, seitdem leitet er ihre Geschäfte.
„Wir kaufen alles von hiesigen Landwirten“, sagt er. Im Grunde alles, was angeboten wird und erlaubt ist, von Grassilage bis Zuckerrüben, aus einem Umkreis von etwa zehn Kilometern. Es sei nicht immer leicht gewesen, räumt Wolbergs ein, bisher sei aber alles gut gelaufen. Es habe auch immer genug nachwachsende Rohstoffe gegeben, um die Biogasanlage zu füttern. Das Unternehmen wuchs mit den Jahren, mittlerweile sind sechs festangestellte Mitarbeiter beschäftigt. „In Ostfriesland gehören wir zu den größten“, sagt er. Doch die erzeugten Strommengen sollen in dieser Geschichte gar nicht das Thema sein. Es geht vielmehr um das, was bei der Stromproduktion abfällt: um die Wärme. Die soll nicht einfach verpuffen. Sie wurde und wird seit Jahren zum Heizen der nahe gelegenen Häuser benutzt.
Die Anlage
„Wenn wir Biogas ordentlich betreiben wollen, brauchen wir dazu ein Wärmekonzept“, sagt Wolbergs. Und spuckt wieder ein paar Zahlen aus. Würde man diese Biogasanlage nur für den am Ende erzeugten Strom nutzen, so hätte man nicht einmal die Hälfte der Energie genutzt, die bei dem ganzen Prozess entsteht; genau genommen wären es gerade mal 42 Prozent, rechnet er vor. Dabei entsteht viel mehr Energie: Die großen Motoren in den Blockheizkraftwerken beispielsweise müssen mit Wasser gekühlt werden, das Wasser wird dabei stark aufgeheizt. Auch andere Prozesse erzeugen Hitze und müssen gekühlt werden.

Eines der Blockheizkraftwerke in der Biogasanlage. Hier wird Strom erzeugt. Dabei entsteht Wärme, die ebenfalls genutzt wird. Foto: Oltmanns
Zusammengerechnet würden durch das Verwerten der nebenbei erzeugten Wärmeenergie noch mal etwas mehr als 40 Prozent der gesamten Energiemenge genutzt. Insgesamt seien es dann 85 Prozent, so Wolbergs. Das klingt dann schon effektiver. Auch für die Ardorfer Anlage, die immerhin über sieben Blockheizkraftwerke verfügt. Das erhitzte Wasser wird über ein 13 Kilometer langes Leitungssystem in die rund 140 angeschlossenen Haushalte transportiert, im Grunde das ganze Kerngebiet des Wittmunder Ortsteils. Also: heißes Wasser rein in die Häuser, abgekühltes Wasser wieder raus und zurück zur Biogasanlage. Ein geschlossener Wasserkreislauf.
Die Verbraucher
2009 hat sich eigens die Nahwärme Ardorf eG gegründet, eine Genossenschaft, die der Biogasanlage die Wärme abnimmt und in die Haushalte bringt. Jens Lehmann ist ihr Vorstandsvorsitzender und hat im Keller natürlich eine Nahwärme-Heizung installiert. Die Genossenschaft hat den Großteil der Nahwärme-Leitungen geplant und gebaut, das habe rund 1,85 Millionen Euro gekostet, sagt Lehmann. Dafür habe die Genossenschaft die ersten zehn Jahre die Wärme aber auch sehr günstig bekommen. Für die angeschlossenen Haushalte hieß das: fünf Cent pro Kilowattstunde. Mittlerweile sei man bei 9,5 Cent brutto pro Kilowattstunde.

Die Biogasanlage am Rand von Ardorf. Foto: Oltmanns
Lehmann zählt die Vorteile auf: Die Wärme ist schneller da, wenn man abends nach Haus kommt und die Heizung aufdreht. Tatsächlich kommt das Wasser ja auch heiß ins Haus und muss nicht erst vor Ort erhitzt werden. Auch sei sein Energieverbrauch stark zurückgegangen. Als er noch mit Erdgas heizte, rechnet Lehmann vor, habe er im Mittel 21.000 Kilowattstunden verbraucht. Mit der Nahwärme seien es nur noch 18.000 Kilowattstunden. Und außerdem: „Der Klimawandel war für mich ein großes Argument.“ Biogasanlagen werden mit sogenannten nachwachsenden Rohstoffen betrieben, und eben nicht mit fossilen Rohstoffen wie Gas oder Öl. Größere Probleme habe es seit der Umstellung auf die Nahwärme im Ort nicht gegeben, sagt Lehmann noch, niemand habe im Kalten sitzen müssen. Er ist auch so etwas wie der Kümmerer: Gibt es ein technisches Problem mit den Nahwärme-Anschlüssen in den Häusern, kommt er und repariert. Lehmann ist Elektromeister und Energietechniker.
Wie es weitergeht
Alle Kommunen in Deutschland sollen nach dem Willen der Bundesregierung in den kommenden Jahren Pläne für klimafreundliches Heizen vorlegen. Darin sollen sie angeben, in welchen Straßen eine Fernwärme-Versorgung geplant ist oder wo zum Beispiel Nahwärme über Biomasse verfügbar sein wird. Haus- und Wohnungseigentümer sollen so erfahren, ob sie selbst etwa über eine Wärmepumpe für klimafreundliche Heizungen sorgen müssen oder ob sie sich den Plänen ihrer Kommunen anschließen können. Gemeinden und Städte unter 100.000 Einwohnern haben bis zum 30. Juni 2028 Zeit, ihre eigenen Wärmeplanungen vorzulegen.
Rewert Wolbergs hofft, dass Wittmunds Bürgermeister Rolf Claussen (parteilos) für diese Planungen die Energieversorger vor Ort an einen Tisch holt, um zu sehen, was künftig möglich ist. Seine Anlage, sagt er auch, könne mehr als die bisher 140 Haushalte mit Nahwärme versorgen. Es reiche für 250 Haushalte.